Rudi Friedrich

Rudi Friedrich

"Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, Deserteur*innen und Verweiger*innen zu unterstützen"

Redebeitrag von Rudi Friedrich auf dem Bundeskongress der DFG-VK

(05.10.2024) Liebe Freunde, liebe Freundinnen,

ich freue mich hier bei Euch in Halle zu sein. Mit vielen von Euch verbindet uns eine hervorragende jahrelange Zusammenarbeit. Die DFG-VK ist zu einer sehr wichtigen Organisation geworden, wenn es darum geht, Kriegsdienstverweiger*innen aus Kriegsgebieten zu unterstützen und die #ObjectWarCampaign voranzubringen. Danke.

Und auch frisch gekürte Preisträger*innen sind da. Ich begrüße besonders Timofey Vaskin von der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland und Olga Karatch, die sich unermüdlich für die Kriegsdienstverweiger*innen aus Belarus einsetzt. Yurii Sheliazhenko von der Ukrainischen Pazfistischen Bewegung kann ja heute leider nicht dabei sein, weil er nicht aus der Ukraine ausreisen kann. Herzlichen Glückwunsch Euch allen für den gestern verliehenen Ludwig Baumann Preis 2024.

Ich hatte immer wieder Ludwig Baumann getroffen, mit ihm verschiedene Veranstaltungen durchgeführt. Ich war immer begeistert, mit welcher Zielstrebigkeit – und auch mit welcher Ausdauer – er sein Ziel verfolgte. Über Jahrzehnte hinweg. Bis dann 2009 wirklich eine vollständige Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile erfolgte.

Ihm war es immer besonders wichtig, nicht nur auf die Vergangenheit zu schauen, sondern auch die aktuellen Kriege, die aktuelle Militarisierung zu kritisieren und anzuprangern: „Kriegsverrat ist für mich eine Friedenstat“ sagte er. Eine Ausstellung über sein Leben greift dieses Zitat auf.

Aktuelle Kriege haben wir reichlich. Der Krieg in der Ukraine, der Krieg in Israel/Palästina/Libanon/Iran, Sudan, Türkei, Myanmar, Syrien, DR Kongo, Kolumbien, Jemen und noch einige mehr. Nicht alle sind so im Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit wie der Krieg in der Ukraine oder auch der Krieg im Nahen Osten. Alle diese Kriege haben – so unterschiedlich auch die Gründe sind – aber eines gemeinsam: Sie werden auf Kosten der jeweiligen Bevölkerung geführt, mit Tausenden von Toten und weitreichenden Zerstörungen. Und jeder Kriegstag erhöht die Gefahr der Ausweitung und Eskalation eines Krieges. Im Nahen Osten ist das aktuell nur allzu deutlich.

Angesichts dessen, und angesichts einer breiten bellizistischen Stimmung, die von vielen Politiker*innen befeuert wird, müssen wir uns eins immer wieder bewusst machen: Wir setzen diesen Kriegen hier und heute ein Zeichen entgegen. Wir brauchen politische Lösungen. Wir brauchen ein Ende der Gewaltspirale. Wir müssen auf diejenigen hören, die sich – wo auch immer – der Gewalt entgegenstellen.

Und dafür haben wir Verbündete, Hunderttausende. Sie stehen in aller Regel nicht in der Öffentlichkeit, weil sie aufgrund der Repressionen, Strafverfolgung, Rekrutierung und Zwangsverpflichtungen keine Chance haben, sich öffentlich gegen einen Krieg zu stellen. Es sind Kriegsgegner*innen, es sind Kriegsdienstverweiger*innen, es sind Militärdienstentzieher*innen und Deserteur*innen. Und ich betone, es geht hier nicht nur um Männer, sondern auch um Frauen, die sich verweigern.

Sie sind Verbündete, aber ihre Motive zur Verweigerung sind durchaus unterschiedlich. Es sind einige überzeugte Kriegsdienstverweiger*innen unter ihnen, andere verweigern sich, weil ihre Familien aus Ländern beider Kriegsparteien kommen, andere wollen nicht den Kopf für das jeweilige Regime hinhalten. Und dann gibt es noch die, die einfach leben wollen, statt sich ihr Leben in einer von Gewalt bestimmten Gesellschaft, im Militär, an der Front zerstören zu lassen.

Heute soll es konkreter um die Situation der Verweiger*innen aus dem Ukrainekrieg gehen. Hier stellt sich tatsächlich die Frage, wie die Bundesregierung, wie die Europäische Union damit umgeht, dass Hunderttausende auf beiden Seiten das Weite suchen.

Zum 15. Mai 2023 hatten wir 50.000 Unterschriften in Berlin und Brüssel für Schutz und Asyl für die Betroffenen übergeben. Die Antworten der EU-Institutionen waren jedoch ernüchternd. Für russische Verweigerer wird auf die Regelungen der Asylverfahren verwiesen: „In Bezug auf Kriegsdienstverweigerer und Deserteure heißt dies, dass das europäische Asylrecht und die damit verbundenen Verpflichtungen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention gelten.“ Das bedeutet in der Konsequenz, dass lediglich politisch Aktive aus Russland und Belarus und Deserteur*innen aus Russland Hoffnung haben können, einen Flüchtlingsstatus zu erhalten. Frankreich und Deutschland haben sich entsprechend positioniert. Die Bundesregierung hatte im April 2022 Jahres erklärt, dass russische Deserteure Asyl erhalten sollen. Ihre Desertion werde in Russland als politischer Akt gegen den Krieg angesehen. Für Militärdienstentzieher wurde dies jedoch ausdrücklich ausgeschlossen. Das bedeutet, dass genau diejenigen, die so klug waren, sich bereits vor einer Rekrutierung zum Militär und damit einem möglichen Einsatz im Krieg zu verweigern, abgelehnt werden. Begründung: Es sei nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie für den Krieg einberufen werden.

