Israel/Palästina: Rafah im Fadenkreuz

von Uri Avnery

(22.05.2004) Am 7. Mai, wenige Tage nach dem Referendum des Likud, hatte Gush Shalom eine Anzeige unter der Überschrift "Warnung!" in der Tageszeitung Ha’aretz veröffentlicht:

"Sharon ähnelt jetzt einem verwundeten Bullen, ein gefährliches Tier. Sein Plan ist tödlich. Er ist nicht imstande, eine einzige Siedlung niederreißen zu lassen. Es ist ihm nicht möglich, die Akzeptanz für einen anderen Plan zu erhalten. Sein einziger Ausweg ist der Befehl zu einem spektakulären Militäreinsatz. Es wird keine Grenze der blutigen Taten geben, zu denen er nun imstande ist, um selbst zu überleben."

Nicht einmal zwei Wochen später begann die militärische Offensive. Mit immenser Gewalt hat die israelische Armee eine kleine palästinensische Gemeinde am Rande des notleidenden Gazastreifens angegriffen. Palästinenser, Kämpfer wie Zivilpersonen, wurden zu Dutzenden getötet, eine Menge Häuser wurden zerstört.

Neben Rachegelüsten der Generale soll die Aktion den persönlichen Interessen von Sharon dienen. Die dramatischen Ereignisse in Rafah füllen die Seiten aller Zeitungen und lassen keinen Platz für Sharons politisches Scheitern. Dies stellt sein Bild wieder her: das eines resoluten Führers. Er spielt wieder eine Rolle in der Welt. Und wenn ihn die ganze Welt verurteilt, dient dies nur dem Zweck, seine Größe bei den WählerInnen wachsen zu lassen.

Und die Opposition? Vor einer Woche demonstrierten 150.000 Friedensbewegte auf dem Rabin Platz in Tel Aviv um ihren Abscheu mit der gegenwärtigen Situation auszudrücken und Änderungen einzufordern. Einige Politiker ernannten sich selbst zu Führern dieser wunderbaren Menschen und überschütteten sie mit entstellten und widersprüchlichen Aussagen. Diese Woche hat nicht einer dieser Sprecher aufgeschrieen gegen die Gräueltaten in Rafah. Die radikale Friedensbewegung wurde wieder alleine auf weiter Flur gelassen. Wenige Stunden nach dem Tod von unbewaffneten Demonstranten in Rafah, standen die FriedensaktivistInnen in den Straßen von Tel Aviv der Polizei gegenüber. Gestern führten sie eine leidenschaftliche Demonstration an der Straßensperre bei Rafah durch.

Die Invasion von Rafah wird selbstverständlich scheitern, wie schon die Invasion von Dschenin. Eine reguläre Armee, so stark sie auch ist, kann keine Guerillakämpfer niederringen, die von einer verzweifelten Bevölkerung unterstützt werden. Ganz im Gegenteil: Umso stärker die Armee ist, umso geringer sind ihre Chancen. Sie kann Dutzende und Hunderte töten, ganze Viertel zerstören, große Mengen von Menschen aus ihren Häusern vertreiben - all das wird nichts helfen. Ein Guerillakrieg kann nur durch einen Kompromiss und eine friedliche Lösung beigelegt werden.

Uri Avnery: The Rape of Rafah. 22. Mai 2004. Auszüge. Übersetzung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Israel/Palästina: Widerstand gegen Terror, Krieg und Besatzung«, Offenbach/Main, Mai 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

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