Russland: Bericht über die Herbsteinberufungen 2024
Rechtsverletzungen und Widerstand
(05.02.2025) Am 28. Dezember 2024 meldete das Verteidigungsministerium den Abschluss der Herbsteinberufungsphase und die Einberufung von 133.000 Personen in die Armee. Zuvor, am 17. Dezember, hatte der Moskauer Militärkommissar Maksim Loktev verkündet, dass die Einberufung in der Stadt dank des „wachsenden Patriotismus“ der Moskauer vorzeitig abgeschlossen worden sei.
Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen letztendlich zum Militärdienst eingezogen wurden und ob das Einberufungsziel in der Hauptstadt erreicht wurde. Wir wissen jedoch von vielen Wehrpflichtigen, die gegen ihren Willen zum Militär geschickt wurden.
Wir haben eine Übersicht über Verstöße gegen die Rechte der Wehrpflichtigen zusammengestellt, von denen wir durch Berichte und Anfragen an die Organisationen „Call to Conscience“, die „School of the Consripts“, Conscientious Objectors Movement und aus den Medien erfahren haben. Wir geben Beispiele für Willkür, erläutern, wie sich die Praktiken ändern und wohin dies führen könnte, vergleichen sie mit der Einberufung im Frühjahr und beschreiben, wie die Menschen ihre Rechte verteidigt haben.
1. Zwangsweise Einberufung „an einem Tag“
2. Ausmusterungsgründe ignoriert
3. Hindernisse beim Alternativen Zivildienst
4. Einberufungen in Moskau aufgrund von Entscheidungen im Frühjahr
5. Vorladungen über mos.ru und SMS
6. Razzien bei Menschen mit Migrationserfahrung und Entzug der Staatsbürgerschaft
7. Was sich nicht geändert hat
8. Wie Menschenrechtsverteidiger*innen die Situation einschätzen
1. Zwangsweise Einberufung „an einem Tag“
Dies ist eine alte Praxis. Mit jeder Einberufung nimmt die Zahl der Razzien zu, und die Wehrpflichtigen sind nun nicht nur mit Verfahrensverstößen konfrontiert, sondern auch immer häufiger mit Gewalt.
Was ist unter Willkür zu verstehen?
Die Wehrpflicht ist obligatorisch. Wenn sich jemand der Wehrpflicht entzieht, kann er strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Es ist jedoch nicht zulässig, jemanden aus seiner Wohnung oder von einem öffentlichen Platz wegzuholen und festzuhalten, um ihn zur Armee zu zwingen. Wenn ein Wehrpflichtiger geschlagen oder misshandelt wird, stellt dies einen Machtmissbrauch dar.
Darüber hinaus kann das Militärkommissariat laut Gesetz Personen nur durch einen Einberufungsbescheid zur Wehrpflicht einberufen.
Die Musterung, der Einberufungsbescheid und die Einberufung zum Sammelplatz dürfen nicht am selben Tag erfolgen. Jede Person hat das Recht, gegen den Einberufungsbescheid Einspruch zu erheben: zunächst bei einer höheren Einberufungskommission und bei deren Ablehnung bei Gericht. Solange das Gerichtsverfahren läuft, wird die Einberufung automatisch ausgesetzt. Die Einberufung „an einem Tag“ verstößt also gegen das Recht auf Rechtsschutz. Diese Verstöße haben zur Folge, dass Personen, die das Recht auf Zurückstellung, Freistellung wegen Untauglichkeit oder wegen Verurteilungen haben, in der Armee landen.
Bericht an "Call to Conscience"
Moskau, Dezember 2024
Ein Student mit einer gerichtlich bestätigten Zurückstellung und Asthma wurde in der Nähe der U-Bahn aufgegriffen, nach Ugreshskaya gebracht und in eine Einheit eingewiesen: „Am 24. Dezember gab es ein Gerichtsurteil, dass seine Inhaftierung und seine Einberufung illegal waren. Aber dieses Urteil erlaubte es uns nicht, ihn herauszuholen...“
„Sie haben wahllos alle mitgenommen“
Die Anwälte von „Call to Conscience“ beobachteten in diesem Herbst die massivsten Razzien in der Geschichte ihrer Kanzlei. Nicht jeder sucht Rechtsbeistand bei Fachleuten oder Menschenrechtsorganisationen. Daher ist es unmöglich, eine genaue Zahl zu nennen.
Bei der „Call to Conscience“-Hotline (unabhängig von der anwaltlichen Beratung) gingen 85 Meldungen über Razzien ein: 4 im Oktober, 31 im November nach dem 10. November und 50 im Dezember bis zum 16. Dezember. Davon stammten 69 Meldungen aus Moskau, die übrigen aus Makhachkala,, der Region Voronezh, der Region Yaroslawl und Tyumen.
Die Menschen wurden in der U-Bahn und auf der Straße festgehalten, aus Internetcafés, Einkaufszentren, Hostels, Kreativclustern und sogar von Konzerten mitgenommen.
Bericht an "Call to Conscience"
Dagestan, Oktober 2024
Unter dem Vorwand, die Papiere zu überprüfen, wurden sie auf der Straße angehalten und direkt aus ihrem eigenen Auto ins Militärkommissariat gebracht.
Moskau, Dezember 2024
Am Wochenende wurden die Menschen „wahllos“ zum Sammelplatz an der Ugreshskaya gebracht, vor allem aus der Metro: „Es waren auch Unteroffiziere mit Militärausweisen, Studenten, Dienstuntaugliche mit Militärausweisen, Studenten mit Zurückstellungen und Geschäftsreisende aus anderen Regionen dabei. Ein ganzes Spektrum.“
„Ein Polizeiwagen kam am Arbeitsplatz an, und sie trieben die Wehrpflichtigen zusammen.“
„Sie holen die Leute einfach von der Straße. Wir haben hier einen Haufen Bars und Lofts.“
Liste der Militärdienstentzieher*innen
Neben der massenhaften Einlieferung in das Unified Conscription Center (UCC) oder die Sammelstelle wurde in Moskau unter Berufung auf eine „Liste von Militärdienstentziehern“ eine gezielte „Jagd“ auf Personen eingeleitet. Diese begann bereits vor Beginn der Einberufungsfrist ab Ende September. Diese Wehrpflichtigen wurden mit Hilfe von Gesichtserkennungskameras - dem „Sphere“-System - aufgespürt. Im Rahmen dieses Systems wurde eine Operation namens „Conscript 2024“ durchgeführt. Meistens wurden sie in der U-Bahn oder zu Hause festgenommen, und nicht unbedingt an der registrierten Adresse. Manchmal gaben sie vor, Türen aufzubrechen, ließen die Drohungen aber nicht wahr werden. Manchmal schalteten sie den Strom ab. Es gab auch Fälle, in denen versucht wurde, Wehrpflichtige aus Krankenhäusern oder Gerichten zu holen.
