Eritrea: „Ich will nie mehr eine Waffe in die Hand nehmen“
Ich wurde am 24.3.1981 in Adikefelet geboren. Von der 1.-5. Klasse ging ich in die Adigebrai-Schule, die 6. und 7. Klasse in die Himbirti-Schule und die 8. und 9. Klasse in die Mainefhi-Schule. Meine Eltern sind Bauern. Wir lebten zuerst nur von der Landwirtschaft. Später hat meine Familie auch ein kleines Geschäft aufgemacht.
Im April 2000 bin ich in der 13. Runde zum Nationaldienst einberufen worden. Ich wurde nach Gatilay gebracht, wo ich nur einen Monat Grundausbildung erhielt. Danach kam ich in eine Einheit der 32. Division. Ich war Soldat in der 1. Brigade, 2. Bataillon, 1. Einheit, 2. Gruppe. In der Zeit der 3. Invasion waren wir in Igla im Bereich Senafe an der Salambesafront eingesetzt worden. Es kam zu einem heftigen Krieg. Auf einmal gab es so viele Tote.
Nach dem Waffenstillstand sind manche Schüler zurück in die Schule gegangen. Obwohl ich noch Schüler gewesen war, wurde mir das verweigert, da ich volljährig sei. Ich hatte auch um eine Entlassung von der Armee gebeten, da meine Eltern sehr alt sind und niemanden hatten, der sie betreuen konnten. Auch das wurde mir verweigert. Ich habe noch nicht einmal Urlaub erhalten, um meine Familie zu besuchen.
Im Jahre 2002 wurden manche von uns ausgewählt, um Koblenti, Militärpolizisten, zu werden. Wir sollten die unerlaubt Abwesenden und Verweigerer zu Hause suchen und an die Behörden übergeben. Das war auch für uns gefährlich. Diejenigen, die wir festnahmen und zurück brachten, wurden hart bestraft. Wenn sie rauskamen, haben sie manche von uns erschossen.
Die Arbeit hat mir und meinen Kameraden überhaupt nicht gefallen. Wir haben angefangen, uns zu verweigern. Es wurde aber gesagt: „Das ist ein Befehl. Du machst das.“ Nachdem wir mehrmals den Auftrag ausgeführt hatten, in jedes Haus eines Viertels zu gehen, an die Türen zu klopfen und die Jugendlichen rauszuholen, haben wir protestiert, weil wir es nicht mehr machen wollten. Es wurde eine Versammlung einberufen. Wer dort seine Meinung äußerte, verschwand. Wahrscheinlich wurden sie gefangen genommen. Niemand weiß, wo sie geblieben sind. Wir nahmen an, dass auch die verschwinden würden, die nach ihrem Verbleib fragen. So waren wir eingeschüchtert und haben nicht nachgefragt.
In einigen Fällen haben wir Adressen von denen erhalten, die aus bestimmten Einheiten fortgelaufen waren. 13 Mal haben wir auch einen Bezirk umzingelt und jedes Haus kontrolliert. Erst wurde das Gebiet umstellt. Dann gingen wir in jedes Haus und holten alle auf die Straße, alle. Dann wurden alle kontrolliert. Wenn jemand Schüler ist, hat er einen Schülerausweis, dann lässt man ihn laufen. Wenn er Arbeiter und erwachsen ist, sieht man seinen Ausweis. Wenn er gar nichts hat, wird er zu einer Einheit gebracht. Manche waren bei ihren Kindern, wir mussten sie aus der Familie holen und sie ihren Kindern entreißen. Das tut weh. Manche sind krank gewesen. Auch dann haben wir sie geholt und zu ihrer Division gebracht. Dort wurden sie ins Gefängnis gesteckt. Einige, die krank waren, sind anschließend gestorben.
Nachdem es mehrmals so abgelaufen war und ich auch persönlich Angst bekommen habe, erklärte ich: „Ich will diese Arbeit nicht mehr machen.“ Als Grund gab ich an, dass ich Angst um mein Leben hätte - von denen erschossen werden könnte, die ich ins Gefängnis gebracht habe. Meine Vorgesetzten antworteten mir: „Du machst das.“ Ich sagte: „Ich mache das nicht.“ Sie sagten wieder: „Du machst das.“ Ich antwortete: „Ich mache das nicht.“
Nachdem ich es endgültig abgelehnt hatte, bin ich am 15.12.2002 verhaftet und ins Adiabeto-Gefängnis gebracht worden. Dort blieb ich etwa zwei Monate bis Ende Februar 2003. Vier von uns - einschließlich mir selbst - wurden mehrmals gefragt, ob wir die Arbeit noch einmal machen wollen: „Habt Ihr Euch das wirklich überlegt? Wollt Ihr es noch mal machen?“ Wir verweigerten erneut.
Nach zwei Monaten haben sie uns mit einem Gefängnistransporter nach Teseney gebracht. Dort haben sie uns 15 Tage lang in einem Container eingeschlossen. Am Tag ist es darin zu heiß, nachts zu kalt. Unsere Haut begann, Ausschläge zu bekommen.
Danach haben sie uns mehrere Wochen lang zwischen Teseney und Haicota für Straßenarbeiten eingesetzt.
