Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2024

Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2024

Rebellen gegen die Wehrpflicht: Die Totalverweigerer

Eine Buchbesprechung

(18.11.2024) Die Totalverweigerer erschienen mir irgendwie konsequenter: Sie waren bereit für ihren Standpunkt wie Don Quijote vor Gericht zu kämpfen und nahmen dafür auch Gefängnis in Kauf.

Lang ist´s her. Nachdem mein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung abgelehnt worden war, floh ich nach West-Berlin, wurde dann doch anerkannt – aber da ich dort keine Perspektive hatte, leistete ich notgedrungen Zivildienst. Aber die damit verbundene Erfüllung der Militärdienstpflicht, die Einbindung in die Gesamtverteidigung, die den Soldaten gemäße Entrechtung, die Zwangsarbeit, die gingen mir gehörig auf den Wecker – und ich wehrte mich so gut es eben ging. Glücklicherweise konnte ich nach zwei Drittel den Zivildienst auf legale Weise beenden, da ich einen Studienplatz bekommen hatte. Und bin so nochmals glimpflich davon gekommen.

Die Totalverweigerer dagegen erschienen mir irgendwie konsequenter. Aber einen als aussichtslos empfundenen Kampf zu führen und im Gefängnis zu landen war mir dann doch zu krass.

Nun hat der Zivildienstabbrecher Christoph Bausenwein mit über 500 Seiten ein gewichtiges Werk über praktisch so ziemlich alles, was ihn bewegte und was er erlebte, zusammengetragen. Zweimal 8 = 16 Monate musste er dafür ins Gefängnis. Das Buch ist nachvollziehbar geschrieben, gut recheriert und ist sowohl als Geschichtsbuch als auch als Diskussionsgrundlage geeignet. Leider taugt es als Nachschlagewerk nur bedingt: Dafür wäre ein Personen- und Themenverzeichnis notwendig, zudem vermisste ich oftmals die Quellenangaben.

Da das Buch ja auch irgendwie meine Geschichte wiedergibt, fand ich vieles, das mich an damals erinnerte, das ich genauso sah, das er an manchen Punkten besser einschätzte als ich, aber auch Punkte, wo gängige Vorurteile gegen Totalverweigerer bestätigt werden: Alles „extreme Individualisten“ (S. 274). Das ist kein Vorwurf, sondern Resultat der Selbstbehauptung – man muss ja seine ureigensten Motive gegen eine durchaus andersgepolte Umwelt zur Geltung bringen. Wenngleich dieser „Individualismus“ dann, in der Totalverweigerungsbewegung, wieder zum Hindernis für eine effiziente Zusammenarbeit wurde.

Beim Lesen hatte ich immer wieder das Gefühl, dass er es inzwischen bereut, dass er diesen jahrelangen Kampf mit sich, seinen Eltern, der Gesellschaft und vor Gericht und dann im Gefängnis ausgetragen hat. Er hat ihn sich wohl nicht so zermürbend vorgestellt. Aber hätte er anders handeln können? Hätte er dann doch irgendwie den verhassten (Rest-)Zivildienst wieder ableisten sollen?

Gut, vieles in dem Buch ist nicht für mich geschrieben: Philosophie, Fußball, Paragraphen, Gefängniskameraden… Bausenwein ist Militärdienstpflichtgegner, daran habe ich keinen Zweifel, er macht sich auch jetzt Gedanken über die Lage der Verweigerer in Russland und der Ukraine. Aber was mich dann doch erstaunt ist, dass er „das Ideal der Gewaltfreiheit“ ablehnt (S. 486), und für eine Berufsarmee (S. 495) und ein starkes europäisches Militär (S. 502) plädiert. Auch zum Ukraine-Krieg übernimmt er das herrschende Russland-Bild und spricht sich für Waffenlieferungen an die Ukraine (S. 485) aus. Ich denke dagegen, dass es unsere Aufgabe ist, pro-Militär- und pro-Kriegsargumente zu hinterfragen, wenn möglich zu dekonstruieren, und alles zu tun, damit dieser Krieg sofort beendet wird. Denn er ist nicht nur für die Leute in der Ukraine (und Russland) eine Katastrophe, er zerstört auch die gesellschaftlichen Grundlagen hier.

Aber, wie gesagt, man kann das Buch auch als Dokument über eine Zeit, als es die Militärdienstpflicht noch gab – und wie sich der Kampf dagegen gestaltete, lesen. Da sie ja schon bald wieder kommen soll, kann es eine Hilfe sein, frühere Fehler zu vermeiden.

Christoph Bausenwein: Kein bisschen Frieden – Eine Rebellion gegen die Wehrpflicht. edition einwurf, Rastede 2024, ISBN 978-3-89684-721-8. 512 S., 30 €.

Franz Nadler: Rebellen gegen die Wehrpflicht: Die Totalverweigerer. Buchbesprechung. 18. November 2024. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2024

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