Flucht aus dem US-Militär: eine Familienaffäre in Kanada

Sie haben Position bezogen: "Dieser Krieg ist falsch"

von Michelle Langlois

Jeremy Hinzman ist ein US-amerikanischer Infanteriesoldat, der die Armee unerlaubt verlassen hat. Er brachte seine Familie nach Kanada und hat beantragt, als Flüchtlings anerkannt zu werden, da ihn das Militar nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkennen will. Über ihn sind bereits eine Vielzahl von Artikeln auf der ganzen Welt erschienen.

Der Name Nga Nguyen ist dagegen nicht so geläufig. Nga ist Jeremys Frau, und die Mutter des 22 Monate alten Sohnes Liam. Nga hat nicht das Rampenlicht gesucht, was diese Geschichte noch attraktiver gemacht hätte. Sie ist glücklich, Jeremy die Hauptlast der Öffentlichkeitsarbeit überlassen zu können. Sie ist eine leise sprechende Frau, die mit ihrem Mann einen überzeugten Standpunkt vertritt, der auf einer festen Meinung über die Besetzung des Irak fußt. Sie begann zu erzählen, indem sie mir einige Hintergründe über die ursprüngliche Entscheidung ihres Ehemannes schilderte, zur Armee zu gehen.

Nga Nguyen: Jeremy war in der Infanterie der 82. Fallschirmjägerdivision. Das sind diejenigen, die mit Fallschirmen aus den Flugzeugen springen. Als er zum ersten Mal zum Militär gehen wollte, versuchte ich ihm das auszureden, aber ich überließ ihm die Entscheidung. Schon viel früher hatte ich zu Jeremy gesagt, dass ich eine finanzielle Sicherheit brauche, um eine Familie zu gründen. Ich sah während meiner Arbeit viele Jugendliche, die in Armut lebten. So ging er aus finanziellen Gründen zur Armee. Er sah darin einen Weg, um keinen Job mehr annehmen zu müssen, bei dem er nur das Mindesteinkommen erhält. Die Armee würde auch für die Ausbildung bezahlen. Aber er wusste nicht, wie das Leben im Militär aussieht, wie heftig es sein würde.

Der öffentliche Blick hat sich auf Jeremy gerichtet. Nur gelegentlich wurdest Du erwähnt - und am Rande Liam.

Ja, und damit geht es mir gut. Ich habe nicht so viel zu tun - gerade mal ein Foto hier und da..

Aber Du hast auch viele Opfer gebracht, wie Jeremy. Welche Rolle spielst Du in dieser ganzen Situation, als Jeremys Partnerin, aber auch als aktive Teilnehmerin. Welche Unterstützung konntest Du Jeremy geben?

Meine Rolle war es zumeist, moralische Unterstützung zu leisten. Er hat mich nicht gebeten, irgendetwas Spezielles zu tun. Ich kümmere mich meist um Liam, wenn Jeremy Interviews macht oder sich mit Rechtsanwälten trifft.

Wir wussten, dass wir drei Möglichkeiten haben. Jeremy hätte in den Irak gehen können - das wollten wir aber nicht. Er hätte ins Gefängnis gehen oder das Land verlassen können. Ich sagte zu Jeremy, dass ich ihn bei den letzten beiden Optionen unterstützen werde. Auch wenn er ins Gefängnis gegangen wäre, hätte ich ihn zumindest mit Liam besuchen können. Ich möchte ihn lieber im Gefängnis besuchen als am Grab. Ich möchte nicht, dass Liam ohne Vater aufwachsen muss.

Jeremy entschied sich, nach Kanada zu gehen. Das wollte er schon länger. Denn wenn man von dem ganzen Kram in den USA hört, was die USA in anderen Ländern tut... viele US-Amerikaner wissen entweder nichts davon oder wollen nicht wissen, was die Regierung tut. Und wir fragten uns, ob wir wirklich ein Teil davon sein wollen.

Hat Jeremy das immer im Kopf gehabt - war er immer ein Pazifist, oder hat sich das beim Militär geändert?

Nein, Jeremy kann sich einfühlen in die Leute, die für die Selbstverteidigung in den Krieg gehen - oder z.B. in den II. Weltkrieg gezogen sind. Aber er persönlich glaubt nicht daran, dass Krieg eine Antwort ist, weil er mehr Gewalt und mehr Kriege hervorbringt.

Was denkst Du über die Militäraktion in Irak? Teilst du die Haltung Deines Mannes?

Ja. Es ist offensichtlich, dass wir wegen dem Öl da sind und um Präsenz und Einfluss in dieser Region zu haben - andersherum: Warum sind wir nicht in Nord-Korea?

In den USA hast Du auf einem Militärgelände gelebt. Eine Menge Deiner Freunde waren auch beim Militär. Welche Reaktionen gab es von ihnen?

Ja, wir lebten auf dem Militärgelände in Fort Bragg. Ich habe eine nahe Freundin, deren Ehemann auch beim Militär ist. Sie leben außerhalb des Militärgeländes. Wir haben sehr unterschiedliche Ansichten über das Militär, aber wir haben sehr viel gemeinsame Auffassungen über das Elternsein, das Kind zu stillen oder es mit einem Babytragetuch immer nah am Körper zu tragen. Das verbindet mich mit ihr. Ich bin mit ihr per E-mail in Verbindung. Sie denkt, dass militärische Missionen eine noble Sache sind. Aber sie respektiert meine Ansicht und unterstützt mich.

