Israel: Hunderte Soldat*innen drohen mit Verweigerung
(21.10.2024) Mattan hier. Ich bin der Geschäftsführer von Refuser Solidarity Network und verbrachte 2017 110 Tage im Gefängnis, weil ich mich weigerte, der israelischen Besatzung zu dienen. Vor einigen Wochen schrieb das Refuser Solidarity Network (RSN), dass Hunderte von israelischen Soldaten kurz davor stehen, sich der wachsenden Verweiger*innen-Bewegung inmitten von Israels lange währenden Krieg in Gaza anzuschließen. Jetzt haben 130 Soldat*innen einen offenen Brief veröffentlicht und drohen damit, den Dienst zu verweigern, wenn nicht unverzüglich ein Abkommen über die Freilassung von Geiseln und damit ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wird, das Israels Angriffen ein Ende setzen könnte. Viele der Unterzeichner*innen haben bereits in der Vergangen ihre Verweigerung erklärt. Seit über 20 Jahren bietet das Refuser Solidarity Network allen israelischen Kriegsverweiger*innen entscheidende rechtliche und strategische Unterstützung.
130 israelische Soldat*innen und Reservist*innen haben sich dem offenen Brief angeschlossen, der diese Woche veröffentlicht wurde. Sie wenden sich an Premierminister Benjamin Netanjahu und machen ihre weitere Dienstverpflichtung von der Unterzeichnung eines Abkommens über die Freilassung der Geiseln und die Beendigung des Krieges abhängig. Dies ist die erste Massenverweigerung israelischer Soldat*innen aus Protest gegen Krieg und Besatzung, die es in den letzten Jahren gegeben hat.
„Wir, Reservist*innen und reguläre Soldat*innen, sowohl Offiziere als auch Soldat*innen, erklären hiermit, dass wir unter diesen Umständen nicht weitermachen können. Der Krieg in Gaza verurteilt unsere entführten Brüder und Schwestern zum Tode.
An jenem verfluchten Tag, dem 7. Oktober, erwachten wir und sahen ein schreckliches und wahlloses Massaker, bei dem mehr als tausend Menschen getötet und Hunderte entführt wurden. Wir haben uns sofort gemeldet, um für die Verteidigung unseres Landes zu kämpfen und die Geiseln im Gazastreifen zu befreien.
Heute ist klar, dass die Fortsetzung des Krieges im Gazastreifen nicht nur die Rückkehr der Geiseln verzögert, sondern auch ihr Leben gefährdet: Viele Geiseln sind durch die Bombardierungen der israelischen Armee getötet worden, viel mehr als diejenigen, die bei Militäroperationen gerettet wurden.
Wir, die wir mit Hingabe gedient haben und weiterhin dienen und dabei unser Leben riskieren, kündigen hiermit an, dass wir unseren Dienst nicht fortsetzen können, wenn die Regierung nicht sofort ihren Kurs ändert und auf eine Einigung hinarbeitet, um die Geiseln nach Hause zu bringen.
Für einige von uns ist die rote Linie bereits überschritten, für andere rückt sie rasch näher: der Tag, an dem wir uns mit gebrochenem Herzen nicht mehr zum Dienst melden werden.
Wir rufen die Regierung auf: Unterzeichnen Sie jetzt ein Abkommen, um die lebenden Geiseln zu retten!“
Der Brief macht die Wahl, vor der die israelische Gesellschaft steht, sehr deutlich: entweder die Geiseln oder der Krieg, die Anerkennung des Wertes des Lebens oder der unstillbare Hunger nach mehr Zerstörung. Angesichts einer so klaren Entscheidung wird diese neue Verweigerungswelle nur dazu dienen, mehr Menschen zu mobilisieren, sich zu verweigern, um dem Massengemetzel in Gaza ein Ende zu setzen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass dieser Brief an die israelische Öffentlichkeit gerichtet ist und eine Sprache verwendet, die im zeitgenössischen israelischen Diskurs Widerhall findet und die Macht hat, den Krieg jetzt zu beenden und ein Waffenstillstandsabkommen zu erzwingen. Der Brief wirft grundlegende Fragen für die Israelis auf: Für wen sterben wir? Sind Krieg und Tod mehr wert als unser eigenes Leben? Ist das alles in unserem Interesse? Wie lange sind wir noch bereit, unser eigenes Leben und das unserer Kinder auf dem Altar der jüdischen Vorherrschaft zu opfern? Wir können nicht so tun, als sei der Preis für Krieg, Besatzung und die andauernde Nakba, den Palästinenser*innen und Israelis zu tragen haben, auf beiden Seiten gleich hoch, ganz im Gegenteil. Aber wir wissen auch, dass die Überwindung des Regimes der ethnischen Vorherrschaft in Israel/Palästina erfordert, dass sich auch die Israelis mit dem Preis auseinandersetzen, den eine Gesellschaft zahlt, die auf Kosten einer anderen existiert.
Diese neue Verweiger*innen-Welle stellt nun die eine besondere Herausforderung für den Krieg aus dem Inneren Israels dar, mehr noch als die israelische Massenprotestbewegung, die auf einen Geisel-Deal drängt. Im Gegensatz zu den Protestbewegungen gibt es eine viel längere Geschichte, in der sich die israelische Regierung den Forderungen der Verweigerungsbewegungen beugt.
Refuser Solidarity Network: Hundreds of Israeli soldiers threaten to refuse to fight in Gaza. 21. Oktober 2024. https://www.refuser.org/refuser-updates/2024/10/21/hundreds-of-israeli-soldiers-threaten-to-refuse-to-fight-in-gaza. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2024
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