Russland: Fehlende Hilfe für Verweiger*innen
(24.04.2025) Im Januar 2025 gab es zwei bemerkenswerte Urteile des Verwaltungsgerichtes Berlin. Russischen Militärdienstpflichtigen wurde Flüchtlingsschutz gewährt. Damit stellte sich das Verwaltungsgericht gegen eine zuvor getroffene Entscheidung des höherrangigen Oberlandesgerichtes Berlin-Brandenburg.
Das Verwaltungsgericht hatte in den Entscheidungen viele Informationen aufgegriffen, die russische Antikriegsgruppen zur Lage der Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen in Russland zusammengetragen haben. In Russland angewandte Rekrutierungsmethoden seien als besonderes rabiat, übergriffig und in weiten Teilen illegal anzusehen. Zudem sei das existierende Recht auf Kriegsdienstverweigerung kaum noch wahrzunehmen und Alternativdienstleistende könnten zu Dienstleistungen im Militär einberufen werden. „Auch riskieren Wehrpflichtige, die sich zur Begründung ihres Antrags auf eine etwaige Anti-Kriegs-Einstellung berufen“, so das Gericht „dass sie in der Folge wegen ‚Diskreditierung der Armee‘ oder ähnlichen Tatbeständen strafrechtlich verfolgt werden.“ (AZ VG 33 K 519/24 A)
Das Gericht erklärte zudem, dass es sich nach der Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischja durch Russland „aus russischer – und zugleich völkerrechtswidriger Sicht“ bei diesen Gebieten „um inländisches Gebiet handelt und Wehrdienstleistende dort grundsätzlich sofort nach der Einberufung eingesetzt werden können.“ Dies gelte auch für die Krim.
Schutz wird in Frage gestellt
Das Bundesamt für Migration legte in beiden Fällen Beschwerde ein. Nun hat das Oberlandesgericht Berlin-Brandenburg darüber zu befinden. „Es ist zu befürchten“, so Rudi Friedrich von Connection e.V., „dass das Oberlandesgericht weiter seiner eigenen Linie treu bleibt und die Schutzgewährung abweist.“ Im November 2024 hatte es in einem ähnlichen Fall argumentiert, es bestehe zwar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die Rekrutierung, aber nicht für den Einsatz im Krieg.
Das ist die nach wie vor gültige Rechtsprechung. Deserteur*innen aus Russland erhalten aufgrund einer Zusage des Bundesinnenministeriums in der Regel einen Flüchtlingsschutz. Denjenigen, die schon vor einer Rekrutierung aus dem Land geflohen sind und in Deutschland Asyl beantragen, wird dieser Schutz versagt.
Neue Erkenntnisse
Artem Klyga, russischer Jurist und Osteuropaexperte von Connection e.V., war im März 2025 im Zuge einer Recherchereise des ZDF in Armenien und sprach dort mit russischen Deserteur*innen. Sie berichteten über Rekrutierung, Mobilisierung und den Umgang mit Verweiger*innen.
So gehe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oft noch davon aus, dass die im September 2022 ausgerufene Mobilisierung im Dezember 2022 beendet worden sei. Damals gab es sehr viele willkürliche Festnahmen und Rekrutierungen. Einer der Gesprächspartner berichtete nun, dass er noch ein Jahr später von der Polizei zwangsweise zum Militärkommissariat gebracht und für den Krieg einberufen worden sei.
Drei der Interviewten bestätigten die Existenz von Sturmgruppen, die an die vorderste Front geschickt werden. Sie bestehen hauptsächlich aus Personen, die aus Gefängnissen heraus rekrutiert wurden. Eine Versetzung in solch eine Einheit kann auch auf Anordnung des Befehlshabers erfolgen, z.B. bei Unbotmäßigkeit, Beschwerden oder Befehlsverweigerung.
Drei der Interviewten schilderten auch, dass es nach Konflikten mit Vorgesetzten zu Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Hinrichtungen gekommen sei. Einer bestätigte, dass er selbst Zeuge solch einer Hinrichtung geworden sei.
Armenien ist nicht sicher
Die Deserteur*innen fühlen sich in Armenien nicht sicher. Das Land versucht zwar, stärkere Unabhängigkeit von Russland zu erreichen. Artem Klyga erfuhr jedoch, dass mindestens zwei Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes in der Stadt Eriwan tätig sind. Auch die Nähe der im Norden Armeniens gelegenen russischen Militärbasis in Gyumri sowie die Aktivitäten der russischen Militärpolizei beunruhigt.
Informationen ernst nehmen
Die Praxis in Deutschland und anderen EU-Ländern ist von Abwehr gegenüber russischen Verweiger*innen geprägt. Ein erster Schritt wäre, die Informationen der Menschenrechtsorganisationen aus Russland wirklich ernst zu nehmen. Letztlich geht es aber darum, denen wirklich Schutz anzubieten, die sich unter großen Risiken dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands entziehen.
Connection e.V.: Fehlende Hilfe für Verweiger*innen. 24.04.2025. Der Beitrag erschien in der Beilage der Wochenzeitung „der Freitag“ und der graswurzelrevolution
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