Warst Du in Parteien engagiert?

Nein, Ich war in Organisationen aktiv, die sich für gerechte soziale Verhältnisse einsetzten. In Boston war ich ironischerweise in der Kampagne Food Not Bombs (Essen statt Bomben) engagiert. In Lafayettville gingen wir zu den Treffen der Quäker und einiger weiterer Gruppen wie Frieden durch Gerechtigkeit und Gläubige gegen die Todesstrafe. In Rapid City in South Dakota war ich in einer feministischen Gruppe aktiv gewesen, die sich Empowerment Through Sisterhood (Mächtig werden durch Schwesternschaft) nannte. Jährlich organisierten wir einen Marsch gegen häusliche Gewalt und gaben auch Zeitungen mit feministischen Themen heraus.

Gab es viele Militärs bei den Quäkern oder den anderen Gruppen?

Nicht so viele. Aber es gab Veteranen und Leute aus der Gemeinde oder aus den Familien mit Militärangehörigen.

Was denken Eure Familien über Eure Situation? Haben sie euch unterstützt?

Meine Eltern machen sich gewöhnlich Sorgen: "Wie geht es Liam? Es ist so kalt, seid ihr ok?" Diese Geschichte ging bis nach Vietnam. Mein Nachname ist dort sehr üblich, wie hier z.B. Smith. Mein Schwiegervater rief uns an und fragte, wie es mir geht, als er davon hörte. Er wollte sich versichern, dass alles in Ordnung sei.

Diesen Sommer wollen Jeremys Großmutter, meine Eltern und meine Geschwister kommen und uns hier besuchen. Großmutter und die Mutter von Jeremy unterstützen ihn. Sein Großvater denkt aber, dass er seinen Dienst bis zum Ende hätte ableisten sollen, auch wenn er nicht mit dem Kriegseinsatz im Irak einverstanden ist.

Du und Jeremy, Ihr seid Eltern eines Babys. Bei den Veröffentlichungen und Treffen, habt Ihr da Zeit gehabt, Euch zwischendurch ein wenig zu erholen? Wie habt Ihr das gemacht? Bekommt Ihr irgendwelche Hilfe oder Unterstützung?

Wir haben Liam ein paar Mal in der Woche zu Spielgruppen gebracht und wir haben andere Leute getroffen, die Kinder im selben Alter haben. Sie leben in unserer Nachbarschaft. Seitdem wir in Kanada sind, kümmern wir uns beide um Liam. In Fort Bragg hatte Jeremy alle 14 Stunden Dienstwechsel. So tat er an den Wochenenden so viel wie er konnte. Aber nun teilen wir uns das auf. Das ist ganz großartig.

Hast Du in Fort Bragg gearbeitet?

Nein. Wir hatten entschieden, dass von uns jemand zu Hause bleiben würde, wenn wir Kinder haben. Da er beim Militär war, bin ich zu Hause geblieben. Wir entschieden uns auch, das Kind zu stillen. Das tue ich immer noch.

Ich mag es wie du gesagt hast "Wir entschieden uns zu stillen ..."

Ja, Jeremy nimmt an allem teil. Er ist nicht der "sterotype" oder militärische Mann. Er beteiligt sich am Kochen und Putzen, und er macht so viel mit Liam, gerade jetzt.

Wie ich es verstanden habe, helfen Euch die Quäker, seit ihr in Kanada seid. Wie stark beteiligen sie sich an allem?

Sie unterstützen uns sehr und sind großzügig und zuvorkommend. Das ist nicht nur ein Lippenbekenntnis. Sie halfen uns, den Rechtsanwalt Jeffrey House zu finden. Das Zentrum der Quäker bietet eigentlich Platz, um sich zurückzuziehen oder für Mitglieder, die für zwei Wochen von außerhalb in die Stadt kommen. Aber wir durften dort einen Monat lang bleiben, bis wir diese Wohnung gefunden hatten. Und als wir einen Tag vor unserer Ankunft anriefen, kamen sie uns in jeder Weise entgegen. Zusätzlich zu den normalen Treffen, luden uns die hier anwesenden Quäker zum Essen ein. Es sind unsere Freunde geworden. Sie gaben uns ihre Namen, Karten und Telefonnummern. Als wir hier in Toronto ankamen, kannten wir niemanden. Nun sind sie wie eine große Familie für uns.

Was denkst Du über die Medienaufmerksamkeit, die sich auf Eure Familie richtet? Fühlst Du Dich wohl im Rampenlicht?

Wir hatten uns erst überlegt, es niedrig zu hängen und ruhig zu bleiben. Aber unser Anwalt sagte uns, es wäre gut, eine öffentliche Erklärung abzugeben. Ich verstehe seinen Standpunkt - das ist eine gute Sache. Es ist gut, einen Standpunkt zu beziehen. Es zeigt, dass es Menschen gibt, die das Wort ergreifen und sagen: "Dieser Krieg ist falsch."

Siehst Du Dich selbst als Kriegsdienstverweigerin?

Ich nehme an, ich bin es... Ich hatte nicht darüber nachgedacht. Aber ich unterstütze Jeremy und glaube an das, was er tut.

Michelle Langlois, Toronto, Kanada: AWOL: a family affair in Canada - Taking a stand to say "this war is wrong". 25.3.04. Hipmama.com. Übersetzung aus dem Englischen: fn, Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juli 2004.

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