Ole Nymoen. Foto: IPPNW

Ole Nymoen. Foto: IPPNW

„Es sind die Staaten, die dieses Leid über die Bevölkerungen bringen“

von Ole Nymoen

(17.05.2025) Ich habe jetzt schon so viele Talkshows gehabt. Und immer wieder werde ich gefragt: Herr Nymoen, warum wollen Sie nicht kämpfen? Mittlerweile bin ich an dem Punkt zu sagen, es ist doch egal, was ich darauf antworte. Es ist vollkommen egal, welche Gewissensgründe ich mir zurechtlege, warum ich nicht kämpfen möchte. Es ist egal, weil es keinen Staat gibt, den das im Ernstfall interessiert.

Kein Staat kümmert sich um die Sicherheit der Bürger – allzu oft endet das in offensiven Kriegen. Und Kriege werden nicht davon abhängig gemacht, ob die eigene Bevölkerung ihn will. Es wird nicht gefragt: Wollt ihr kämpfen oder nicht? Nein, alle Staaten dieser Welt zwingen ihre Bürger im Ernstfall in den Krieg.

Wir haben es eben gehört: Das gilt in Russland. Das gilt auch in der Ukraine, auch wenn darüber in Deutschland kaum gesprochen wird, weil es als ein heldenhafter Kampf verklärt wird. Das lässt sich von Deutschland aus relativ einfach sagen, wenn man nicht selbst im Schützengraben liegt.

Uns muss klar sein, dass dies auch für Deutschland gilt. Es gibt kein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Die Bedingungen, unter denen dieses Recht gewährt wird, hat der Staat unter seiner Kontrolle. Viele von Euch haben vermutlich verweigert. Und wir alle wissen, dass der Staat es in der Vergangenheit sehr schwer gemacht hat, dieses Recht auf Kriegsdienstverweigerung wirklich wahrzunehmen. Es war notwendig, gut geschult in die Prüfungen zu gehen. Wer sich da nicht so gut angestellt hat und vielleicht auch nicht die Möglichkeit hatte, einen Anwalt dazu zu holen, musste zur Armee.

Es ist doch klar: Wenn es in Deutschland ernsthaft zum Krieg käme, dann werden diese Prüfungen sicherlich nicht einfacher sein als vor 40 oder 50 Jahren, als man das noch ziemlich ernst genommen hat. Und so ist auch klar, dass dieses Recht auf dem Papier existiert, aber im Ernstfall auch komplett ausgehebelt werden kann, wie es derzeit in der Ukraine geschieht.

Jeder Staat dieser Welt greift auf diese Art und Weise auf seine Bevölkerung zu. Er behauptet, er sei eigentlich nur die Schutzmacht der Bevölkerung. Seltsamerweise ist es dann aber die Bevölkerung, die den Staat schützen muss. Dieser Widerspruch fällt vielen Leuten nicht auf. Sie halten es für selbstverständlich, dass ihr eigenes Interesse, ihr eigenes Überleben mit dem des Staates zusammenfällt.

Dabei gilt oftmals das Gegenteil. Sowohl im Angriff wie in der Verteidigung fällt erst der Soldat oder der Zivilist und dann der Staat. Und dementsprechend ist es vollkommen klar: Was uns die Staatenlenker erzählen, ist einfach gelogen.

Wenn Friedrich Merz sagt, er will die Bundeswehr zur zweitgrößten Streitmacht Europas machen, was aber nur der eigenen Sicherheit diene, muss man klar Nein sagen. Wenn junge Männer in den Krieg und zu einer neuen Wehrpflicht gezwungen werden, dann ist es ihre Sicherheit, die dabei drauf geht. Der Staat erhält seine eigene Souveränität, indem er ihre Sicherheit opfert. Diese Trivialität auszusprechen, macht viele Leute wütend.

60% der Bevölkerung wollen selbst nicht in den Krieg ziehen. Das heißt dummerweise, dass wir 40% der Bevölkerung gegen uns haben, wenn wir das so äußern. Bei 80 Millionen sind das doch eine ganze Menge. Und ich kann jedenfalls nur sagen, dass die letzten Monate für mich der komplette Wahnsinn waren. Ich wurde einer Gewissensprüfung nach der anderen unterzogen.

Dabei geht es ja gar nicht darum, Die Staaten machen mit einem was sie wollen. Sie benutzen einen als „Menschenmaterial“. Dieser Begriff wurde zum Unwort des 20. Jahrhunderts gewählt. Aber ich finde das Wort sehr treffend. Es bringt auf den Punkt, was man als Bürger für seinen Staat ist: Nichts weiter als Menschenmaterial, das im Ernstfall für die Souveränität verheizt wird.

Damit wäre auch die Frage beantwortet, warum ich nicht für mein Land kämpfen will. Ich bin nicht bereit, mich in dieses Verhältnis zwingen zu lassen. Ich bin nicht bereit, für die Verteidigung der deutschen Grenzen oder für irgendwelche hehren Werte in den Krieg zu ziehen.

Und diese hehren Werte werden derzeit nicht von außen, sondern von innen angegriffen. Die Gefahr für die Freiheiten dieser Gesellschaft, die ja auch ich gut finde, kommt gerade nicht von außen, sondern von innen. Und am Ende des Tages gibt es keine größere Einschränkung der Freiheit, als kämpfen zu müssen.

Ich bedanke mich bei meinen Vorrednern, die deutlich gemacht haben, dass sich nicht Ukrainer und Russen feindlich gegenüberstehen. Nein, es sind die Staaten, die dieses Leid über die Bevölkerungen bringen, die die Menschen dazu zwingen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Ole Nymoen: „Es sind die Staaten, die dieses Leid über die Bevölkerungen bringen“. Redebeitrag am 17. Mai 2025 in Berlin aus Anlass des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung. Auszüge. Ole Nymoen ist Podcaster und Autor des Buchs „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit“

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