Interview mit Artem Klyga
(20.04.2025) Im Interview stellt sich Artem Klyga vor, der seit März 2025 bei Connection e.V. russische und osteuropäische Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen berät und unterstützt.
Kannst Du Dich kurz vorstellen?
Mein Name ist Artem Klyga. Ich bin Jurist mit einem Bachelor-Abschluss (2019) und einem Master-Abschluss (2021) in Rechtswissenschaften und habe mich auf humanitäres Völkerrecht, Verfassungsrecht, Kommunalrecht und das russische Militärrecht spezialisiert. Ich habe erfolgreich gegen die Moskauer Regierung, militärische Rekrutierungsbüros, das russische Verteidigungsministerium und militärische Einheiten vor Gericht geklagt. Außerdem habe ich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Entschädigungen für Personen erwirkt, die bei Protesten in Russland inhaftiert wurden. Zwischen 2020 und 2022 arbeitete ich als Vertreter der Zivilgesellschaft auch in einer Wehrpflicht-Kommission.
Seit 2018 arbeite ich im Bereich des Schutzes der Rechte von Kriegsdienstverweiger*innen in Russland. Im September 2022 floh ich nach Usbekistan, weil die russischen Behörden versuchten, mich für den Krieg in der Ukraine zu rekrutieren. Im Jahr 2023 siedelte ich im Rahmen des humanitären Visaprogramms für Russ*innen nach Deutschland über. Innerhalb von sechs Monaten nach meiner Ankunft in Deutschland lernte ich Deutsch auf B1-Niveau und begann in der internationalen Abteilung der russischen Menschenrechtsorganisation „Bewegung der Kriegsdienstverweigerer“ zu arbeiten. In dieser Funktion war ich für die Lobbyarbeit im Namen russischer Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen bei europäischen Institutionen, der OSZE, dem Europarat und den Vereinten Nationen zuständig. Jede Woche berate ich weiterhin Dutzende von Wehrpflichtige, Deserteur*innen und ihren Vertreter*innen in Rechtsfragen und unterstütze Anwält*innen in Russland bei einzelnen Gerichtsverfahren.
Wie bist Du zu Connection e.V. gekommen?
Während meiner Arbeit mit der „Bewegung der Kriegsdienstverweigerer“ begann unsere Partnerschaft mit der Menschenrechtsorganisation Connection e.V. Diese Zusammenarbeit fand zunächst in Form von öffentlichen Aktionen in Deutschland zur Unterstützung von Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine statt. Später wurde sie auf offizielle Veranstaltungen ausgeweitet, zu denen ich von Rudi Friedrich eingeladen wurde. Wir begannen regelmäßiger zusammenzuarbeiten, und dank dieser Arbeit verfügten meine Kolleg*innen bei Connection e.V. stets über umfassendes Material zur Situation der Wehrpflichtigen in Russland.
Welche Bedeutung hat für Dich die Kriegsdienstverweigerung?
Für mich ist die Kriegsdienstverweigerung ein universelles Recht, das allen Menschen zustehen sollte, unabhängig von ihrer Haltung gegenüber dem Staat. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Staat in seiner Fähigkeit, Menschen gegen ihren Willen zu irgendwelchen Handlungen zu zwingen, stark eingeschränkt werden sollte, einschließlich der Wehrpflicht oder der zwangsweisen Entsendung von Männern in den Krieg, wie es derzeit in Russland und der Ukraine geschieht.
Auf UN-Ebene und bei meinen Treffen mit der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Russland habe ich wiederholt dafür plädiert, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung expliziter und eindeutiger formuliert werden sollte, anstatt es indirekt aus Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte abzuleiten.
Natürlich hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der mich und meine Familie direkt betroffen hat, auch meine Haltung geprägt. Während in der Vergangenheit die Arbeit zur Kriegsdienstverweigerung einer meiner beruflichen Schwerpunkte war, widme ich mich seit 2022 ganz der Unterstützung von Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland.
Wie ergänzen Sie unser bestehendes Team? Was sind die von Ihnen erwarteten Arbeitsbereiche?
Meine Rolle im Team von Connection e.V. wird sich auf osteuropäische Themen konzentrieren, mit dem Ziel, Kriegsdienstverweiger*innen nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen postsowjetischen Staaten zu unterstützen, die in Deutschland Hilfe suchen.
Ich möchte mich mit juristischem Fachwissen einbringen, um sicherzustellen, dass die Arbeit von Connection e.V. eine sinnvolle Unterstützung für Anwält*innen darstellt, die Asylverfahren für Kriegsdienstverweiger*innen bearbeiten. Außerdem möchte ich Connection e.V. helfen, sich als führende Fachorganisation für Kriegsdienstverweigerung in den ehemaligen Sowjetstaaten zu etablieren.
Was motiviert Dich an Deinem Job? Gibt es eine Herausforderung, die Du gerne bewältigen würdest?
Ich werde durch greifbare positive Ergebnisse motiviert. Jedes erfolgreiche Gerichtsverfahren oder die Schaffung neuer juristischer Präzedenzfälle spornt mich an, noch härter zu arbeiten. Jede rückgängig gemachte Abschiebung eines Kriegsdienstverweigerers oder das Erscheinen neuer UN-Berichte, die die Situation in Russland beleuchten, bestärkt mich in meinem Glauben an die Wirkung meiner Arbeit.
Ich möchte auch in der Lage sein, offen und furchtlos über pazifistische Positionen zu sprechen und den wachsenden Militarismus in Europa zu kritisieren. Leider ist es innerhalb der russischen Menschenrechtsorganisationen im Exil nicht immer möglich, dies frei zu tun.
Connection e.V.: Interview mit Artem Klyga, 20. April 2025. Das Interview führte Marah Frech. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Mai 2025
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