"Wir alle lehnen es ab, Soldaten zu sein"
Redebeitrag für die Initiative der kurdisch-türkischen KriegsgegnerInnen
(15.05.2004) Liebe Freundinnen und Freunde,
ich heiße Zeynettin Er und danke, dass ich heute im Namen der Initiative der kurdisch-türkischen KriegsgegnerInnen reden kann. Wir alle sind nicht bereit, zum Militär zu gehen. Wir alle lehnen es ab, Soldaten zu werden.
In der Türkei hat das Militär nach wie vor die politische und wirtschaftliche Macht. Die sogenannten Reformen, mit der sich die Türkei der Europäischen Union annähern will, sind reine Augenwischerei. So ist zwar nun die zentrale Machtstelle des Militärs, der Nationale Sicherheitsrat, zur Hälfte von Zivilisten besetzt: Diese haben aber keine Entscheidungsgewalt. Weiter werden die Menschenrechte in der Türkei missachtet. Alltäglich wird gefoltert. Auch Kriegsgegner sind davon betroffen. So wurden im Jahre 2003 insgesamt 70 Strafverfahren allein wegen "Beleidigung des Militärs" eröffnet.
Wir nehmen an der heutigen Demonstration auch als Menschen teil, die die Grausamkeit des Krieges erlebt haben. Wir sind Zeugen eines Krieges, der vom türkischen Militär gegen die kurdische Bevölkerung geführt wurde. Die türkische Armee ist verantwortlich für extralegale Hinrichtungen, für Folter und Zerstörung der Natur. Die vom Krieg betroffene Bevölkerung lebt heute in Elend und Armut. Der kurdischen Bevölkerung, rund 17% der Einwohner in der Türkei, werden ihre Rechte nach wie vor verwehrt.
Wir sind überzeugt, dass die Kriegsdienstverweigerung eines der wirksamsten und konkreten Mittel gegen Militarismus, Nationalismus und Krieg ist – bei uns in der Türkei, aber auch in vielen anderen Ländern. Wer aber in der Türkei diesen Schritt wagt, wird hart bestraft. In der Türkei gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung.
In den letzten Jahren haben wir wiederholt öffentliche Aktionen in Deutschland durchgeführt, um das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung einzufordern. Viele von uns haben auch Asyl beantragt, um Schutz vor der drohenden Verfolgung zu erhalten. Aber wir haben erfahren müssen, dass die deutschen Behörden unser Anliegen nicht ernst nehmen. Viele von uns sind von Abschiebung bedroht. Auf diese Weise unterstützen die deutschen Behörden die Politik der Türkei gegenüber Verweigerern, ein alltäglicher Skandal.
Zum Beispiel bei Mehmet Sait Demir: Er wurde nach seiner Abschiebung zwangsweise zum Militärdienst einberufen. Wegen seiner schriftlichen Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung wurde er zudem mehrmals inhaftiert und gefoltert. Er konnte ein zweites Mal nach Deutschland fliehen und musste erleben, dass die deutschen Behörden ihm nicht glaubten. Kurz vor einer erneuten Abschiebung stellten Connection e.V. und Pro Asyl einen Petitionsantrag an den Deutschen Bundestag, der von vielen Menschen und Organisationen unterstützt wurde. Erst damit gelang es, seine Verfolgung glaubhaft zu machen.
Mit unserer Kriegsdienstverweigerung kritisieren wir die Militarisierung der Türkei und treten für eine gerechte Änderung der Verhältnisse ein. Es reicht nicht aus, dass lediglich kosmetische Veränderungen vorgenommen werden.
Um unseren Protest deutlich zu machen, werden die heute anwesenden kurdischen und türkischen Verweigerer anlässlich des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung eine gemeinsame Erklärung an die türkischen Behörden richten.
Die Erklärung ist unterschrieben von den Mitgliedern der kurdisch-türkischen Initiative der KriegsgegnerInnen. Wir alle fordern:
- Die bedingungslose Anerkennung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei
- Ein Ende der Abschiebungen von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren – Kriegsdienstverweigerer brauchen Asyl
- Stopp mit der Lieferung von Militärtechnologie für die Türkei
- Schluss mit der Kriegs- und Militärverherrlichung und der nationalistischen Propaganda
Zeynettin Er: Redebeitrag zum "Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung", 15. Mai 2004 in Münster/W. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juli 2004.
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