Nigeria: Die Zivilgesellschaft ist rege, aber zersplittert

von Thomas Mösch

(31.03.2005) Seit das bevölkerungsreichste Land Afrikas 1999 zur Demokratie zurückgekehrt ist, können politische Gruppen zwar wieder offen arbeiten. Die Medien, insbesondere die zahlreichen privaten Zeitungen, können weitgehend unbehelligt berichten. Konflikte werden aber weiterhin oft mit brutaler Gewalt ausgetragen. In den letzten Jahren sind ihnen Tausende Menschen zum Opfer gefallen. Täter sind dabei sowohl Armee und Polizei als auch organisierte bewaffnete Gruppen. Auch politische Gegner schrecken nicht davor zurück, ihre Differenzen mit Gewalt und Mord auszutragen. In einem solchen Klima haben es gewaltfreie zivilgesellschaftliche Gruppen sehr schwer, sich zu organisieren und Gehör zu verschaffen.

Es sind vor allem vier Felder, auf denen die härtesten Auseinandersetzungen toben:

  1. Soziale Konflikte, die im Vielvölkerstaat Nigeria sehr schnell eine ethnische oder religiöse Komponente erhalten.
  2. Im engeren Sinne religiöse Konflikte, vor allem um die Einführung und Umsetzung des islamischen Strafrechts in den mehrheitlich muslimischen Bundesstaaten des Nordens.
  3. Der Streit um die Verteilung der Öleinnahmen, der vor allem in den Ölfördergebieten des Niger-Deltas ausgetragen wird.
  4. Der Kampf für die Menschenrechte im Allgemeinen, für Demokratie und gegen Korruption.

Auf allen diesen Feldern engagieren sich zivilgesellschaftliche Gruppen mit gewaltfreien Mitteln. In den letzten Jahren hat allerdings die Gewalt auch auf Seiten des Widerstands gegen als ungerecht empfundene Strukturen zugenommen. Andererseits haben viele, die während der Militärherrschaft als Oppositionelle in Nichtregierungsorganisationen gearbeitet haben, ihre Aktivitäten in das inzwischen sehr bunte Parteiensystem verlagert, was die gewaltfreien zivilgesellschaftlichen Strukturen geschwächt hat.

So ist zum Beispiel von der ältesten nigerianischen Menschenrechtsorganisation, der Civil Liberties Organisation, heute nur noch wenig zu hören. Im Kampf gegen die Steinigungsurteile von Sharia-Gerichten haben sich vor allem Frauenorganisationen engagiert. Zu nennen sind hier u.a. das Women’s Advocates Research and Documentation Centre (WARDC) in Lagos und Women’s Aid Collective (WACOL) in Enugu. Allerdings sind diese und andere meist akademisch geprägte Gruppen aus dem christlich dominierten Süden des Landes ohne viel Rückhalt im Norden. Gemeinsam mit internationalen Menschenrechtsorganisationen konnten diese Gruppen jedoch den wegen Ehebruchs angeklagten Frauen juristisch helfen. Bisher wurde keine der angeklagten Frauen hingerichtet, höhere Instanzen haben sie in der Regel freigesprochen.

Auch der Streit um die Ölförderung im Niger-Delta hat international viel Aufmerksamkeit erregt. Zunächst war es das kleine Ogoni-Volk, das Anfang der 90er Jahre unter Führung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa mit gewaltfreien Widerstandsaktionen von sich reden machte. Die damalige Militärregierung reagierte mit großer Härte und ließ schließlich Saro-Wiwa und acht weitere Ogoni-Bürgerrechtler 1995 aufhängen. Danach zerstritt sich die Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes (MOSOP). Bis heute hat sie sich davon nicht erholt.

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre setzte sich das größte Volk des Deltas, die Ijaws, an die Spitze des Widerstands gegen Ölkonzerne und Zentralregierung. Einige junge Intellektuelle bauten zusammen mit Gleichgesinnten aus anderen Völkern des Deltas die Environmental Rights Action (ERA) auf, die die Aktivitäten von Ölkonzernen und Regierung dokumentiert und versucht, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen.

Teile der Ijaws radikalisierten sich schnell. Neben dem eher klassisch als Interessenvertretung agierenden Ijaw National Congress haben immer wieder Jugend- und auch Frauengruppen Ölfördereinrichtungen besetzt, um für die Gemeinden vor Ort einen Anteil an den Fördereinnahmen zu erzwingen. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen im September 2004, als eine aus der Ijaw-Jugendbewegung hervorgegangene bewaffnete Gruppe mit der Eroberung der Millionenstadt Port Harcourt drohte. Da die Zentralregierung die Lage nicht unter Kontrolle bekam, handelte sie kurzerhand mit dem Milizenführer einen nicht näher bekannten Kompromiss aus, der ihn dazu brachte, die Waffen nieder zu legen.

Insgesamt war der Widerstand im Delta - sei es mit oder ohne Gewalt - bisher nur mäßig erfolgreich. Offiziell fließt jetzt zwar ein erheblich größerer Anteil der Öleinnahmen in die Förderregionen als noch vor zehn Jahren. Vor Ort ist davon allerdings wenig zu sehen.

Trotzdem: Die zahlreichen kleinen und größeren Menschenrechts-, Umwelt- und Frauenorganisationen werden zunehmend professioneller und können ihren Einfluss ausbauen. Auch die Gewerkschaften, allen voran ihr Dachverband NLC und die Ölarbeitergewerkschaften, sind nicht zu unterschätzende Teile der nigerianischen Zivilgesellschaft.

Anmerkung

Die Fülle der Organisationen macht es allerdings für Außenstehende schwierig zu beurteilen, wie relevant einzelne Organisationen tatsächlich sind. Einige verstecken unter dem Banner von Menschenrechten und Demokratie lediglich eine extrem ethnozentrische und fremdenfeindliche Politik, wie die in Deutschland immer wieder als "verfolgte demokratische Oppositionsgruppe" bezeichnete O’odua Peoples Congress (OPC).

 

Thomas Mösch ist Journalist und Mitglied im Vorstand der Initiative Pro Afrika e.V. Ende 1995 hat er in Hamburg den Arbeitskreis Nigeria / Aktion Ogoni mitgegründet, der fünf Jahre lang zur Lage im Niger-Delta und zur Menschenrechtssituation in Nigeria gearbeitet hat.

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Antimilitaristische Angolanische Menschenrechtsinitiative (Hrsg.): Broschüre »Das andere Afrika: Widerstand gegen Krieg, Korruption und Unterdrückung«, Offenbach/M., April 2005. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die Aktion Selbstbesteuerung e.V. (asb), das Bildungswerk Hessen der DFG-VK sowie den Fonds der EKHN »Dekade zur Überwindung der Gewalt«.

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