US-Verweigerer wollen aus der Armee entlassen werden

von Reuben Miller

(01.09.2004) Letzten Monat erhielt Sergei Chaparin einen Brief vom Hauptquartier der Armee aus Washington DC. Damit wurde er darüber informiert, dass die Armee seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gebilligt hatte und er aus der US-Armee entlassen werde. Das Verfahren hatte neun Monate gedauert, nachdem seine Einheit in Vilseck, Bayern, seinen Antrag zu den Akten genommen hatte. Das Verfahren lief gut für ihn. Er hatte drei Anhörungen zu absolvieren: beim Militärgeistlichen, einem Psychologen und dem für den Fall zuständigen Offizier. Alle unteren Ränge, die sich mit seinem Kriegsdienstverweigerungsantrag beschäftigten, empfahlen die Billigung des Antrages. Sogar sein eigener Kommandeur sprach sich dafür aus. "Ich kann mich wirklich nicht beschweren", sagt Chaparin, "sie befolgten alle Vorschriften".

Nicht jeder, der einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt, hat solch ein Glück. Einem Kriegsdienstverweigerer, der sich gegenwärtig im Irak befindet, wurde erzählt, dass er seine Schreiben an seinen Senator einstellen solle, nachdem dieser Erkundigungen über die Verfahrensweise des zuständigen Kommandeurs eingezogen hatte. In anderen Fällen verloren die Kommandeure die Akten oder unterließen es, den Soldaten über seine Rechte zu informieren. Ein Kriegsdienstverweigerer, der auf eine endgültige Entscheidung über seinen Antrag wartete, wurde regelmäßig mitten in der Nacht geweckt, um zusätzliche Arbeiten zu verrichten. Chaparin, wie auch sieben US-Verweigerer im Irak und einer in Süd-Korea, werden vom MCN betreut.

Eins ist klar: Einige Kommandeure befassen sich ernsthaft mit Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung, andere lassen sich nur unter Druck vom Kongress oder durch wiederholte Anfragen des Soldaten dazu bewegen. Einige Kommandeure geben SoldatInnen falsche oder missverständliche Informationen über das Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung in der US-Armee. Ein Kommandeur weigerte sich sogar, die gesamte Akte anzunehmen. Während es in einigen Fällen wohl eine beabsichtigte Behinderung der Vorgesetzten darstellt, ist es im Allgemeinen einfach die Unwissenheit der Kommandeure, die mit Kriegsdienstverweigerung nur die kürzlich durch die Presse gegangenen Schlagzeilen über Jeremy Hinzman und Camilo Mejia kennen. Nach Bill Galvin vom Center for Conscience and War in Washington D.C., greifen viele Offiziere eher auf militärische Traditionen, als auf die Regeln der Armee zurück, um ihre Truppen zu führen. Sie folgen einem ungeschriebenem Kodex, der durch Beispiele und mündlich weitergegeben wird.

Unabhängige Informationen und Unterstützung erhalten US-Verweigerer bei zivilen Organisationen. Das GI Rights Network betreibt in den USA eine telefonische Hotline für Militärangehörige, die Informationen und eine Unterstützung außerhalb der militärischen Strukturen suchen. Mehr als 17.000 Anrufe registrierten die daran beteiligten 13 Graswurzelorganisationen allein im ersten Halbjahr 2004. Das Military Counseling Network (MCN), das seinen Sitz in der Nähe von Heidelberg in Deutschland hat, ist die einzige daran beteiligte Organisation außerhalb den USA. MCN hat seit März 2003 18 US-Verweigerer sowohl in Deutschland als auch im Irak betreut, wie auch dreißig weitere Fälle, bei denen es um die medizinische Versorgung, Desertion, Homosexualität und familiäre Härtefälle ging. Die Berater des MCN haben auf mehr als 150 Anfragen geantwortet, die per Telefon und E-Mail eingingen.

Daniel Clark (Name geändert) ist ein Unteroffizier der US-Armee. Während der letzten Jahre im Dienst, die er in Deutschland stationiert war, begann er, seine Auffassung zur Beteiligung an einem Krieg zu ändern. Es fing mit einem Kurs für eine Hochschulzugangsberechtigung in seiner Einheit in Kaiserslautern an. Im Anschluss studierte er europäische und afro-amerikanische Geschichte. Die Ausbildung, die sowohl das Lernen der deutschen Sprache beinhaltete, wie auch Reisen in Deutschland, gab Clark eine neue Perspektive der ehemaligen Feinde der USA. Clark, dessen Kriegsdienstverweigerung auf seinem christlichen Glauben beruht, fand heraus, dass die englischsprechenden Kirchen um Kaiserslautern herum immer die Stärkung der "militärischen Mission" im Auge hatten. Clark schrieb seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung in den letzten Monaten und wird in Kürze das Verfahren in Gang setzen.

