Blick von der Friedensbrücke in Tbilisi

Blick von der Friedensbrücke in Tbilisi

Georgien: Ein unsicheres Land für viele Geflüchtete

von Rudi Friedrich

(18.11.2024) In Tbilisi in Georgien treffen wir Igor, Vlad, Maria, Dari und Tatjana. Sie alle kommen aus Russland und sind vor einem Kriegs­ein­satz und vor möglichen Repressionen nach Georgien geflohen.
Nicht alle, die wir dort treffen, geben uns ihren echten Namen an. Zu unsicher ist die Situation, gerade für russische Dis­si­dent*in­nen, oder auch Kriegs­­dienst­­ver­wei­­ger*in­nen und De­ser­teur*in­nen.
Die Organisation Idite Lesom, die De­ser­teur*innen dabei hilft, Russland zu verlassen, berichtet, dass mit dem vor wenigen Monaten in Georgien verabschiedeten Gesetz gegen die Einflussnahme aus dem Ausland ihr Risiko deutlich gestiegen ist: „Nun gibt es auch hier Straftatbestände, die denen in Russland entsprechen. Und damit ist von heute auf morgen eine Auslieferung möglich. Viele aus unserer Gruppe sind unverzüglich ausgereist.“ Glücklicherweise fanden sie Aufnahme in einem westeuropäischen Land um ihre Arbeit fortzusetzen.
Über 70.000 Migrant*innen aus Russland befinden sich in Georgien. Russische Staatsbürger können nach wie vor ohne Visa einreisen. Aber die Skepsis gegenüber dieser Gruppe von Migrant*innen wächst. Grund dafür, so konnten wir immer wieder hören, sind die Folgen der Migration. Zehntausende kamen nicht nur aus Russland, sondern auch aus der Ukraine. Die Mieten und Lebenshaltungskosten stiegen deutlich. Hinzu kommt, dass die von Russland militärisch unterstützten Abspaltungen von Abchasien und Süd-Ossetiens tiefe Spuren hinterlassen haben.

Arbeit aus dem Exil

Viele stellen sich die Frage, wie denn die russischen Exilorganisationen tatsächlich Menschen aus Russland noch helfen können? In der Tat sind die meisten Aktiven aus Russland in den unterschiedlichsten Ländern Westeuropas. Die Sozialen Medien wie auch verschiedene Messengerdienst wie Telegram oder Signal bieten aber Möglichkeiten, weiterhin online Beratung anzubieten, die auch in Russland wahrgenommen werden kann. Und die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland hat umfangreiches Beratungsmaterial und Handreichungen vorbereitet, wie eine Rekrutierung zum Militär und in den Krieg vermieden werden kann.
Andere, wie InTransit, beschäftigen sich damit, wie auch Deserteur*innen Zugang nach Westeuropa erhalten können. Bisher hatten Deutschland und Frankreich lediglich politisch Aktiven mit entsprechenden Nachweisen ihrer Aktivitäten und über mögliche Strafverfolgung humanitäre Visa ausgestellt. Nun gab es die erste Meldung, dass Frankreich auch sechs Deserteur*innen die Einreise gestattet hat.
Ein Aktiver der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung stellt uns in Tbilisi ein neues Projekt der Organisation vor. Nach ihren Schätzungen sind zumindest 100 russische Deserteur*innen nach Armenien gegangen, 300 leben in Georgien. Ihre Situation ist schwierig, da sie keinen auf Dauer sicheren Aufenthalt haben. Wer über längere Zeit in Georgien bleiben will, muss mindestens ein Mal im Jahr aus- und wieder einreisen und die Grenzbehörden haben bereits angefangen, russischen Oppositionellen die Wiedereinreise zu verweigern.
Die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung will mit ihrem Projekt zum einen Deserteur*innen Ersthilfe anbieten, etwas Geld geben und auch Tipps, wo sie unterkommen können. Langfristig wollen sie sie dabei unterstützen, humanitäre Visa zu erhalten oder aber auch eine Perspektive in Georgien bzw. Armenien aufzubauen. Weitergehende Hilfe bietet die Organisation nur denjenigen an, die sich einer Überprüfung unterziehen. „Wir wollen niemanden unterstützen, der an Kriegs­verbrechen beteiligt ist. Deshalb fragen wir genau nach und prüfen die Angaben.“
Zuletzt besuchten wir noch ein Safe House für Dissident*innen aus Russland und Geflüchtete aus der Ukraine. Dort leben bis zu 25 Personen gemeinsam in einem Haus. Sie bieten damit auch neu Ankommenden einen befristeten Schutz. Einige, die das Haus organisieren, sind schon seit Beginn des Krieges dort. Viele kommen nur vorübergehend, immer mit der Hoffnung, weiterwandern zu können in ein Land, wo es wirklich sicher ist und wo sie sich eine Zukunft aufbauen können.

Rudi Friedrich: Georgien - Ein unsicheres Land für viele Geflüchtete. 18. November 2024

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