Nach Beobachtungen von Beratern wurden in der „Liste der Militärdienstentzieher“, auch in der „Sphere“, folgende Personen aufgeführt:
- Diejenigen, die eine Vorladung aus dem Frühjahr haben;
- Diejenigen, die nach Erhalt einer Vorladung nicht zur Einberufung erschienen sind, einschließlich derjenigen, die gegen die Entscheidung der Einberufungsbehörde vor Gericht Berufung eingelegt haben (mindestens 17 Fälle von Berufungen laut „Call to Conscience“);
- Personen, die keine formelle Zurückstellung erhalten haben oder deren Informationen über eine Zurückstellung nicht in der UCC-Datenbank gespeichert sind;
- Personen, die nach Erhalt einer Vorladung nicht zu Einberufungsveranstaltungen oder zur Datenüberprüfung erschienen sind, auch wenn sie nur über mos.ru benachrichtigt wurden
Bericht an "Call to Conscience"
Moskau, Dezember 2024
„Ich habe einen Termin in der Klinik gemacht. Sie stehen schon bereit und warten darauf, dass ich zu dem Termin gehe.“
„Es kam eine Vorladung, in der stand, dass ich zum Militärkommissariat gehen müsse, um die Dokumente zu klären, aber der Mann ignorierte dies. Er wohnt nicht an seiner registrierten Adresse, aber heute wurde er von der Polizei in der Nähe seines Eingangs aufgegriffen, die sagte, dass sie ihn zur Wache bringen würden, um ein Protokoll wegen einer Ordnungswidrigkeit zu erstellen. Aber schließlich brachten sie ihn zum Militärkommissariat, und seit zwei Stunden gibt es keinen Kontakt mehr mit ihm.“
Berichte an „School of the Conscripts“
Moskau, November 2024
„Gerade eben erschien die Polizei an der Adresse des Wehrpflichtigen und teilte mit, dass er gesucht werde. Seit der Frühjahrseinberufung befinden wir uns in einem Rechtsstreit mit dem Moskauer Militärkommissariat und der Einberufungsbehörde. Diesmal wurden keine Vorladungen zugestellt, sondern nur eine SMS mit der Aufforderung, sich am Sammelplatz einzufinden.“
„Ich entging der Zwangseinberufung und verließ Moskau. Aber ich kehrte zurück. Für Ende Oktober wurde eine elektronische Vorladung verschickt, und ein Anwalt sagte, dass mein Fall dem Untersuchungsausschuss übergeben worden sei. Die Polizei kam, klopfte, versuchte selbst, die Tür aufzubrechen, stellte den Strom in der Wohnung ab und wartete vor der Tür. Davor beobachteten sie mich von einem anonymen Auto aus und sagten, sie hätten mich mit Hilfe biometrischer Daten gefunden.“
Berichte an Conscientious Objectors Movement
Am 13. November wurde in Moskau ein Wehrpflichtiger bei einer Razzia in der U-Bahn festgenommen. Er wurde in das Unified Conscription Center (UCC) gebracht, obwohl er aufgrund einer Hypertonie-Diagnose vor Gericht Einspruch gegen seine Tauglichkeit eingelegt hatte.
Am 2. Dezember schraubte die Polizei in Moskau die Sicherungen in der elektrischen Schalttafel der Wohnung, in der Artur Novik wohnt, heraus, nahm ihn fest und lieferte ihn später in das UCC ein. Sie ignorierten, dass er wegen seines Studiums an der Higher School of Economics vom Dienst zurückgestellt war.
Am 12. Dezember wurde in Moskau eine Transfrau an einer Bushaltestelle festgenommen. Ohne Erklärung wurde sie über Nacht auf einem Polizeirevier festgehalten und dann zum Sammelplatz gebracht, von dem sie entkam. Sie wurde erneut festgenommen und zur Polizeidienststelle Pechatniki gebracht.
Das zentrale Einberufungsbüro und ein Rekrutierungsbüro für „Deserteure“
Das Unified Draft Office (UDO) verstößt weiterhin massenhaft gegen die Rechte der Wehrpflichtigen. Wie schon im Frühjahr werden die Menschen von der Außenwelt isoliert: Man nahm ihnen ihre Handys weg, ihre Vertreter*innen durften den Rekrutierungsverfahren nicht beiwohnen, und man verweigerte ihnen den Ausgang, um sie zu zwingen, sich der Musterung zu unterziehen.
Darüber hinaus wurden alle aufgefordert, Formulare zur Geheimhaltung von Verschlusssachen zu unterzeichnen. „School of the Conscripts“ ist der Ansicht, dass den Wehrpflichtigen damit das Recht verweigert wurde, die Verletzung ihrer Rechte offenzulegen, da die Weitergabe von Verschlusssachen eine Straftat darstellt.
Im Dezember wurde neben der UEO ein separates einstöckiges Rekrutierungsbüro gebaut. Die Mitarbeiter von KALOY.RU kommentierten dies wie folgt: „Dort werden kranke Menschen für gesund erklärt, das Sicherheitspersonal ist strenger und ignoriert noch häufiger die im Gesetz festgelegten Zurückstellungen. Und natürlich haben Vertreter*innen, Anwält*innen und Eltern keinen Zutritt. Das Tüpfelchen auf dem i ist, dass die Wehrpflichtigen sofort in Bussen auf dem Gelände der ’Wehrvertragsrekrutierungsstelle’ eingesperrt und zu einem Sammelplatz gefahren werden, so dass selbst die Übergabe eines Handys eine komplizierte Aufgabe ist.“
Die im Januar 2025 vorgeschlagenen Änderungen des Wehrdienstgesetzes legalisieren die Existenz gemeinsamer kommunaler Rekrutierungskommissionen, die mit der UDO bereits bestehen. Juristen halten die Zusammensetzung dieser Kommissionen für rechtswidrig, da ihnen keine Vertreter*innen der Gemeindebehörden, der Bezirksämter des russischen Föderalen Dienstes für Arbeit und Beschäftigung und des Innenministeriums angehören.
Verhaftungen und Isolierung an Sammelplätzen
Bereits im Frühjahr wurden die Wehrpflichtigen mehrere Tage lang auf dem Sammelplatz in der Ugreshskaya-Straße festgehalten. Im Herbst wurde diese Praxis wiederholt. Außerdem gelang es keinem der Wehrpflichtigen, seine Angehörigen zu treffen.
Berichte an „Call to Conscience“
Moskau, November
„Während des Transports meines Sohnes gelang es uns, mit ihm in Kontakt zu treten... Ich nahm sofort ein Taxi [zur Ugreshskaja], aber er wurde in einem Fahrzeug mit Sirenen transportiert, und sie waren schneller.
Ich habe versucht, mich hineinzudrängen. Ich sagte ihnen, dass sie irrtümlich eine Person mitgenommen hätten und dass ich die Dokumente der Direktion zeigen würde. Ich wurde hinausgestoßen und mit einer automatischen Tür gequetscht. Das heißt, sie haben die automatische Tür absichtlich nicht ausgeschaltet, so dass sie weiter drückte. Es ist unmöglich, dort hineinzukommen.“
„Ich saß [in der Ugreshskaya] etwa drei Stunden lang im ersten Stock, und die ganze Zeit über versuchten sie, mich zu einer medizinischen Untersuchung zu schicken. Sie lassen die Leute nicht einmal auf die Toilette, also müssen sie in die Probenflasche pinkeln.“
Bericht an „School of the Conscripts“
Moskau, November 2024
„Er wurde gestern Abend von der Polizei in der Metro festgenommen und nach Ugreshskaya gebracht. Er ist immer noch dort, wir haben nichts von ihm gehört. In der Nähe von Ugreshskaya versammeln sich viele Verwandte.“
Gewalt
Sieben Personen, die sich bei Call to Conscience meldeten, berichteten von Gewaltandrohungen oder tatsächlicher Gewalt, einschließlich der Anwendung von Elektroschocks. Meistens geschah dies an einem Versammlungsort, manchmal aber auch bei Festnahmen.
Bericht an „Call to Conscience“
Moskau, November 2024
„Gestern fuhr mein Freund mit der Metro von der Arbeit. Er wurde festgenommen und zu einer Polizeieinheit gebracht, dann [zu einem Sammelplatz], wo er geschlagen und mit Handschellen gefesselt wurde.“
Bericht an „School of the Conscripts“
Moskau, November 2024
„Polizeibeamte brachten meinen Mann zur Polizeieinheit; sie hatten die Ausweise nicht dabei und zeigten ihm keine Vorladung. Von der Polizeieinheit brachten sie ihn nach Ugreshskaya und er kam nie wieder zurück. In Ugreshskaya zwangen sie ihn, einen Einberufungsbescheid zu unterschreiben. Sie bedrohten ihn und verbogen ihm später die Arme. Jetzt befindet er sich gerade in einer Militäreinheit. Er hatte Anspruch auf eine Zurückstellung.“
Moskau, Dezember
„Dort betäubten sie die Leute mit Elektroschockern und lachten über den Mord an seinem Vater! Er wurde dort 5 Tage lang festgehalten (4 Tage bis zur Nacht) und zum Bahnhof Belorusskaja gebracht.“
Bericht an KALOY.RU
Moskau, November
Die Polizisten zogen den Studenten Artemiy Krugovykh aus dem Auto seines Vaters, obwohl er ihnen Beweise dafür vorlegte, dass er die Einberufung angefochten hatte: die Klageunterlagen, die Bestätigung über die Einreichung der Klage, Kopien der Benachrichtigung über die Einreichung der Klage mit einer Empfangsbestätigung.