Ab Oktober 2002 hatte es Streit zwischen Eritrea und dem Sudan gegeben. Soldaten waren an der Grenze stationiert worden, falls es zum Krieg kommen würde. Nun drückten sie uns einfach Waffen in die Hand und brachten uns an die Front in den Sudan, da, wo die Eskalation begonnen hatte. Das war eine Art Strafe.
Als wir die Waffen bekommen sollten, sagte ich: „Ich habe die Nase voll vom Krieg. Ich will keinen Krieg mehr. Ich habe bei der 3. Invasion gesehen, dass es nur Tote und Verletzte bringt, nur Schaden. Ich will nie mehr eine Waffe in die Hand nehmen, selbst wenn Ihr mich erschießt.“
Sie antworteten mir: „Du spielst mit Deinem Leben. Du wirst erschossen, wenn Du es verweigerst.“ Ich gab zurück: „Das ist mir egal. Wenn ich erschossen werde, ist es mir lieber. Dann habe ich wenigstens meine Ruhe. Ich will kein Leben wie hier führen, ich will nicht wieder das erleben, was ich dort erlebt habe.“ Es war mir egal, ob sie mich erschießen oder nicht. Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt.
Alle anderen hatten Waffen angenommen. Ich habe es verweigert und keine Waffe erhalten. Ich blieb in der Einheit an der Front. Die Vorgesetzten sagten mir: „Du bekommst schon eine Strafe. Du wirst schon sehen.“ Ich blieb in der Einheit und wurde seitdem ständig beobachtet, was ich mache, mit wem ich rede. Das ging auch den anderen so. Sie durften nicht zur Wache eingesetzt werden, denn sie könnten doch in der Nacht abhauen.
Es gab eine Person, die keine Strafe erhalten hatte. Er wurde zu einem Freund von mir. Ich konnte mit ihm Stück für Stück über meine Situation reden. Er hat mir versichert, dass er mir helfen werde. Wenn er Wache hätte, würde er mich mitnehmen.
Das tat er auch. Er hatte seine Waffe in der Hand, ich war unbewaffnet. Als wir an die Grenze zum Sudan kamen, mussten wir das Gewehr wegwerfen, um als Zivilisten die Grüne Grenze zu überschreiten. Wir sind am 12. Februar 2003 nach Kessela gegangen. Am nächsten Tag haben wir einen Eritreer mit einem Lieferwagen gefunden, mit dem wir nach Khartoum kommen konnten. Ich konnte dort die Adresse meines Onkels ausfindig machen und bin zu ihm gegangen.
Auch in Khartoum hatte ich noch Angst. Es wird gesagt, dass Leute verschleppt werden - von Sicherheitskräften aus Eritrea, die sich im Sudan und in Khartoum aufhalten. Durch die Hilfe meines Onkels - der gleiche, der meinem Bruder half - konnte ich weiterfliehen. Er hatte Angst um mich und wollte nicht, dass ich einfach nur da hocke. Er sagte: „Ich werde Dir helfen, nach Europa zu kommen.“ Ich wusste nicht, wohin. Durch seine Hilfe und Schlepper bin ich nach Deutschland gekommen.
Ich erreichte Deutschland am 6. April 2003. Am 8. April beantragte ich Asyl und kam nach Gießen. Am Anfang hatte ich keinerlei Informationen über hier lebende Eritreer. Später konnte ich mich informieren und schaute mich nach oppositionellen Gruppen um. Schließlich habe ich eine Gruppe/Partei gefunden, die meinen Vorstellungen entspricht: ohne irgendeine Waffe, ohne Blutvergießen, ohne Krieg, mit friedlichen Mitteln die Macht an das Volk zu übergeben. Das ist meine Überzeugung. Jetzt bin ich bei der ELF-RC aktiv.
Die in Eritrea lebende Bevölkerung wird nicht als Menschen geachtet. Diese Regierung ist nicht fähig, friedliche Wege zu beschreiten. Die Menschen werden zwangsweise im Krieg eingesetzt, gefangen genommen, gefoltert, sie sterben, werden verstümmelt, sie verhungern. Ich will, dass die EritreerInnen in Demokratie und Frieden leben können, ohne Angst haben zu müssen. Dafür setze ich mich ein. Ich fordere auch, dass die Machthaber die Macht dem Volk übergeben. Das will ich mit friedlichen Mitteln erreichen. Ich hoffe für mein Volk, dass das irgendwann einmal möglich wird.
Zwei Geschwister von mir sind auch inhaftiert worden. Es heißt, dass sie uns bei der Flucht geholfen hätten. Niemand weiß, wo sie sich befinden. Das haben mir meine Eltern mitgeteilt. Ich habe Angst um meine Geschwister.
Ich lebe jetzt in Fulda. Mein Asylantrag wurde abgelehnt, da mir meine Gründe nicht geglaubt wurden. Bislang kann ich weder zur Schule gehen und auch nur zwei Stunden am Tag arbeiten. Da die Arbeitsstelle aber in Frankfurt ist, muss ich die Hälfte des Verdienstes für die Fahrtkosten aufwenden.
Interview mit Musse Habtemichael vom 04.06.2004. Übersetzung Yonas Bahta. Abschrift: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Eritreische Antimilitaristische Initiative in Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsseelsorge der EKHN (Hrsg.): Broschüre »Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion«, Offenbach/M., November 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch: Dekadefonds zur Überwindung der Gewalt der EKHN, Förderverein Pro Asyl und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).
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