Vorwort zur Broschüre "Israel/Palästina: Widerstand gegen Terror, Krieg und Besatzung"
(01.05.2004) Vor zwei Jahren titelten wir: "Nahostkonflikt ohne Ende?" Und tatsächlich gleichen sich die Bilder von damals und heute. Der Konflikt drückt sich ebenso in der Besatzungspolitik und den militärischen Aktionen Israels aus, wie in Selbstmordanschlägen der palästinensischen Seite. Auf der Regierungsebene, also der palästinensischen Autonomiebehörde und der israelischen Regierung, sind nach wie vor kaum Anzeichen für eine Lösung durch Verhandlungen zu finden. Wir wollen mit dieser Broschüre einen anderen Blick vermitteln: Auf die Kräfte, die auf beiden Seiten für eine friedliche und gerechte Lösung eintreten. Viele Aktivitäten der Friedenskräfte in Israel und eines neu entstandenen gewaltfreien Widerstandes auf palästinensicher Seite werden von den Medien ignoriert. Dabei zeigt sich hier ganz praktisch, dass es eine Zusammenarbeit geben kann, dass gemeinsame Aktivitäten von PalästinenserInnen und Israelis möglich sind.
Einen anderen Blick auf die alltäglichen Ereignisse der letzten Monate schildert in dieser Broschüre Adam Keller, langjähriger Aktivist von Gush Shalom und Herausgeber von The Other Israel. Er berichtet über die Auseinandersetzungen um den Mauerbau, wie auch über die Ereignisse um den einseitigen Plan des israelischen Premierministers Sharon, die israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen zurückzuziehen.
Rudi Friedrich von Connection e.V. reiste im Januar 2004 nach Israel, um einige Friedenskräfte zu besuchen. Er folgte damit einer Einladung der Organisation New Profile, die sich selbst als feministisch versteht und einen ihrer Schwerpunkte auf die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern setzt. New Profile engagiert sich insbesondere bei der Arbeit mit Jugendlichen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie zum Militär gehen sollen. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Gruppen und Organisationen, wie die Reservisten, die als Courage to Refuse aktiv sind, die Gruppe der GymnasiastInnen, die sich Shministim nennt, wie auch eine Gruppe von Kriegsdienstverweigerinnen. Kurz vor dem Besuch waren zudem fünf Kriegsdienstverweigerer von einem Militärgericht zu einem Jahr Haft verurteilt worden. "Die Armee entschied", so Adam Keller in einem Interview, "dass die jungen Verweigerer ein zu großes Risiko darstellen und sie nicht mit einer geringen Strafe davonkommen dürften. Eigentlich ist das ein Kompliment." Für sie und all die anderen haben wir inzwischen gemeinsam mit Gruppen in Israel ein Projekt zur Unterstützung israelischer Kriegsdienstverweigerer/-verweigerinnen gestartet. Wir bitten, den Aufruf und den Spendenaufruf zu beachten.
Seit etwa zwei Jahren gibt es in Palästina internationale Aktivitäten, um dort den gewaltfreien Widerstand zu unterstützen, der von palästinensischen Gruppen organisiert wird. Dieser konzentriert sich auf Aktionen gegen die Mauer/ Sperranlage, die von Israel gebaut wird und ganze Regionen in der Westbank durchschneidet. Rudi Friedrich traf einige der dort aktiven Gruppen, von denen in dieser Broschüre berichtet wird.
Die Hardliner beider Seiten setzen weiter auf die militärische Karte, auf die Auseinandersetzung mittels Gewalt. Adam Keller kommt in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass "die israelische Bevölkerung zunehmend den Glauben daran verliert, dass es eine militärische Lösung für den Konflikt mit den PalästinenserInnen geben kann", wie es Premierminister Sharon versprochen hatte. Ghassan Andoni sieht für die palästinensische Seite die Notwendigkeit, möglichst viele Menschen in gewaltfreie Aktionen einzubinden. Denn erst dann werde "es eine Diskussion über die Strategie der Intifada und ein deutliches Gegengewicht gegen die Politik der Selbstmordattentate geben".
Mit dieser Broschüre wollen wir diese Ansätze stärken und öffentlich machen, um so einen Prozess zu unterstützen, der die Logik der Gewalt aufbrechen kann. Für uns gilt, wie es Rafik Shami formuliert hat, "kritisch versöhnend, nicht blind für eine Seite Partei nehmend, etwas zu bewirken. Wer fanatisch für eine der Seiten ist, ist auch schon gegen sie. Es gibt kein Überleben der Palästinenser ohne die Israelis und umgekehrt."1
Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich beim Bildungswerk der DFG-VK Hessen bedanken, das die Reise von Rudi Friedrich nach Israel finanziell unterstützte und damit einen tieferen Einblick in die Aktivitäten der Friedenskräfte in Israel und Palästina ermöglicht hat.
Fußnote
1 aus dem von uns herausgegebenen Buch "Gefangen zwischen Terror und Krieg? - Israel / Palästina: Stimmen für Frieden und Verständigung"
Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Israel/Palästina: Widerstand gegen Terror, Krieg und Besatzung«, Offenbach/Main, Mai 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).
Stichworte: ⇒ Antimilitarismus ⇒ Israel ⇒ Krieg ⇒ Kriegsdienstverweigerung ⇒ Menschenrechte ⇒ Palästina ⇒ Pazifismus