Deutschland: Dienen - Die neue Freiheit?
(24.04.2025) Mitte April 2025 einigte sich die Koalition aus CDU, CSU und SPD auf die Grundsätze der neuen Regierungspolitik. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sei noch nicht vorgesehen. „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“, schreiben die Koalitionär*innen. „Wir orientieren uns dabei am schwedischen Wehrdienstmodell. Noch in diesem Jahr werden wir die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“.
Andere Vorschläge gingen da bereits weiter. Bundespräsident Steinmeier hatte den Vorschlag eines „verpflichtenden Dienstes“ für alle eingebracht. Die CDU hatte in ihrem Wahlprogramm geschrieben, die „Aussetzung der Wehrpflicht zu beenden“, die es bis 2011 gegeben hatte. Und die Spitze der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion brachte im März 2025 sogar einen verpflichtenden „Freiheitsdienst“ für alle in die Debatte ein: Alle Frauen und Männer sollen irgendwann zwischen 18 und 67 Jahren sechs Monate Dienst tun – entweder Militärdienst, Dienst im Bevölkerungsschutz, bei Feuerwehr oder Hilfsorganisationen oder sechs Monate Gesellschaftsdienst.
Begründet werden all diese Vorschläge mit der neuen Bedrohungslage. Diese gebiete eine „glaubhafte Abschreckung“, so die SPD. Es gehe darum, wieder kriegstüchtig zu werden, so hatte es der alte und vermutlich auch neue Verteidigungsminister Pistorius gefordert.
Waffen, Soldat*innen und Werbung für den Krieg
Um Krieg führen zu können werden Waffen und Soldat*innen benötigt. Schon vor der Regierungsbildung hat sich die Koalition schier unbegrenzte Geldmittel für Aufrüstung genehmigt. Aber Waffen lassen sich leichter beschaffen als willige Menschen.
Borussia Dortmund oder Kassel Huskies, TikTok-Clips, die Popcorn-Tüte im Kino, die Straßenbahn: Überall Werbung für den Dienst bei der Bundeswehr. Auch die Soldat*innen sind in ihrer Freizeit angehalten, ihre Zugehörigkeit zur Bundeswehr zu zeigen. Sie dürfen nur dann kostenlos mit der Bahn fahren, wenn sie Uniform tragen.
Neu geschaffen wurde der Veteranentag, der nun jährlich am 15. Juni stattfinden soll. Tage der Offenen Tür, Berufsmessen, Ausstellungen, bei allen größeren Ereignissen ist die Bundeswehr nicht mehr zu übersehen. Aber obwohl eine Werbekampagne die andere ablöst, sind die Erfolge bescheiden. Es gibt rückläufige Zahlen bei Bewerbungen und bei Neueinstellungen. Die Personalstärke der Bundeswehr sank 2024 um 340 Personen. Zudem verlassen 25% der Neuen die Bundeswehr noch innerhalb der Probezeit von sechs Monaten.
Eine weitere Werbekampagne durchzieht die Schulen: Bayern schritt voran mit dem „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr an Schulen“. Nun werden die restlichen Länder aufgefordert, nachzuziehen.
Wer sich bewirbt, sieht für sich trotz vieler unbesetzter Lehrstellen tatsächlich wenig Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt. Bewerber*innen kommen vor allem aus abgehängten Gegenden. Es finden sich unter ihnen weit überdurchschnittlich viele autoritär strukturierte Menschen, die gerne mit Waffen hantieren: Militarist*innen, Nationalist*innen, und eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Rechtsaußen. Die AfD ist in der Bundeswehr stark verankert. Die Rechtsextremen, gerade auch unter den Reservist*innen, machen der Bundeswehr immer mehr zu schaffen. Jedes Jahr gibt es mehr sogenannte meldepflichtige Ereignisse, dass jemand den Hitlergruß zeigt, Hakenkreuze malt usw. Man zeigt sich überfordert; selten kommt es zu Entlassungen.
Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen wollen, melden sich nur selten zum Militär und wollen mit Kriegsvorbereitung nichts zu tun haben. Sie werden auch zukünftig nicht dazu bereit sein. „Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung“ sagen sich auch immer mehr Soldat*innen und Reservist*innen, die den Kriegsdienst verweigern. Fast 2.500 stellten bis 31. Oktober 2024 einen Antrag, 50% mehr als im Vorjahr.
Die Bundeswehr will ein Abbild der Gesellschaft sein und damit ihre Verankerung beweisen. Da einfach nicht genügend „richtige“ Männer zum Waffendienst bereit sind, nimmt man jetzt auch Frauen und sexuelle Minderheiten. Die haben es aber dort nicht einfach. Sie müssen mit Schikanen, Beleidigung und Herabwürdigung rechnen. Während es in der Gesellschaft 50% Frauen gibt, begnügt sich die Bundeswehr mit der Vorgabe von 20%. Tatsächlich dienten im letzten Jahr lediglich 24.674, 13,62%.