Missachtung von Gerichtsentscheidungen
Call to Conscience ist ein Fall bekannt, der sich Ende November in Moskau ereignete, wo ein Wehrpflichtiger die Entscheidung über seine Einberufung erfolgreich vor Gericht anfechten konnte, später aber trotz seiner Gewissensüberzeugung zu einem Sammelplatz gebracht und zu einer Militäreinheit geschickt wurde. Er widersetzte sich der Einberufung auf gewaltfreie Weise, wurde aber in Ugreshskaya grausam behandelt.
„Ein örtlicher Polizeibeamter kam mit einer Liste vom Rekrutierungsbüro des Militärs, und er wurde zu einer Einheit für innere Angelegenheiten und dann nach Ugreshskaya gebracht. Ich war nicht zu Hause, und mein Mann öffnete aus irgendeinem Grund die Tür. Sie nahmen ihm das Telefon weg, aber er hatte seine Mappe mit Dokumenten bei sich. Er weigerte sich, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, und rief mich von fremden Telefonen aus an, um mir die Situation zu schildern. Er sagte, dass es Leute gab, die schon seit über einer Woche dort waren. ...
Sie haben ihn [in eine Trainingseinheit] geschickt, sie haben den Kerl auseinandergenommen. Es war der totale Wahnsinn dort, sie haben ihn mit einem Elektroschocker betäubt und ihm alle Gerichtsdokumente aus seinen persönlichen Sachen gestohlen.“
Viele Menschen, die gegen die Entscheidung der obersten Rekrutierungskommission vor Gericht geklagt hatten, wurden ebenfalls zum Dienst in der Armee geschickt.
Wie man Widerstand leistet
Die Hälfte der Personen, die sich bei der Hotline von Call to Conscience beraten ließen, entging mit Sicherheit der Einberufung (einige Personen sind uns möglicherweise nicht bekannt, weil sie nicht mehr auf Nachrichten antworten).
Studenten, Doktoranden und Personen mit Militärausweisen, die von Massenrazzien betroffen waren, durften in den meisten Fällen gehen, allerdings erst nach einer manchmal längeren Inhaftierung und manchmal erst, nachdem die Person die erforderlichen Dokumente vorgelegt hatte.
Bericht an "Call to Conscience"
Moskau, Dezember
Eine Mitarbeiterin der Militäreinheit brachte Dokumente von ihrer Arbeit zum Rekrutierungsbüro des Militärs und erreichte, dass die Informationen über den Militärausweis in die Datenbank aufgenommen wurden. Die Person wurde jedoch zur UDO gebracht. Dort gelang es vielen, einen Antrag auf Einberufung in die Reserve zu stellen. Ein Drittel der Personen wurde zu einer medizinischen Untersuchung geschickt, die übrigen durften gehen. Sie sagten: „Das System funktioniert nicht gut.“
Das Schwierigste für Wehrpflichtige, die eine Ausnahmegenehmigung aus gesundheitlichen Gründen oder für den Zivildienst beantragten, war die Entlassung aus der Sammelstelle, aber auch das war möglich. Häufiger gelang es ihnen, mit Hilfe ihrer Verwandten oder eines Anwalts die Polizeieinheit zu verlassen. Einigen gelang es auch das Wehrersatzamt oder die UDO mit Hilfe von Durchsetzungsvermögen und Vertrauen in ihre Rechte zu verlassen. Das Militär ist kein Gefängnis, und man kann dort nicht „verhaftet“ werden, und manchmal nutzten die Wehrpflichtigen diese Information und hauten ab, wenn sie eine offene Tür entdeckten.
Berichte an "Call to Conscience"
Makhachkala, Oktober:
„Alle von ihnen [die der Razzia unterzogen wurden] akzeptierten die Tatsache, dass sie ein ‚N‘iemand sind und taten alles, was man ihnen sagte. Ich habe mich einfach geweigert. Die Mitarbeiter des militärischen Rekrutierungsbüros begannen, mich medizinisch zu untersuchen. Ich sagte, dass ich eine Krankheit habe und ein ärztliches Gutachten einholen müsse. Am Ende ließen sie mich gehen und händigten mir eine Vorladung aus, aber die anderen nahmen sie mit.
Moskau, November 2024
„Mein Freund weigerte sich kategorisch, zu gehen, und verwies auf seine Augenkrankheit, die ihn für eine Ausnahme qualifiziert. ...
Es gelang mir, mich in die Einheit hineinzukämpfen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie dort einen kranken Menschen festhalten, dass es ihm nicht gut geht und dass ich sie alle vor Gericht bringen werde, wenn er stirbt. Ich fand das Büro, in dem Pjotr festgehalten wurde. Er war unglücklich gestürzt und hatte Prellungen an der Stirn und unter dem Auge. Ich begann, alle seine Verletzungen mit der Kamera zu dokumentieren, ohne das Personal zu fotografieren. Ich drohte damit, dass ich die Sache eskalieren und sagen würde, dass sie ihn geschlagen hätten. Dann habe ich einfach einen Krankenwagen zur Abteilung für interne Angelegenheiten gerufen. Die Mitarbeiter sagten, das würde nichts nützen und dass sie ihre Leute mit uns ins Krankenhaus schicken würden.
Als der Krankenwagen eintraf, zogen sich die Polizisten jedoch schnell zurück, und wir durften eintreten. Pjotr hatte den Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, also wurde er ins Krankenhaus gebracht und diagnostiziert.“
Moskau, November
„Dort drüben [in Ugreshskaya] ist es wichtig, nicht lammfromm zu sein, sondern seine Rechte zu kennen. Sie können niemanden gewaltsam einsperren und festhalten, das ist alles illegal. ...
Ein Mitarbeiter der Dokumentenverwaltung kam aus dem zweiten Stock herunter. Er war es, der mir half, dort hineinzukommen. Sie sortierten die Dinge für eine lange Zeit. Sie behaupteten, der Gerichtsbeschluss sei gefälscht und sie würden ihn nicht akzeptieren. Ich bestand darauf, dass sie den Richter anrufen. Sie stellten tatsächlich eine telefonische Anfrage an das Gericht. Man sagte ihnen, dass es eine Anhörung gegeben habe und die Entscheidung echt sei.
Nach dem zweiten Stock wurden wir alle schnell in die Baracken gebracht und auf die Betten verteilt. Irgendwann sprachen sie meinen Nachnamen aus: „Du, geh weg.“ Sie gaben mir meinen Ausweis zurück und ließen mich unterschreiben, dass ich eine Vorladung für die UDO erhalten hatte. Sie sagten mir, ich solle es vermeiden, ihnen auf der Straße zu begegnen, nicht mit der Metro fahren und dass sie mich aus der ’Datenbank der Deserteure’ löschen würden.“
Moskau, Dezember
„Ich trat durch die Tür ein, auch dort war niemand. Dann ging ich den Korridor entlang und sah, dass es einen Notausgang gab. Ich wandte mich an den Wachmann und fragte: ’Kann ich durch diese Tür hinausgehen?’ Er antwortete mir: ’Sicher, nur zu’, und ich ging hinaus. Niemand ging nach mir hinaus, zumindest nicht für die nächsten 5 Minuten oder so, das ist sicher. Und ich ging vorsichtig nach Hause.“
Um Razzien gänzlich zu vermeiden, mussten Moskauer Wehrpflichtige, die vor Gericht Einspruch gegen ihren Einberufungsbescheid erhoben hatten, vorübergehend die Stadt verlassen.