Der bereits als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Chaparin kam im Jahre 2001 in die US-Armee, um wieder Ordnung in sein Leben zu bringen. Er war alkoholabhängig gewesen und steckte in einer persönlichen Krise, nachdem sein Vater zufällig in Moskau ermordet worden war. "Ich ging meiner Frau und meinen Kindern zuliebe zum Militär .... (mein Leben) fiel auseinander und ich versuchte mich wieder zu finden." Die Terrorangriffe des 11. September spielten bei der Änderung seiner Überzeugungen eine Rolle. "Als ein Soldat muss ich Befehle befolgen ... Ich muss den sogenannten Feind angreifen. Das beunruhigt mich wirklich. Jeder Soldat im US-Militär besitzt eine große Feuerkraft und hat damit eine große Macht." Chaparin, der in Russland geboren und aufgewachsen ist, begann seine Vorstellung zu ändern, was der Begriff Feind bedeutet. "Die USA und Russland waren Feinde. Ich habe eine Menge großartiger Freunde in den USA getroffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies passiert wäre, wenn es einen Krieg zwischen den USA und Russland gegeben hätte. Über solche Dinge begann ich nachzudenken." Chaparin war überrascht, als der Brief letzten Monat kam. "Ich war darauf eingestellt, länger warten zu müssen", sagt er.

In der US-Armee muss ein Kriegsdienstverweigerer in seinem Antrag sieben Fragen über seine persönlichen Überzeugungen und die Anwendung von Gewalt beantworten. Der Antrag wird an den Kommandeur übergeben, der einen Offizier mit der Untersuchung beauftragt, um die Akten vom Militärgeistlichen und dem Psychologen zu ergänzen, wie auch mit einem Interview mit dem Soldaten. Der Untersuchungsoffizier ist dafür verantwortlich, alle Dokumente zur Kriegsdienstverweigerung des Soldaten zusammenzustellen und schließlich eine positive oder negative Empfehlung auszusprechen. Der Kommandeur der Einheit erhält diese Akte, gibt ebenfalls eine Empfehlung ab und leitet den Vorgang an den Vorgesetzten weiter. Auf jeder Ebene wird vom zuständigen Kommandeur eine Empfehlung ergänzt. Bei jeder negativen Empfehlung muss der Kommandeur die Gründe für seine Ablehnung darlegen. Eine ablehnende Empfehlung berechtigt den Kriegsdienstverweigerer, eine schriftliche Stellungnahme zu ergänzen. Unkooperative Kommandeure können das Verfahren um Monate verzögern. Einige Kriegsdienstverweigerer wurden nicht über ablehnende Empfehlungen informiert und so daran gehindert, eine Stellungnahme dazu abzugeben. In sehr wenigen Fällen ist das Verfahren nach sechs Monaten oder schneller abgeschlossen. Das Verfahren von Chaparin dauerte neun Monate, mit einem kooperativen Kommandeur.

Während des Verfahrens soll der Kommandeur dem Soldaten eine Arbeit zuteilen, die in möglichst geringem Widerspruch zu den vom Soldaten geäußerten Überzeugungen steht, vor allem zu einer Tätigkeit ohne Waffen. Das ist dann schwierig, wenn der Kriegsdienstverweigerer in ein Konfliktgebiet geschickt wird, wie in den Irak oder nach Afghanistan. Einige Kriegsdienstverweigerer im Irak weigerten sich, Waffen zu tragen. Nach einem Befehl, die Waffe zu tragen, weigerten sie sich, Munition zu benutzen. Das führte zu Schikanen der anderen Soldaten und von Vorgesetzten.

Das Verfahren abzuwarten stellt sicher eine schwierige Situation für einen Kriegsdienstverweigerer dar. Nach den Vorschriften der Armee sollte ein Soldat oder eine Soldatin Dienstaufträge erhalten, die "so wenig wie möglich in Konflikt mit den von ihm oder ihr geäußerten Überzeugungen" stehen. Chaparins Kommandeur traf mit ihm eine vernünftige Vereinbarung. Clark hofft auf Verständnis des befehlshabenden Offiziers. Er sagt, dass er ein gutes Verhältnis zu ihm hat. Wegen seiner guten Personalakte glaubt er an eine gute Chance, dass sein Kommandeur ihn nur für Dienste ohne Waffen einsetzen wird, bis er eine Nachricht vom Hauptquartier der Armee erhält. Wenn Clark befohlen wird, eine Waffe zu tragen, will er dies verweigern. Er hat sich auch dazu entschieden, seine Verlegung zu verweigern, wenn seine Einheit später in den Irak geschickt werden sollte. Das könnte zu einer Anklage vor dem Militärgericht führen. Clark sagt, dass er dieses Risiko eingehen will, um seinem Gewissen zu folgen.

Kontakt

Military Counseling Network (MCN)
Hauptstr. 1, 69245 Bammental
Tel.: 06223-47506, Fax: 06223-47791
Email: mcn@dmfk.de
Homepage: http://www.getting-out.de

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2004.

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