Aber es war ja schon extrem schwierig für sie, in die Europäische Union zu kommen. Die baltischen Staaten und Polen schlossen die Grenzen für russische Staatsbürger*innen. Andere Länder reagierten mit strikteren Visaregelungen. Und auch deutsche Botschaften, so wurde uns von Angehörigen mitgeteilt, verweigerten in so manchen Fällen eine Visumserteilung, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Person rechtzeitig wieder zurückkehre. Ja natürlich nicht, es geht ja gerade darum, Schutz in einem anderen Land zu erhalten. Und so weist Deutschland Schutzsuchende schon vor der Einreise ab. Die Grenzen wurden also abgeriegelt.

Für uns ist klar: Militärdienstentzieher wären bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Russland einer Rekrutierung für den Krieg unterworfen. Deshalb: Nicht nur Deserteur*innen, sondern auch die große Zahl der Militärdienstentzieher muss Schutz erhalten.

Für ukrainische Kriegsdienstverweigerer, die sich in der Ukraine strafrechtlicher Verfolgung oder der Entsendung an die Front ausgesetzt sehen, antwortet die Europäische Union: „Im Bezug auf die Ukraine ist die EU des Weiteren im konstanten Austausch mit den Ukrainischen Regierungsorganen. Diese Gespräche decken alle Politikfelder ab.“ Eine klare Positionierung zur Kriegsdienstverweigerung fehlt. Niemand aus der EU drängt darauf, dass das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung, wie es von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2011 definiert wurde, auch wirklich in der Ukraine umgesetzt wird.

Die Realität: Zwangsrekrutierungen auf den Straßen, einige Verweigerer wurden bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. 3 Jahre Haft erhielt Dmytro Zelinsky, Andreii Vyshnevetsky wurde gegen seinen Willen an die Front geschickt, 3 Jahre Haft erhielt Vitaly Alekseyenko. Zudem werden Aktive der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, die diese Verweigerer unterstützen, unter Druck gesetzt. Das Büro von Yurii Sheliazhenko, dem Geschäftsführer der Organisation, wurde durchsucht. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Unterstützung des Feindes. Die Kriegsdienstverweigerung wird vom ukrainischen Militär als eine gefährliche Handlung angesehen.

Von Angehörigen und Bekannten erhalten wir nach wie vor viele Anfragen, wie ihre Männer die Ukraine verlassen können. Wer es auf illegalen Wegen versucht, riskiert die Festnahme an der Grenze.

Dennoch haben es viele geschafft, in die Europäische Union zu kommen. Hier erhalten sie zumindest befristet einen humanitären Aufenthalt. Das schützt sie vorläufig vor Abschiebung und Verfolgung. Aber langfristig werden auch sie vor der Frage stehen, wie sie sich einer Verfolgung wegen ihrer Verweigerung entziehen können. Und einige Politiker*innen stellten wiederholt die bestehenden Regelungen für einen befristeten Aufenthalt gerade für Militärdienstpflichtige in Frage.

Für uns ist klar: Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung ist ein unveräußerliches Recht. Es muss gerade auch in Kriegszeiten gelten, für jeden und jede, für Männer wie für Frauen, für Rekrut*innen wie für Soldat*innen und Reservist*innen. Es ist zwingend notwendig, dass die Europäische Union dies auch gegenüber der Ukraine vertritt. Und solange ukrainische Verweiger*innen zu Haftstrafen verurteilt oder an die Front gebracht werden, müssen sie Schutz erhalten.

Wir sehen: Auf allen Seiten stellen sich Frauen und Männer der Kriegsrhetorik mutig entgegen. Sie verweigern sich – auf welcher Seite auch immer – dem Grauen des Krieges. Und das sind nicht wenige, wenn wir uns den Krieg in der Ukraine anschauen. Über 250.000 sind aus Russland geflüchtet, damit sie nicht zum Krieg einberufen werden. Über 300.000 haben die Ukraine verlassen, um nicht mitkämpfen zu müssen. In Belarus gab es Zehntausende, die vor einer drohenden Einberufung das Weite gesucht haben. Und das gilt auch für den Krieg in Israel/Palästina/Libanon. Auch dort gibt es Menschen, die sich dem Krieg entgegenstellen, protestieren, sich der Beteiligung am Krieg verweigern.

In ihren Ländern werden sie allzu oft diffamiert. Sie sind als Verräter an der gemeinsamen nationalen Sache verschrien. Es gelte doch, so wird ihnen entgegengehalten, dass sich jeder für den Staat einsetzt und mit in den Krieg zieht. Dabei haben sie eine Entscheidung für die Zukunft getroffen: Ihr Ziel ist es, nicht zu töten oder sich töten zu lassen. Ihr Ziel heißt Leben, ihr eigenes wie das aller anderen.

Und so ist Desertion, Verweigerung und Befehlsverweigerung ein bedeutsamer Teil des Widerstandes gegen den Krieg. Es ist ein Akt der Selbstbestimmung und Humanität. Deserteur*innen und Verweiger*innen sind Sand im Getriebe der Kriegsmaschinerie. Sie setzen ein Zeichen, dass es Alternativen gibt: zu Kampf, Zerstörung, zum Töten.

Und unsere Aufgabe ist es, sie zu unterstützen. Liebe Freundinnen und Freunde, und deswegen bin ich so froh, dass ihre Arbeit gestern so gewürdigt wurde – und dass wir nun auch sie selbst hier hören können.

Danke

Rudi Friedrich: Redebeitrag auf dem Bundeskongress der DFG-VK in Halle (Saale). 5. Oktober 2024.

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