2. Ausmusterungsgründe ignoriert
Militärkommissariate und UDO ignorieren die Diagnosen, die einen für den Militärdienst untauglich machen. Jetzt arbeitet die Regierung an einer Änderung der „Liste zur Definition der Krankheiten“, die auch die Chancen der Wehrpflichtigen, sich dem Dienst aufgrund gesundheitlicher Probleme zu entziehen, verringern würde.
Das Ausmaß lässt sich an der Zunahme der Klagen gegen die Entscheidungen der Rekrutierungskommissionen ablesen. In Moskau gab es Ende 2024 mehr als 4.000 Klagen - das ist doppelt so viel wie im Jahr zuvor. In den meisten Fällen klagen Menschen gegen Entscheidungen der Rekrutierungskommissionen in Bezug auf ihre Gesundheit, und die Zunahme könnte mit zwei Tendenzen zusammenhängen. Die erste ist, dass die Militärkommissariate und die UDO den Zustand einer Untauglichkeit ignorieren. Zweitens verweigern die Wehrpflichtigen derzeit immer häufiger den Wehrdienst. Ein Teil der Klagen bezieht sich auf die Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes und der Einberufung unter Zurückstellung. Die genauen Daten können wir nicht mit Sicherheit berechnen.
Bericht an “Call to Conscience”
Moskau, Dezember
„Letzte Woche wurde mein Bruder in der U-Bahn erwischt und zwangsverpflichtet. Er hat ein Herzleiden, das ihn untauglich macht. Als er in der Armee war, sagte er, dass sein Herz schmerzt. Die Ärzte des Militärkommissariats haben natürlich geschrieben, dass sie seinen Zustand nicht sehen.“
„Er ist wie immer zur Arbeit gekommen, da er auf meine Gerichtsverhandlung wartete. Am nächsten Tag wurde er in die Militärbasis geschickt. Sie haben den Anwalt nicht zugelassen. Die Gerichtsverhandlung war für den 3. Dezember 2024 angesetzt. Die medizinische Kommission in der Ugreshskaya-Straße ist eine Farce. Man drohte ihm, ihn zu schlagen oder zu ermorden. Er leidet wirklich an Neurodermitis, und da sie wieder aufflammte, wurde er in ein Militärkrankenhaus eingewiesen. Dort befindet er sich jetzt. Die Beschwerden wurden bei allen Institutionen eingereicht. Bisher gab es keine Antworten. Die Gerichtsverhandlung war eine Fälschung.
... Gestern kam ein Befehl an das Krankenhaus, und alle Kranken und Verwundeten, unabhängig von ihrem Zustand, wurden in die Militärbasis geschickt. Es gibt nicht genug Betten im Krankenhaus, alle Gänge sind überfüllt. Diejenigen, die gehen können, liegen in den Gängen.“
Bericht an “School of the Conscripts”
„Mein Sohn erhielt eine Vorladung und ging zum Rekrutierungsbüro. Dort wurde ihm gesagt, dass es sein Problem sei, wenn er die Überweisung nicht in EMIAS sehe. [Anmerkung des Anwalts: Zuvor wurde ihm eine Überweisung für eine zusätzliche Untersuchung in einem Krankenhaus „gegeben“ - sie sagten, sie hätten sie in EMIAS hochgeladen und er müsse nur ins Krankenhaus kommen. Als er dort ankam, wurde ihm gesagt, dass nichts im System vorhanden sei. Der Junge fand dort auch nichts hochgeladen]. Sie haben sich nicht einmal die Erklärungen angesehen, dass er ins Krankenhaus gegangen ist. Wir haben uns beim Militärkommissariat beschwert. Die haben sich nicht darum gekümmert und gesagt, dass er diensttauglich ist. Sie halten ihn in Ugreshskaya fest.“
Bericht an Conscientious Objectors Movement
Shipunov Dmitriy Gennadievich – am 18. November
Eine Musterungskommission in Penza weigerte sich, den Bluthochdruck bei der ärztlichen Untersuchung (CME) anzuerkennen, obwohl er bereits vorher diagnostiziert worden war. Dmitry wurde für tauglich erklärt. Nach der CME wurde er lange Zeit auf dem Sammelplatz festgehalten. Dort begann er sich unwohl zu fühlen und der Krankenwagen wurde gerufen, aber das medizinische Personal durfte das Gelände nicht betreten. Dmitry wurde erst am nächsten Tag von dem am Sammelplatz tätigen Arzt behandelt.
Was ist unter Willkür zu verstehen?
Die Einberufung einer Person mit einer schweren Erkrankung verstößt gegen ihr Recht auf Freistellung und stellt eine Bedrohung für ihr Leben und manchmal sogar für das Leben von mehreren Personen dar.
Bericht an „Call to Conscience“
Im Januar schrieb eine Mutter, deren Sohn zwangsrekrutiert wurde:
„Viele Jungen auf der Militärbasis sind an einer Lungenentzündung erkrankt, so dass eine Quarantäne verhängt wurde und Besuche nicht erlaubt sind. Der Höhepunkt der Fälle war im Dezember, als ein Junge an einer Lungenentzündung starb, es folgten Kontrollen... Mein Sohn war auch krank, aber ohne Komplikationen, sie fanden nur eine Zyste in seiner Nebenhöhle. Ich weiß nicht, wie sie damit umgehen werden: normalerweise operieren sie in einem Krankenhaus, aber dort gibt es jetzt keine freien Betten mehr.“
Wie man Widerstand leistet
Wenn Sie absolut sicher sind, dass Sie eine Erkrankung haben, sollten Sie auf CME bestehen und sich darauf vorbereiten - dazu gehört auch, dass Sie bereit sind, eine Klage einzureichen. Wenn Sie sich nicht sicher sind und Überzeugungen gegen den Militärdienst haben, sollten Sie darauf bestehen, den Militärdienst durch den Alternativen Dienst zu ersetzen.
Bericht an „Call to Conscience“
Bashkortostan
Im April wurde [Sabir] für tauglich erklärt und eingezogen, obwohl seine Diagnose einen Grund für eine Befreiung darstellte. Er beantragte eine CME und reichte Klage ein. Bei der CME schickte ihn der Chirurg zu einer weiteren Röntgenuntersuchung des Fußes in die örtliche Poliklinik. Dort behaupteten die Ärzte, das Fußgewölbe sei um einen Grad schwächer als es tatsächlich ist, so dass Sabir tauglich sei. Das Gericht hingegen ordnete eine militärmedizinische Untersuchung an. Dabei wurde festgestellt, dass Sabir einen Plattfuß dritten Grades hat, so dass das Gericht die Entscheidung der Einberufungskommission aufhob. Im November wurde Sabir zum Militärkommissariat gerufen und aufgefordert, seinen Militärausweis zu beantragen.
3. Hindernisse beim Alternativen Zivildienst
Derzeit befinden sich 2.000 Alternativdienstleistende im Einsatz. Das ist ein Rekord und doppelt so viele wie vor einem Jahr. Im Herbst erfuhren wir jedoch von einer neuen Praxis: Viele derjenigen, die im Frühjahr für den Alternativen Dienst (ACS) zugelassen wurden, wurden seitdem nicht mehr zum Dienst eingeteilt. Außerdem werden immer häufiger Anträge auf ACS abgelehnt. Nach wie vor werden die Ablehnungen manchmal mit erfundenen Angaben begründet. In Moskau sind Ablehnungen verbreiteter als früher - uns sind nur wenige Fälle aus der letzten Einberufungskampagne bekannt, in denen der Antrag auf ACS genehmigt wurde. Und schließlich werden zunehmend Strafverfahren gegen ACS-Bewerber eingeleitet.
