Zwei Jahre #ObjectWarCampaign
Aktueller Bericht zur Kampagne
(04.10.2024) Vor knapp zwei Jahren starteten wir mit einer Unterschriftensammlung die #ObjectWarCampaign zur Unterstützung russischer, belarussischer und ukrainischer Kriegsdienstverweiger*innen, Militärdienstentzieher*innen und Deserteur*innen. Es gibt viel Positives zu berichten. Enttäuscht sind wir jedoch über die Reaktionen von Politik und Behörden, die es bislang versäumt haben, einen echten Schutz für die Betroffenen vorzusehen. Klar, dass wir dran bleiben müssen und Sie können uns dabei unterstützen. Und Zeit ein Resümee zu ziehen und über die aktuellen Entwicklungen zu berichten.
50.000 Unterschriften an die EU für Schutz und Asyl
In den ersten Monaten der Kampagne hatten wir über die Plattform WeMove und mit Hilfe vieler Gruppen und Organisationen mehr als 50.000 Unterschriften sammeln können, mit der Forderung an die Europäische Union, dass Deserteur*innen und Verweiger*innen Schutz und Asyl erhalten sollen. Es gab auch eine Reihe begleitender politischer Stellungnahmen und Initiativen, die diese Forderungen aufgriffen, so z.B. ein Beschluss des Europäischen Parlaments, ein Beschluss der Ev. Kirche Deutschlands und anderes.
Zum 15. Mai 2023 übergaben wir die Unterschriften in Berlin und Brüssel. Die Antworten der EU-Institutionen waren jedoch ernüchternd. Für russische Verweigerer wird auf die Regelungen der Asylverfahren verwiesen: "In Bezug auf Kriegsdienstverteidiger (sic!) und Deserteure heißt dies, dass das europäische Asylrecht und die damit verbundenen Verpflichtungen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention gelten." Das bedeutet in der Konsequenz, dass lediglich politisch Aktive aus Russland und Belarus und Deserteur*innen aus Russland Hoffnung haben können, einen Flüchtlingsstatus zu erhalten. Frankreich und Deutschland haben sich entsprechend positioniert. Militärdienstentzieher*innen jedoch, die so klug waren, sich bereits vor einer Rekrutierung zum Militär und damit einem möglichen Einsatz im Krieg zu verweigern, werden abgelehnt.
Für ukrainische Kriegsdienstverweigerer, die sich in der Ukraine strafrechtlicher Verfolgung oder der Entsendung an die Front ausgesetzt sehen, antwortet die Europäische Union: "Im Bezug auf die Ukraine ist die EU des Weiteren im konstanten Austausch mit den Ukrainischen Regierungsorganen. Diese Gespräche decken alle Politikfelder ab." Eine klare Positionierung zur Kriegsdienstverweigerung fehlt. Niemand aus der EU drängt darauf, dass das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung, wie es von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2011 definiert wurde, auch wirklich in der Ukraine umgesetzt wird. Viele ukrainische Militärdienstpflichtige, die sich in der Europäischen Union befinden, erhielten jedoch aufgrund der sogenannten Massenzustromrichtlinie zumindest einen befristeten Schutz.
Es ist nicht überraschend, dass sich die Europäische Union an die Seite der Ukraine stellt. Überraschend ist eher, dass selbst in jenen Ländern die Abwehr von Geflüchteten in aller Schärfe umgesetzt wird, wo Politiker*innen sich für eine andere Praxis ausgesprochen haben: Bei russischen Militärdienstpflichtigen, die vor dem Einsatz im Angriffskrieg geflohen sind.
Ein Netzwerk entwickelt sich
Es gibt allerdings auch viel Positives über die #ObjectWarCampaign zu berichten.
Beratung: Hier sei an erster Stelle die Tatsache genannt, dass wir darüber ein großes internationales Netzwerk entwickeln konnten, mit mehr als 120 Organisationen, die sich gemeinsam für die Betroffenen einsetzen. Es gibt einen Verbund von Organisationen, die in den verschiedensten Ländern Beratung und Unterstützung anbieten, u.a. für Russland, Belarus, Ukraine, Kroatien, Georgien, Finnland, Frankreich, Spanien, Deutschland, Armenien, Belgien, Niederlande, Großbritannien, Litauen, Südkorea.
