USA: Camilo Mejía wegen unerlaubter Abwesenheit verurteilt

von Franz Nadler

Über Camilo Mejía1 sind insbesondere in der unabhängigen US-Presse eine Vielzahl von Beiträgen erschienen. Neben der Beschreibung seiner persönlichen Geschichte haben wir Aussagen von ihm zusammengestellt (nur in der Printausgabe des Rundbriefes). Des weiteren gibt es Informationen zu seinem Vater und ein Aufruf, ihn zu unterstützen.

Camilo Mejía ist 28 Jahre alt und wurde in Nicaragua geboren. Sein Vater ist der Musiker Carlos Mejía Godoy. Seine Mutter, die Friedensaktivistin Maritza Castillo, stammt aus Costa Rica, wo Camilo ebenfalls zeitweise wohnte. Zusammen mit seiner Mutter zog er mit 18 Jahren zu seiner Großmutter in die USA, nach Miami in Florida, dem Anlaufpunkt für Exil-Lateinamerikaner.

Militärdienst, eine Chance zum Aufstieg?

"Um Unterstützung für den College-Besuch zu bekommen und um neue Erfahrungen zu machen" trat er bald darauf, 1995, der Armee bei. Nach dem über drei Jahre abgeschlossenen Vertrag bei der Regular Army ging er zur Florida National Guard, auch weil ihm die Übernahme der Kosten für die staatliche Universität von Miami, an der er Psychologie studierte, in Aussicht gestellt worden war. Es war wohl so, dass er studieren konnte und lediglich für bestimmte Zeiten Dienst ableisten musste; er war also Reservist. Seine letzte Dienstgradbezeichnung lautet Staff Sergeant (Stabsunteroffizier).

Als Einwanderer in der Armee / Lateinamerikaner in Irak

Camilo Mejía ist (noch immer) nicaraguanischer Staatsangehöriger. In den USA hat er als Inhaber einer Green Card eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung.

Gegenwärtig dienen in den US-Streitkräften über 37.000 Leute ohne US-Staatsangehörigkeit. Anwerber zielen speziell auf Lateinamerikaner, aber auch auf andere farbige oder arme weiße Jugendliche. Es werden vor allem jene Jugendlichen ins Militär gelockt, die nicht für die Berufsausbildung oder das Studium bezahlen können. Die "ökonomische Wehrpflicht" stellt sicher, dass das Pentagon eine stete Versorgung mit Kanonenfutter hat. Nach dem New Hispanic Center sind Latinos in der Armee in den gefährlichsten Einheiten, wie etwa der Infanterie, überrepräsentiert. Einer der ersten Soldaten, die im Irak ums Leben gekommen sind, war Jose Gutierrez, ein guatemaltekischer Waise. Auch er hatte keine US-Staatsangehörigkeit.

Das Militär bietet sich auch illegal in die USA eingewanderten Jugendlichen an, die mit einem Aufenthaltsstatus geködert werden.

Auch 115 Soldaten des Staates Nicaragua sind seit August 2003, gemeinsam mit 400 aus El Salvador, 365 aus Honduras und 300 aus der Dominikanischen Republik, an der Seite Spaniens im Irak in der Region al-Nadschaf eingesetzt. Dem ging ein Tauschhandel "Soldaten gegen Schulden" voraus - Aznar soll diesen Staaten insgesamt bis zu 240 Millionen Euro Schuldenerlass zugesagt haben. Bis auf El Salvador wollen die Staaten nun allerdings ihre Truppen abziehen und damit Spanien folgen.

Einberufung und Mobilmachung

Camilo Mejía hatte gerade sein Abschlusssemester begonnen, als seine Einheit im Januar 2003 in Bereitschaft versetzt wurde - die C Company, 1-124 INF der 53d Infanterie-Brigade wurde zu dem der Mobilmachung vorgeschalteten Kampftraining nach Fort Stewart in Georgia geschickt.

Einsatz im Mittleren Osten und im Irak

Nach ein paar Wochen Ausbildung wurde Camilos Einheit in ein der Geheimhaltung unterliegendes Land des Mittleren Ostens geflogen. Dort bestand ihre Aufgabe darin, die Basis für die Patriot Missiles (=lenkbare Raketen) zu bewachen. Anschließend, im April 2003, wurden sie in den Irak geschickt, wo er bis zum Oktober 2003 diente.