Berichte an “Call to Conscience“
Oktober 2024
„Mein Sohn hat einen Antrag auf ACS gestellt, aber er wurde nie über die Entscheidung in dieser Angelegenheit informiert. Er wurde gezwungen, sich schnell einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, und ihm wurde die Kategorie B-3 zugewiesen.“
Republik Komi, Oktober
„Mein Sohn hat sich beim Militärkommissariat erneut für den ACS beworben. Bei der Einberufung im Frühjahr war er nicht dabei, weil er krank war, und es wurde ein ärztliches Attest vorgelegt. Er erhielt eine Benachrichtigung, dass sie nichts erhalten hätten, und dann kamen zwei Vorladungen zur Überprüfung der persönlichen Daten und zur Teilnahme an [Wehrpflicht-]Veranstaltungen.
...Sie haben für alles ein Argument, nämlich dass es einen Gerichtsbeschluss aus dem Jahr 2023 gibt. Wir haben versucht zu erklären, dass wir bereits einen neuen Antrag für 2024 gestellt haben, dass es eine neue Kommission gibt und daher eine Entscheidung auf der Grundlage dieses neuen Antrags getroffen werden sollte.“
Region Krasnoyarsk, November
„Mir wurde der Alternative Dienst verweigert. Man behauptet, ich müsse meine Überzeugungen noch ausführlicher darlegen.“
Nococherboksarsk, Dezember
Nikolai hat zum dritten Mal in Folge Anträge auf ACS gestellt, ist wegen Ablehnungen vor Gericht gegangen und hat rechtswidrigen Aufforderungen zu medizinischen Untersuchungen nicht Folge geleistet. Kürzlich wurde ein Strafverfahren gegen den Kriegsdienstverweigerer wegen Rechtsbeugung eingeleitet, was zu seiner Entlassung aus dem Dienst führte. Er bekennt sich nicht schuldig, da das Beantragen von ACS keine Militärdienstziehung ist.
Bericht an „School of the Conscripts“
Moskau, Dezember
„Mein Sohn war der letzte, der gegen 21.00 Uhr die Sitzung des Einberufungsausschusses betrat. Sie verlangten, dass er sich vorschriftsmäßig vorstellt und sagten dann: ‚Das war’s, geh – Antrag abgelehntt‘.“
Bericht an Conscientious Objectors Movement
Kharitonov Yelisey Alekseyevich - 28. September 2024.
Er schickte einen Antrag für ACS, erhielt aber keine Antwort. Am 3. Oktober 2024 erhielt er über mos.ru eine Vorladung zum UCC, und am 17. Oktober erhielt er eine weitere Vorladung, obwohl er wiederholt darum gebeten hatte, den zuvor eingereichten Antrag zu prüfen. Am 25. Oktober erhielt er eine merkwürdige Nachricht über die Prüfung des Antrags gemäß dem Gesetz 59-FZ. Am 10. November erhielt er eine Vorladung für den 30. November, um vor dem Wehrersatzamt zu erscheinen, gefolgt von einer weiteren Vorladung für den 5. Dezember. Am 14. November erhielt er ein Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass sein Antrag auf ACS den Unterlagen seiner Personalakte beigefügt wurde. Am 27. November wurde er bei der Entgegennahme seines Reisepasses im MFC unrechtmäßig festgenommen und in die UCC gebracht, wo er geschlagen und bedroht wurde und ein Protokoll wegen einer Ordnungswidrigkeit ausgestellt wurde, weil er einer über sein persönliches Konto verschickten Vorladung nicht nachgekommen war. Er dokumentierte seine Verletzungen und reichte über den elektronischen Empfang eine Strafanzeige ein.
Was ist unter Willkür zu verstehen?
Wenn eine Person aus Überzeugung gegen den Militärdienst ist, z. B. aus pazifistischer Überzeugung, darf der Staat sie nicht zwingen, gegen ihr Gewissen zu handeln - dies ist in der Verfassung verankert.
Wenn eine Person einen Antrag auf Alternativen Dienst stellt, sollte sie durch einen Einberufungsbescheid zum Wehrersatzamt vorgeladen werden, wo der Antrag geprüft wird. Lehnt der Ausschuss den Antrag ab, kann der Zivildienstleistende vor Gericht klagen. Während des Gerichtsverfahrens kann die Person nicht in die Armee einberufen werden, und sie kann einen neuen Antrag für die nächste Einberufung stellen, der berücksichtigt werden muss. Die Militärkommissariate sind jedoch oft bestrebt, die Annahme des Antrags zu verweigern, ihn zu ignorieren oder den ACS zu verweigern und sofort eine medizinische Untersuchung durchzuführen. Sobald eine Person für diensttauglich befunden wird, wird eine Einberufungsentscheidung getroffen. Manchmal werden die Betroffenen danach unter Missachtung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zwangsweise in die Armee eingezogen.
Die Entscheidung des Einberufungsausschusses über die Einberufung zum Militärdienst muss gut begründet sein, d. h. sie muss im Einklang mit dem Gesetz getroffen werden und die Motive und Gründe widerspiegeln. In den meisten Fällen sind die Entscheidungen der Einberufungskommission nicht gut begründet, insbesondere wenn sie auf Diskrepanzen zwischen den Argumenten des Bürgers und den Daten in der Akte hinweisen. So wird das Schicksal des Einzelnen häufig von den Meinungen und Vorurteilen der Ausschussmitglieder beeinflusst.
Wie man Widerstand leistet
Verweigern Sie bis zur Prüfung des Antrags auf ACS die Teilnahme an Einberufungsveranstaltungen und bestehen Sie auf einer Sitzung des Einberufungsausschusses zur Prüfung des Antrags. Wenn der Wehrdienstausschuss den Antrag auf ACS ablehnt, gehen Sie vor Gericht. Seien Sie während des Gerichtsverfahrens auf Razzien vorbereitet. Stellen Sie für den nächsten Einberufungszeitraum einen neuen Antrag. Wenn der ACS bereits genehmigt wurde, aber noch keine Zuweisung erfolgt ist, fechten Sie die Untätigkeit des Militärkommissariats an und bemühen Sie sich um eine Zuweisung.
Berichte an „Call to Conscience“
Moskau, September
„Natürlich wird es schwierig sein, [die UCC] zu verlassen. Niemand wird dich gehen lassen, bevor du nicht in den zweiten Stock gegangen bist, aber du kannst dich mit deinen Eltern in den ersten Stock setzen. Lass sie dich ausschimpfen, lass sie die Polizei rufen. Wenn Sie wegen der Papiere gekommen sind, brauchen Sie nicht weiter zu gehen. Holt euch eure Stempel und versucht zu gehen.“
Republik Komi, Oktober
„Mein Sohn wurde heute für 9:00 Uhr zur ACS-Kommission vorgeladen. Ich begleitete ihn, da ich eine Vollmacht habe. Als wir ankamen, fand gerade eine medizinische Untersuchung statt. Wir weigerten uns, sich ihr zu unterziehen, weil es eine Reihenfolge des Verfahrens geben sollte: zuerst eine Kommissionssitzung, dann eine Entscheidung und erst dann eine medizinische Untersuchung. Daraufhin antwortete der Militärkommissar: „Dann gehen Sie und kommen Sie heute um 15.00 Uhr zur Sitzung der Einberufungskommission wieder.“
4. Einberufungen in Moskau aufgrund von Entscheidungen im Frühjahr
Moskauer Wehrpflichtige, die im Frühjahr einen Einberufungsbescheid erhielten, aber nicht in die Armee eintraten, erhielten im Herbst keine Vorladungen mehr, sondern wurden direkt zur Einberufung vorgeladen. Einige von ihnen wurden aufgesucht. Es wurde versucht, Personen aus der „Liste der Wehrdienstverweigerer“ zum Unified Conscription Center (UCC) oder zur Sammelstelle zu bringen. Einige wurden unter Einschränkung ihrer Rechte wegen Nichterscheinens eingeschüchtert. Zuvor gab es solche Vorfälle nur vereinzelt in verschiedenen Städten.
Bericht an „Call to Conscience“
Moskau, November
„Ich habe heute Abend einen offiziellen Bescheid des Moskauer Militärkommissariats erhalten, in dem es heißt, dass gegen mich vorläufige Maßnahmen ergriffen wurden, um mein Erscheinen als Reaktion auf die Vorladung des Militärkommissariats sicherzustellen. Ich habe jedoch in diesem Einberufungszeitraum keine offizielle Vorladung erhalten (weder in Papierform noch mit Unterschrift).