Im Netzwerk wurden Tausende Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen aus den verschiedensten Ländern beraten, Rechtsanwält*innen vermittelt und gemeinsam mit den Betroffenen Strategien entwickelt, wie trotz der widrigen Bedingungen doch ein Aufenthalt in dem jeweiligen Land möglich sein könnte.
Gemeinsame Projekte: Es gibt einen regelmäßigen Austausch über geplante und laufende Projekte, die über Spenden und Fundraising finanziert werden können, so z.B. ein aktuell gestartetes Projekt für russische Deserteur*innen in Armenien, wo etwa 500 von ihnen unter sehr prekären Bedingungen leben müssen.
Lobbyarbeit: Connection e.V. setzt sich gemeinsam mit russischen, ukrainischen und belarussischen Organisationen, mit der War Resisters‘ International, dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung und anderen für die Betroffenen ein, mit Lobbyarbeit sowohl bei den Vereinten Nationen in Genf wie auch bei den Europäischen Institutionen. Diese Arbeit werden wir noch ausweiten.
Aktionen und Veranstaltungen: Es gab in Deutschland und anderen Ländern zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, dem 15. Mai, und dem Internationalen Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember, dezentral Dutzende von Veranstaltungen und Aktionen. Hier einige Beispiele.
Italienische Partner*innenorganisationen übergaben anlässlich des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung im Jahr 2023 in Rom zusammen mit Journalist*innen öffentlich eine riesige Postkarte der Kampagne. Damit wurde vor den Botschaften Russlands, der Ukraine und Belarus die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung eingefordert. Zudem organisierten sie am selben Tag eine Pressekonferenz über die Kampagne im Senat.
In Deutschland und Belgien haben lokale Gruppen öffentlichkeitswirksame Aktionen vor den russischen, belarussischen und ukrainischen Botschaften und Konsulaten organisiert, um gegen den Krieg zu protestieren und die volle Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung zu fordern. Dazu wurde ein überdimensionales, zerbrochenes Gewehr verwendet, ein großer Blickfang. Weitere Aktionen fanden vor den Vertretungen der Europäischen Kommission statt. Sehr oft konnten wir gemeinsame Aktionen mit Kriegsdienstverweiger*innen und Unterstützer*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine durchführen, um ihre Stimme zu hören.
In den USA, in Washington DC, organisierte die dortige Partnerorganisation am 10. Juni 2024 eine öffentliche Kundgebung vor der ukrainischen Botschaft in Solidarität mit Yurii Sheliazhenko und zur Unterstützung seiner Arbeit für Kriegsdienstverweigerer.
Aktuelle Veranstaltungen sind zu finden unter www.Connection-eV.org/veranstaltungen.
Solidarität mit verfolgten Aktivist*innen: Gemeinsam unterstützt das Netzwerk Aktivist*innen, denen aufgrund ihrer Arbeit Strafverfolgung droht oder die Zurückweisung in ihr Herkunftsland.
#FreePeaceSpeech: Diesbezüglich steht vor allem die Ukrainische Pazifistische Bewegung unter Druck, die nach wie vor in der Ukraine arbeitet. Ihr Vertreter Yurii Sheliazhenko ist angeklagt und unter Hausarrest gestellt. Wir starteten die Kampagne #FreePeaceSpeech, führten mehrere Aktionen durch, entsandten Beobachter*innen zu den Prozessen und vieles mehr.
#Protection4Olga: In Litauen wird Olga Karatch mit der Organisation Nash Dom ein vollständiger Flüchtlingsschutz verweigert, obwohl sie im Herkunftsland Belarus wegen ihrer Menschenrechtsarbeit zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Auch hier führten wir zahlreiche Aktionen durch um sie und ihre Familie zu unterstützen und ihren Schutz einzufordern.