Es lässt sich also feststellen: Auch wenn immer mehr Geld in die Werbung gesteckt wird, es melden sich einfach nicht genügend. Für die Kriegsführungsfähigkeit, den „hochintensiven Landkrieg“ werden deutlich mehr Soldat*innen gebraucht. Schon bis 2025 sollte der Umfang der Bundeswehr von derzeit 180.000 auf 203.000 ansteigen, Pistorius hätte gerne 230.000, die Planer sagen: besser wären mehr als 270.000. Ein Mittel dazu soll die erweiterte Rekrutierung der Reservist*innen sein.
Seit 2011 ist der Dienst der Reservist*innen freiwillig. 50.000 stehen dafür zur Verfügung, man hat aber die letzten Jahre nicht mal 20.000 herangezogen. Nun will man den Kreis auf zunächst 90.000 und dann auf 200.000 aufstocken und tatsächlich zu Übungen einberufen. Gerade hat der Reservistenverband eine Million Reservisten gefordert. Für den Krieg wird selbst das nicht reichen! Derzeit können Reservisten bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres herangezogen werden. Auch diese Altersgrenze soll fallen.
Die Militärdienstpflicht war 2011 ausgesetzt worden, mit dem Argument, dass es für zukünftige Kriege vor allem gut ausgebildete Spezialist*innen und nicht so sehr Riesenheere bräuchte. Aber wie im Zweiten Weltkrieg setzt man wieder auf Soldatenmassen, die dann kämpfen sollen.
Schritte zur Wiedereinführung der Wehrpflicht
Noch ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht umsetzbar. Es fehlt an vielem: Kasernen, Übungsplätzen, Ausbilder*innen, Waffen, Uniformen. Aber mit dem von Verteidigungsminister Pistorius im Sommer letzten Jahres eingebrachten Vorschlag wird ein erster Schritt gemacht. Die Daten aller 17-jährigen sollen von den Einwohnermeldeämtern eingeholt werden. Alle sollen einen Fragebogen erhalten. Männer sind verpflichtet, ihn auszufüllen. Frauen können das freiwillig tun. Wer sich positiv zu einem Einsatz in der Bundeswehr äußert bzw. dessen Fähigkeiten gefragt sind, wird zu einem Vorgespräch eingeladen. Aus diesem Pool sollen dann zunächst 5.000 verpflichtet werden.
Dies entspricht dem schwedischen Modell, das im Koalitionsvertrag angesprochen wird. In Schweden steht dahinter eine Wehrpflicht für Männer und Frauen, die dann greifen soll, wenn sich nach einem solchen Auswahlverfahren nicht genügend freiwillig melden. Und genau das wurde auch für Deutschland klar formuliert: Wenn es nicht genügend Freiwillige gibt, soll auch unter Zwang rekrutiert werden. Die Pläne zur Wiedereinführung der Wehrpflicht liegen also auf dem Tisch.
Noch gibt es die rechtliche Möglichkeit den Einwohnermeldeämtern die Datenweitergabe zu untersagen. Das sollten alle nutzen, für die klar ist, dass sie nicht einverstanden sind. Soldat*innen und Reservist*innen: Verweigert, wenn ihr Krieg ablehnt.
Am Ende eine allgemeine Dienstpflicht?
Am weitesten vorgeprescht waren die bayerischen Grünen mit ihrem Vorschlag eines verpflichtenden „Freiheitsdienstes“. Allein schon der Begriff vernebelt die Absicht, alle zu einem zumindest halbjährlichen Dienst zu zwingen, abzuleisten bei der Bundeswehr oder im sozialen oder ökologischen Bereich. Vorbilder sind der ehemalige Zivildienst, Ersatzdienste bei den Blaulichtorganisationen und das Freiwillige Soziale bzw. Ökologische Jahr. Dafür geworben wird mit Begriffen wie Gesellschaftsdienst, Demokratiewehrpflicht oder eben Freiheitsdienst. All das täuscht darüber hinweg, dass es eine Verpflichtung zu einem Zwangsdienst ist und eben kein freiwilliger Einsatz.
Viele fragen sich: „Warum reicht es nicht, wenn ich die Schule absolviere, studiere, wenn ich eine Lehre mache, arbeite und Steuern bezahle?“ Ist es Freiheit, ist es Demokratieförderung, wenn jemand zu einer Arbeit gezwungen wird, die er oder sie gar nicht machen will? Was soll der persönliche Nutzen entrechteter Arbeit sein?
Eine Zwangsverpflichtung bedeutet auch: keine tarifliche Bezahlung, kein Streik- oder Kündigungsrecht! Und was passiert jenen, die das nicht mitmachen wollen? Was passiert, wenn sie die dann fälligen Geldbußen nicht bezahlen? Werden für sie schon Gefängniszellen bereitgehalten?
Schon mal war in Deutschland Dienst für den Staat angesagt. Da wurden der Westwall und die Autobahnen gebaut, Moore entwässert… „Schön war die Zeit“, man war in der Natur, hat Lieder gesungen, Kameradschaft… Aber es ist doch zu hoffen, dass wenigstens daraus gelernt worden ist. Zumindest im Grundgesetz ist die Lehre daraus gezogen worden: Zwangsarbeit ist verboten.
Franz Nadler: Dienen – die neue Freiheit? 24. April 2025. Der Beitrag erschien in der Beilage der Wochenzeitung „der Freitag“, hrsg. von Connection e.V.
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