Bei der Einberufung im Frühjahr wurde versucht, mich einzuziehen. Damals erhielt ich eine Vorladung, die ich unterschrieben habe, aber ich habe die Entscheidung des Oberkommissariats vor Gericht angefochten (ich bin aus medizinischen Gründen dienstuntauglich).“
Gemäß Teil 4 von Artikel 29 des Bundesgesetzes Nr. 53-FZ hätte in diesem Fall die Entscheidung des Einberufungsausschusses ausgesetzt werden müssen, so dass ich nicht zum Termin hätte erscheinen müssen.“
Was ist unter Willkür zu verstehen?
Wenn der Einberufungsausschuss einen Einberufungsbeschluss gefasst hat, die betreffende Person aber nicht zum Militär eingezogen wurde, gelten diese Beschlüsse als nicht vollzogen. Bei der nächsten Einberufungskampagne sollten alle Verfahren „bei Null“ beginnen. Im Januar 2025 gab die Regierung jedoch eine positive Stellungnahme zu einem Entwurf für eine Gesetzesänderung ab, die es ermöglichen würde, Personen auf der Grundlage von Entscheidungen aus früheren Einberufungen innerhalb eines Jahres ab dem Datum der Entscheidung des Einberufungsausschusses zur Armee zu schicken. Dies bedeutet, dass die Verstöße gegen die Rechte der Wehrpflichtigen in Moskau einfach legalisiert werden, was den Militärkommissariaten im ganzen Land das Leben erleichtert.
Wie man Widerstand leistet
Einspruch gegen Einberufungsentscheidungen einlegen, auch wenn die Einberufungskampagne bereits vorbei ist, und je nach Situation Sicherheitsmaßnahmen zu Beginn einer neuen Kampagne ergreifen.
5. Vorladungen über mos.ru and SMS
Das digitale Vorladungsregister sollte noch vor Einberufungen im Herbst 2024 in Betrieb genommen werden, doch dazu kam es nicht. Am 18. September wurde die Website реестрповесток.рф veröffentlicht. Es wurde damit begonnen, digitale Vorladungen in den Regionen Rjasan und Sachalin sowie in der Republik Marij El zu testen. Im Moment funktionieren die digitalen Vorladungen als Benachrichtigungen, und wenn man nicht auf sie reagiert, sollte das keine Folgen haben.
Trotzdem haben im Herbst einige Personen Benachrichtigungen auf mos.ru erhalten, auch wenn sie nicht in Moskau, sondern in der Region Moskau registriert sind, dort nicht mehr gemeldet sind oder Reservisten sind. Es wurde angedroht, dass bei Nichtbefolgen solcher „digitalen Vorladungen“ Geldstrafen verhängt würden.
Im November erhielten Wehrpflichtige in Moskau eine SMS, dass restriktive Maßnahmen gegen sie verhängt werden könnten, wenn sie der Aufforderung nicht nachkämen, und im Dezember erhielt ein Wehrpflichtiger in Ufa eine solche Mitteilung. Es ist uns jedoch kein einziger Fall bekannt, in dem solche Maßnahmen erzwungen wurden. Später wurden SMS an „Militärdienstentzieher“ verschickt. Darin wurde gedroht, dass die Unterlagen an das Untersuchungskomitee geschickt würden, das ein Strafverfahren gegen den Wehrpflichtigen einleiten würde, wenn er nicht an dem besagten Tag zu einem Sammelpunkt käme.
Die Militärausschüsse verschickten auch Vorladungen über den Dienst „Digitales Einschreiben“. Dies berichteten Personen aus Krasnojarsk, die sich mit der Bitte um Hilfe an die „School of the Conscripts“ gewandt hatten.
Was ist unter Willkür zu verstehen?
Benachrichtigungen, SMS und digitale Zustellungen verstoßen gegen die Vorschriften über die Einberufung zum Militärkommissariat. Sie täuschen und bedrohen die Menschen nur, damit mehr von ihnen zum Kommissariat kommen.
Wie man Widerstand leistet
Irgendwann wird das Register für digitale Vorladungen eingeführt werden. Wir raten allen, die betroffen sein könnten, nicht auf die Vorladung zu warten, sondern sich bereits im Vorfeld auf die Verteidigung ihrer Rechte vorzubereiten. Informieren Sie sich beispielsweise über die Gründe für die Befreiung und den Aufschub, füllen Sie die entsprechenden Formulare aus, stellen Sie vor dem 1. April einen Antrag auf ACS, erteilen Sie nahestehenden Personen eine Vollmacht, bereiten Sie sich auf Durchsuchungen vor.
6. Razzien bei Menschen mit Migrationserfahrung und Entzug der Staatsbürgerschaft
Seit April 2024 führt die Polizei immer häufiger Massenverhaftungen von Migrant*innen und Personen durch, die die russische Staatsbürgerschaft erworben haben. Das Hauptziel dieser Razzien ist die Aufstockung der Armee durch die Rekrutierung von Vertragsarbeiter*innen oder die Einberufung von Personen, die einen Pass für den Pflichtdienst erhalten haben. Die regionalen Medien des Landes berichten regelmäßig über diese Razzien.
Die Razzien unterscheiden sich von denen gegen Wehrpflichtige dadurch, dass sie „an den Arbeitsplätzen von Migrant*innen“, bei „ausländischen Autofahrern“ und bei „Kaukasiern und Asiaten mit Bärten und rasierten Schnurrbärten“ durchgeführt werden. Sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Medien halten sich an diese Rhetorik, und die Willkür wird nicht verheimlicht.
Am 8. August 2024 trat ein Gesetz in Kraft, das den Entzug der Staatsbürgerschaft vorsieht, wenn sich eine Person nicht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Staatsbürgerschaft zum Militärdienst meldet. Wir haben Hinweise auf 64 Personen gefunden, denen im Herbst auf diese Weise der Pass entzogen wurde. Es gibt jedoch Tausende von Menschen mit Migrationserfahrung, die von den Razzien betroffen sind.
Strafverfolgungsbehörden und Vertreter des Militärkommissariats stürmten Märkte, Schlafsäle, Wohnheime, Moscheen, Baustellen, Gemüselager, Bauernhöfe, Lebensmittelgeschäfte und mindestens einmal ein OZON-Lager. Sie haben Menschen auf der Straße und auf Flughäfen festgenommen. In jedem dritten Fall beschränkte sich die Situation auf die Aushändigung von Vorladungen und die Erläuterung der Möglichkeit eines Vertragsdienstes. Bei den anderen Razzien wurden die Personen zur Polizei oder zum Militärkommissariat gebracht. In den Militärkommissariaten wurden Personen mit Staatsbürgerschaft zwangsweise zum Militärdienst angemeldet und dann „an einem Tag“ zum Pflichtdienst eingezogen oder zum Vertragsdienst rekrutiert. Manchmal wurden Gesetzesänderungen für die Rekrutierung genutzt - mit der Drohung, die Staatsbürgerschaft wegen Nichtregistrierung zu entziehen, wenn die Person sich weigerte, einen Vertrag zu unterzeichnen.
Was ist unter Willkür zu verstehen?
Die Gesetzesänderung vom August steht im Widerspruch zu Artikel 6 der Verfassung, da sie die Bürger in Bezug auf ihre Rechte diskriminiert - diejenigen, die als Bürger geboren wurden, und diejenigen, die die Staatsbürgerschaft erworben haben.
Auch die Razzien sind illegal. Die Strafverfolgungsbehörden müssen schwerwiegende Gründe haben, um in private oder öffentliche Räume einzudringen und die Rechte der Bürger einzuschränken, geschweige denn, sie zur Polizei zu bringen. Dies hat nichts mit der Registrierung zu tun. Die Verbringung von Personen zum Militärkommissariat ist unabhängig von den Gründen illegal.