Stärkung im Asylverfahren: Gemeinsam mit der russischen Bewegung für Kriegsdienstverweigerung und Rechtsanwält*innen aus Deutschland werden wir in den nächsten Wochen Argumentationshilfen für Militärdienstentzieher*innen aus Russland erstellen, damit deutsche Behörden und Gerichte deren Asylanträge anerkennen und sie nicht nach Russland abschieben lassen.
Website der #ObjectWarCampaign: Um über die verschiedenen Aktivitäten zu berichten, Aktionsvorschläge zu machen, Kontakte zu Beratungsstellen zu vermitteln und vieles mehr haben wir vor einem Jahr die Website www.objectwarcampaign.org eröffnet. Dort finden sich Beiträge in englischer, deutscher und russischer Sprache.
Weltweite Kampagne #RefuseWar: Gemeinsam mit War Resisters’ International und dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung starteten wir die Kampagne #RefuseWar. Viele weitere Organisationen schlossen sich an. Mit der interaktiven im Web durchgeführten Aktion wollen wir zeigen, dass es weltweit Menschen gibt, die sich dem Krieg verweigern und für Frieden eintreten. (www.refusewar.org)
Die nächsten Schritte – mit Euch allen…
Es gibt viele Dinge, die Sie machen können oder Ihre Organisation, um die #ObjectWarCampaign zu stärken und sich für den notwendigen Schutz von Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine einzusetzen.
Erneute Aktionswoche: Für Dezember 2024 ist zum Internationalen Tag der Menschenrechte eine erneute Aktionswoche vorgesehen. Wir werden dazu aktuelles und neues Material erstellen und hoffen darauf, dass sich erneut viele Gruppen und Organisationen daran beteiligen. Wie im Mai 2024 wird sich die Aktionswoche nicht nur auf den Krieg in der Ukraine beziehen, sondern auch andere Kriege und deren Verweiger*innen im Blick haben.
Sie können vor Ort Aktionen oder Veranstaltungen rund um den 10. Dezember organisieren und damit für weitere Medienöffentlichkeit sorgen.
Save the Date: Für Samstag, 14. Dezember, bereiten wir bereits eine Aktion vor. Unter dem Motto KRIEG MACHT FLUCHT werden wir gemeinsam mit vielen anderen Organisationen eine zentrale Aktion und Demonstration in Nürnberg durchführen, um sowohl in der Innenstadt wie auch vor dem Bundesamt für Migration für Schutz und Asyl für die Kriegsdienstverweiger*innen einzutreten.
Aktuell haben wir das Flugblatt zur #ObjectWarCampaign überarbeitet. Es kann über unseren Shop bei www.Connection-eV.org/shop oder www.shop.dfg-vk.de bestellt werden. Dort finden sich auch weitere Materialien für Aktionen.
Hilfe und Beratung ist ein wichtiges Angebot für die Betroffenen. Wir bitten, Betroffene über Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Kontaktadressen haben wir auf Deutsch, Englisch und Russisch zusammengestellt unter: www.objectwarcampaign.org/contacts
Netzwerk erweitern: Gerne nehmen wir noch weitere Organisationen in das Netzwerk der #ObjectWarCampaign mit auf. Gruppen und Organisationen, die Interesse an einer Mitarbeit haben, können sich gerne bei uns melden.
Wir hoffen weiter auch auf finanzielle Unterstützung, insbesondere, um die Organisationen unterstützen zu können, die sich direkt für die betroffenen Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen einsetzen: Konto DE47 5055 0020 0006 0853 77 bei Sparkasse Offenbach.
Die letzten zwei Jahre waren eine sehr intensive Zeit der Unterstützung und des Eintretens für Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine. Wir bedanken uns bei allen für die so wichtige Unterstützung. Wir freuen uns auch über Berichte über Aktivitäten und Veranstaltungen, die wir weiterverbreiten können.
Herzlichen Dank
Rudi Friedrich und Zaira Zafarana von Connection e.V.
Connection e.V.: Zwei Jahre #ObjectWarCampaign - Aktueller Bericht zur Kampagne, 4. Oktober 2024
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