Der in Irak als Truppenführer (ein Trupp besteht aus acht Infanteristen) eingesetzte Mejía wurde zunehmend desillusioniert. Die Soldaten seien schlecht ausgerüstet gewesen und die Kommandeure hätten sich als "inkompetent" erwiesen. US-Soldaten seien als Köder benutzt worden, um irakische Aufständische zum Kampf zu motivieren, damit Offiziere Auszeichnungen bekämen. Zu viele Einsätze seien ohne Rücksicht auf zivile Opfer geführt worden.

Fronturlaub und Kriegsdienstverweigerung

Am 1. Oktober 2003 trat er einen zweiwöchigen Fronturlaub in den Vereinigten Staaten an, aus dem er nicht mehr zurückkehrte. Er wollte sich nicht mehr an dem illegalen und unmoralischen Krieg im Irak beteiligen und wollte insbesondere auch bei der Misshandlung von irakischen Gefangenen nicht mehr zugegen sein.

Mejía ist der erste US-Soldat bzw. Reservist des Krieges in Irak, der öffentlich jeden weiteren Dienst verweigert. Er stellte seinen Widerstand in verschiedenen Fernsehkanälen vor, so in der Diskussion mit Dan Rather in der CBS-Sendung Sixty Minutes, auf Capa und Canal TV (Frankreich), CNN, Asahi TV (Japan), in der Sendung von Canadian Broadcasting Corporation "Dialogue" und auch in verschiedenen Zeitungen und Magazinen, darunter Chicago Tribune, Le Journal du Dimanche (Frankreich), The Guardian (GB), in der wöchentlichen Shukan Bunshun (Japan) und Il Manifesto (Italien).

Am Montag, den 15. März 2004, sprach Mejía auf einer öffentlichen Demonstration an der Peace Alley, in Sherborn nahe Boston, Massachusetts. Bei der anschließenden Pressekonferenz sagte er: "Ich ging in den Irak und war ein Instrument der Gewalt. Nun habe ich mich entschieden zu einem Instrument des Friedens zu werden. Ich bin bereit ins Gefängnis zu gehen, weil ich ein klares Bewusstsein habe. Ich weiß, dass ich meinem Gewissen und meinem Herzen folge." Dann stellte er sich, unterstützt von seinem Anwalt, der Hanscom Air Force Base in Massachusetts. Dort überreichte er seinen 40 Seiten umfassenden Antrag auf Entlassung wegen Kriegsdienstverweigerung. Am 17. März ist er in die Fort Stewart-Kaserne in Georgia verlegt worden, wo er am 25. März wegen Desertion angeklagt wurde.

Nach anderen Berichten stellte er sich am 16. März bei seiner Einheit, der Florida National Guard in Fort Stewart, Miami, und überreichte dort den Kriegsdienstverweigerungsantrag dem Kommandeur, Generalmajor William G. Webster, Jr.

In der Kaserne entschied Kommandeur Webster, Mejía nicht wegen seiner Kriegsdienstverweigerung zu entlassen - was er hätte machen können - sondern gegen ihn Strafanzeige wegen Desertion zu erheben. Er hätte zudem wegen "Umgehung eines Truppentransports zu einem besonderes gefährlichen Einsatz" angeklagt werden können. Jede Straftat kann mit jeweils bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, so die Information von Citizen Soldier, einer gemeinnützigen Organisation für die Rechtsberatung von GIs, die ihn unterstützt. Mit jeder Bestrafung droht zugleich auch die unehrenhafte Entlassung aus der Armee.

Mejías Anwalt ist der mit Citizen Soldier kooperierende Louis Font aus Boston. Dieser wurde während des Viet-namkrieges selbst zum Kriegsdienstverweigerer. Font wollte im Strafverfahren Experten aufbieten, die bezeugen, dass die US-Invasion und Besetzung des Irak internationales Recht verletzt, darunter die Charta der Vereinten Nationen - und Mejias Verhalten demnach nicht nur geboten, sondern Pflicht ist, will er sich nicht strafbar machen.

Über Mejías Gesuch auf Entlassung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen ist bis zum Urteil noch nicht entschieden worden.

Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht, Desertion

Nach Angaben (alle nachfolgenden Zahlen nach: The Guardian/GB - 5.5.04) des Central Committee for Conscientious Objectors sind seit Beginn des Irakkrieges 29.000 Anfragen eingegangen. Nahezu alle wollten die Armee verlassen. Etliche, wie Mejía, sind untergetaucht, weniger haben Anträge auf Entlassung wegen Kriegsdienstverweigerung gestellt.

Nach Angaben der US-Armee stellten im Jahr 2003 71 Soldaten Anträge auf Kriegsdienstverweigerung, von denen etwa die Hälfte akzeptiert wurden. 2002 hat es 46 Anträge gegeben, davon seien 34 (73%) anerkannt worden. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2004 seien 11 Anträge eingegangen, über die noch nicht entschieden sei.

Nach Angaben des Pentagon kehrten bislang 600 Soldaten aus dem Heimaturlaub nicht mehr zurück. Das Marinecorps allein registrierte 2003 1.113 Fälle von Desertion und im Jahr 2004 bislang (Stand Mai) 384 Fälle. Die Armee verzeichnete im letzten Jahr 2.731 Fälle von Desertion, "erheblich weniger" als im Jahr davor. Nach Untersuchungen des Pentagon ist die Moral der Truppen in Irak gefährlich gesunken; dreiviertel der Soldaten sind der Ansicht, dass sich ihre Vorgesetzten nur wenig um ihr Wohlbefinden kümmern.

Erlebte Folter

Auf den Seiten 29-32 seines Antrages beschreibt Mejía von ihm selbst zu Beginn des Monats Mai 2003 erlebte Details der Folter und Misshandlung von Gefangenen durch US-Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt al Assad. Offensichtlich hat niemand von General Websters Stab diese schwerwiegenden Anschuldigungen in den Wochen (bis Mitte Mai), die seit dem Erhalt des Kriegsdienstverweigerungsantrages vergangen sind, untersucht.

Da das Pentagon bislang lediglich die Folter durch US-Truppen im Abu Ghraib-Gefängnis, und auch nur für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2003 untersucht hat, hat Tod Ensign, Direktor von Citizen Soldier, zwei Angehörige des Komitees des Senate Armed Services Committee (Streitkräfteausschuss des Senats), Hillary Clinton (Demokratin aus New York) und Carl Levin (hochrangiges Mitglied der Demokraten aus Michigan), mit den entsprechenden Informationen zu Mejías Aussagen versorgt, damit sie ihn als Zeugen für die Untersuchung des Ausschuss’ einladen können.

Das Militärgericht urteilt

Vor Gericht verteidigte Mejía sein Verhalten damit, dass die erlebten Verletzungen des internationalen Rechts ihn zum Fernbleiben vom weiteren Dienst berechtigten.

Am Freitag, den 21. Mai 2004, verurteilte das Militärgericht in Fort Stewart Camilo Mejía wegen Desertion zu einem Jahr Gefängnis, der Zurückstufung im Rang auf E-1 (womit vermutlich auch eine entsprechend geringere Besoldung verbunden ist), die Kürzung der Bezüge auf Zweidrittel für ein Jahr und die unehrenhafte Entlassung. Sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung fand in dem Verfahren keine Berücksichtigung, es wurde auch nicht als Beweismittel angenommen.

Alle verwendeten internationalen Quellen stimmen in dieser Version überein. Spiegel Online dagegen schreibt, dass Mejía die "Höchststrafe" von einem Jahr Gefängnis bekommen hat, da er "von einem Fronturlaub nicht mehr zurückgekommen" sei bzw. wegen "Fahnenflucht". Dies erscheint zutreffender.

Camilo Mejía ist gegenwärtig in Fort Stewart in Polizeihaft. Es ist davon auszugehen, dass er in den nächsten Tagen in ein Militärgefängnis verlegt werden wird. Es ist nicht bekannt, ob ihn das Gericht für die Dauer des Widerspruchsverfahrens gegen Kaution freilässt.

Fußnoten

1 es könnte auch sein, dass sich sein Vorname Camillo schreibt; der Familienname wird Mechïja ausgesprochen

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juli 2004.

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