Schließlich haben Personen im wehrpflichtigen Alter, die die Staatsbürgerschaft erworben haben, nur begrenzten Zugang zu Informationen über das Recht auf Alternativen Dienst, Aufschub oder Befreiung. Dies wird ausgenutzt, um eine Person „an einem Tag“ zur Armee zu schicken, nachdem sie zwangsregistriert wurde – wie oben beschrieben.
[1] Alle Erwähnungen von Fällen des Entzugs der Staatsbürgerschaft nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes wurden über die Google-Nachrichtensuche gefunden (hauptsächlich lizenzierte regionale Medien).
[2] Wir haben etwa 80 Veröffentlichungen über Razzien im ganzen Land überprüft, die insgesamt mehr als 3.700 Personen erwähnen, die entweder an einem öffentlichen Ort „kontrolliert“ oder zum Militärkommissariat oder zur Polizei gebracht wurden.
[3] In einem Drittel der untersuchten Veröffentlichungen wird über die Ausstellung von Einberufungen berichtet.
[4] Menschen mit Migrationserfahrung haben viel weniger Zugang zu Informationen über ihre Rechte und deren Schutz als Menschen, die in Russland geboren wurden. Folglich suchen nicht viele Menschen, die von Razzien betroffen sind, Hilfe bei Menschenrechtsorganisationen, und wir können nur anhand einiger weniger Fälle und Medienveröffentlichungen beurteilen, was vor sich geht.
7. Was sich nicht geändert hat
Wir werden kurz die Rechtsverletzungen auflisten, die im Vergleich zu den Einberufungen des letzten Frühjahrs und anderen früheren Einberufungen genauso häufig oder weniger häufig vorkamen.
Zurückstellungen werden ignoriert
Im Frühjahr 2024 wurde versucht, Studenten von Universitäten und Volkshochschulen zur medizinischen Untersuchung zu schicken, und manchmal wurden sie gewaltsam zu Militärkommissariaten gebracht. Es gab viele Entscheidungen, ältere Studenten einzuziehen, die Vorladungen am Ende ihres Studiums erhielten. Im Herbst kommen solche Fälle seltener vor, da dies im Allgemeinen eine Tendenz zum Frühjahr ist. Dennoch gab es immer wieder Versuche, Personen, die ein Recht auf Zurückstellung hatten, einzuziehen.
Bericht an „Call to Conscience“
Moskau, November
„Mein Bruder ist jetzt im Militärkommissariat. Er ist im vierten Jahr der Berufsschule. Er hat ihnen eine Erklärung vorgelegt, dass er Student ist, aber sie haben ihn zu einer medizinischen Untersuchung geschickt.... Ihm wurde mitgeteilt, er solle im April zur Datenüberprüfung kommen, ohne nähere Angaben zu machen. Aber sie sagten ihm, dass er gleich nach Abschluss des Studiums eingezogen werden würde - einfach so.“
Zur Vertragsunterzeichnung gedrängt
Dies ist nach wie vor weit verbreitet. Willkür findet in der Regel statt, wenn eine Person bereits ihren Pflichtdienst abgeleistet hat. Die „School of the Consripts“ berichtete von massenhaften Verstößen dieser Art, die in Chebarkul mehrmals vorkamen. Der schrecklichste Fall ereignete sich in der Region Primorskij, wo eine Person getötet wurde, weil sie sich weigerte, einen Vertrag zu unterzeichnen. In anderen Fällen wurden Militärdienstpflichtige in abgelegene Regionen geschickt, auch wenn sie den Vertrag gar nicht unterschrieben hatten. Es sind Fälle bekannt, dass sie zu Tode kamen.
Vorladungen als Mittel der Unterdrückung
Früher wurden Vorladungen an diejenigen verteilt, die an Protesten teilnahmen. Im Herbst 2024 führte die Moskauer Polizei Razzien in LGBT-Klubs und Bars durch - die Gäste der Einrichtungen erhielten Vorladungen.
8. Wie Menschenrechtsverteidiger*innen die Situation einschätzen
Alexey Tabalov, Gründer der „School of the Conscripts“
Die Einberufung im Herbst in Moskau war die gewalttätigste in der jüngeren Geschichte. Die Razzien und die unfreiwillige Einberufung wurden allgegenwärtig, und Handschellen und Elektroschocker wurden zu Symbolen der Einberufung.
Die Einberufung erinnert noch mehr an ein Fließband: Die Ärzte und die Mitglieder der Rekrutierungskommissionen ignorieren immer häufiger den Gesundheitszustand der Wehrpflichtigen oder die Gründe für eine Zurückstellung. Es wird immer schwieriger, sein Recht auf einen Alternativen Dienst zu verteidigen. Gleichzeitig bestrafen die Einberufungskommissionen die Wehrpflichtigen immer härter und verhängen Geldstrafen für jeden Verstoß.
Eine weitere beunruhigende Tendenz ist die Verschärfung des Drucks auf die Wehrpflichtigen, Verträge zu unterschreiben. Dies geschieht durch die Kommandeure, die Reichtum und Dienst hinter den Linien versprechen. Wenn die Überzeugungsarbeit nicht funktioniert, kommen Drohungen, Gewalt und Betrug ins Spiel. Einige der Vertragsunterzeichner sind an der Front gelandet, viele von ihnen sind bereits gefallen. Sowohl die Wehrpflichtigen als auch ihre Eltern müssen daran denken, dass es kein Zurück mehr gibt, wenn sie den Vertrag unterschreiben.
Leider gibt es keinen Grund, optimistisch zu sein. Die Situation mit der Wehrpflicht wird immer schlimmer werden, die Gesetze werden neu geschrieben und verschärft. Den Behörden geht es nicht um die Verteidigung der Bürgerrechte, sondern darum, mehr Soldaten an die Front zu bringen.
Artem Klyga, Conscientious Objectors Movement
Jede Einberufung in Russland stellt eine immer größere Bedrohung für junge Menschen dar: Die Wehrpflicht verwandelt sich in eine Pipeline, um in den Krieg zu ziehen, zu sterben oder Kriegsverbrechen zu begehen. Die fortschreitende Digitalisierung, Änderungen in der Gesetzgebung und die Praktiken der Militärkommissariate verstärken diesen Prozess nur noch.
Diese Tendenz wird sich nur noch verstärken. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die europäischen Gerichte dieser neuen Realität Rechnung tragen und das Recht der russischen Wehrpflichtigen auf Asyl anerkennen, da sie bei einer Rückkehr nach Russland realen Gefahren ausgesetzt sind.
Ein anonymer Berater von „Call to Conscience“
Um ein Fazit der Herbsteinberufungen zu ziehen, schlage ich einige allgemeine Schlussfolgerungen und Ratschläge für Wehrpflichtige vor.
1) Ignorieren Sie keine Vorladungen, auch wenn sie schlecht ausgestellt oder nicht korrekt sind. Reagieren Sie darauf, vor allem, wenn Ihr ACS-Antrag anhängig ist.
2) In Moskau kann man versehentlich auf der Liste der „Militärdienstentzieher“ landen. Zum Beispiel, wenn es keine Erklärung der Universität über ein noch bestehendes Studium gibt. Und das kann tragische Folgen haben. Von Mitte November bis Mitte Dezember gab es viele Razzien. Selbst wenn Sie alle Gründe für eine Zurückstellung haben und man Sie am Ende gehen lässt, ist es eine harte Erfahrung, tagelang auf dem Sammelplatz zu sitzen, während Ihre Rechte verletzt werden und Sie kaum eine Ahnung haben, wie es weitergeht.
3) Wenn Sie sich der Einberufung entzogen haben, aber bereits eine Vorladung zur Armee haben oder die ACS abgelehnt wurde, sind Sie in Moskau gefährdet. Sie können Sie erwischen, sobald die Frühjahrseinberufungen beginnen. Sie sollten sich darauf vorbereiten, denn es bleibt keine Zeit zum Ausruhen.
4) Während Sie gegen die Entscheidung vor Gericht Einspruch erheben, ist es besser, Moskau zu verlassen. In die Listen aufgenommen und Razzien unterzogen wurden auch diejenigen, die gegen die Entscheidung der höheren Rekrutierungskommission vor Gericht Einspruch erhoben hatten, was einen Verstoß darstellt. Es gab auch Fälle, in denen Personen vor der Entscheidung der höheren Rekrutierungskommission festgenommen wurden, oder wenn die Klage bei Gericht registriert war, oder sie die Militärkommission bereits über den Einspruch gegen die Entscheidung informiert hatten. Bevor die Einberufung rechtlich gestoppt wird, ist es wichtig, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen - aber noch besser ist es, sie während des gesamten Prozesses zu treffen.
5) Außerhalb Moskaus ist es besser, sich nicht zu verstecken und den ACS-Antrag zu stellen oder eine Ausmusterung zu beantragen, bevor die Praktiken nach Moskauer Vorbild in Ihrer Region eingeführt werden. Wenn Sie nach Moskau fahren müssen, verfolgen Sie die aktuellen Informationen über Razzien und seien Sie vorsichtig.
Timofei Vaskin, Anwalt, "School of the Conscripts"
Wir leben in einer personalistischen Diktatur im Krieg. Die Versorgung mit neuen Kämpfer*innen ist die Hauptaufgabe der Bürokratie auf allen Ebenen. Vor dem Krieg unterschrieben die Wehrpflichtigen Verträge - das war die Hauptversorgung der Armee. Es war eine bequeme Möglichkeit, den eigenen Status ohne nennenswerte Nachteile zu verbessern. Jetzt ist sie eine Eintrittskarte in den Tod oder die Invalidität. Deshalb lehnen die Menschen die Wehrpflicht ab.
Das gilt vor allem für Moskau - ein Ort voller flexibler und privilegierter junger Menschen, die viele Perspektiven im Leben haben. Die föderale Regierung verlangt von den Moskauer Behörden höhere Rekrutierungszahlen, so dass diese neue rechtliche und technische Möglichkeiten der Einberufung entwickeln. Könnte man einen Wehrpflichtigen dafür bezahlen, dass er sich freiwillig zum Dienst meldet, wie es bei Verträgen der Fall ist, hätte Moskau dies bereits getan.
Gewaltloser Protest gegen die Einberufung ist Selbsterhaltung.
Anonymer Berater, Call to Conscience
Das Wichtigste, was ein Wehrpflichtiger und die ihm nahestehenden Personen angesichts aller Erschwernisse tun können, ist, alle Leitfäden zu lesen und sich darauf vorzubereiten, sein Recht zu verteidigen, unter harten und sich ständig ändernden Bedingungen zu kämpfen. Verlassen Sie sich nicht auf Ihr Glück, schieben Sie die Lösung von Problemen mit dem Militärkommissariat nicht auf - verlassen Sie sich auf sich selbst und handeln Sie im Voraus.
Bei unserer Hotline gehen regelmäßig Anfragen von Personen ein, die überfallen wurden, die in einem Militärkommissariat oder auf einem Sammelplatz festgehalten werden oder die Gefahr laufen, durch Überredung, Drohungen oder Gewalt zur Armee geschickt zu werden. Bei jeder Einberufung stellen wir fest, dass ein Teil dieser Menschen frei aus diesen Situationen herauskommt - in der Regel diejenigen, deren Überzeugungen stark genug sind, um dem Druck zu widerstehen und den unrechtmäßigen Verfahren der Militärkommissare nicht zuzustimmen. Es ist nicht fair, dass die Wehrpflichtigen ihre Rechte unter so harten Bedingungen verteidigen müssen. Es ist nicht fair, dass viele ihre Rechte allein verteidigen müssen. Aber es ist wichtig für uns, die Botschaft zu vermitteln, dass Widerstand möglich ist. Unsere Aufgabe als Rechtsverteidiger ist es, bei der Vorbereitung auf diesen Widerstand zu helfen.
Anonymer Redakteur des Berichts, Call to Conscience
Jedes Jahr gibt es mehr und mehr Verstöße, aber die Wehrpflichtigen und ihre Angehörigen werden immer informierter und selbstbewusster. Oft erhalten wir Nachrichten von Leuten, die bereits alle verfügbaren Quellen studiert, einen Plan ausgearbeitet und ihn umgesetzt haben, so dass sie nur noch ein paar Fragen stellen. Beim UDO werden sie spöttisch als „Juristen“ bezeichnet und ihnen wird gesagt, dass „solche Leute dort nicht beliebt sind“. Die zunehmende Willkür ist eine Reaktion auf die Wehrpflichtigen, die ihre Rechte verteidigen, auf das gestiegene Interesse am ACS und auf die geringere Begeisterung für den Eintritt in die Armee. In den Städten, in denen der Widerstand geringer ist, ist die Willkür nicht so groß: Wenn Personen, die von der Straße zu einem Militärkommissariat gebracht wurden, sich bereit erklären, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen und „am selben Tag“ zur Armee zu gehen, besteht keine Notwendigkeit, sie zu jagen, zu fesseln und zu schlagen. Auf jede neue Willkür fällt den Menschen auch eine Antwort ein, die dann in den Schutz der Wehrpflichtigen integriert wird, um sie vor der Einberufung zu schützen. Wenn sie die Beschwerden in Moskau ignorieren, ist es gut für einige Zeit zu verschwinden. Wenn ich unter Druck gesetzt würde, würde ich von dort fliehen. Wir wissen nicht, wie weit die Willkür gehen kann. Aber angesichts der Tatsache, dass angsichts dessen, dass die staatlichen Medien nur selten darüber berichten (außer in den Fällen von Menschen mit Migrationshintergrund), ist zu sagen: Es gibt einige Grenzen.
Sergey Krivenko, Leiter der Menschenrechtsverteidiger-Gruppe „Citizen. Army. Law.“
Während der Herbsteinberufungen 2024 wurde das Ausmaß der Behördenwillkür gegenüber den Bürgern noch größer. Junge Menschen wurden als Beute oder wie Verbrecher gejagt: Sie wurden von der Polizei gefasst, mit Handschellen gefesselt, getasert, psychisch und physisch unter Druck gesetzt.
Nach dem Ende der Einberufung verschärften die Behörden die Wehrpflicht noch weiter. Das bedeutet, dass die nächste Einberufung noch härter ausfallen wird. Es wird noch schwieriger sein, sich gegen die Ungerechtigkeit zu wehren. Aber es bedeutet auch, dass die Wehrpflicht in Russland problematisch ist: Die Menschen wehren sich gegen die Willkür, sonst müssten die Behörden nicht so hart gegen die Wehrpflichtigen vorgehen.
Widerstand gegen Ungerechtigkeit ist immer noch möglich. Die Kriegsdienstverweigerung ist auch nach der geltenden Gesetzgebung immer noch möglich. Das Recht, den Kriegsdienst aus Überzeugung zu verweigern, ist nach wie vor verfassungsgemäß. Ja, man muss es nur eifriger einfordern: sich im Voraus vorbereiten, die Sicherheit im Auge behalten, daran denken, den Angehörigen eine Vollmacht auszustellen, damit sie wegen der Verweigerung des ACS oder rechtswidriger Handlungen im Prozess Klage erheben können; sich mental vorbereiten, an sich selbst glauben, Verbündete und diejenigen finden, die einen bei Bedarf unterstützen könnten. Mit Beharrlichkeit, der Unterstützung von Nahestehenden und Menschenrechtsverteidiger*innen ist es möglich, sich das Recht zu sichern, nicht zu kämpfen, auch wenn die Willkür zunimmt. Denn es ist das Recht des Bewusstseins.
Conscientious Objectors Movement, Call to Conscience, School of the Conscripts, Soldiers Mothers of St. Petersburg: Overview of Rights Violations and Resistance During the 2024 Fall Conscription. 5. Februar 2025. instructions.peaceplea.org/prizyvnikam/proizvol-osen-24/. Der Beitrag wurde in Auszügen veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Mai 2025
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