Israel/Palästina: Zwischen den Welten

Zu Besuch beim Rapprochement Center in Beit Sahour

von Rudi Friedrich

Es sieht nach einem warmen Tag im Januar 2004 in Jerusalem aus. Wir sind früh unterwegs zu einem Treffen mit Ghassan Andoni vom Palestinian Center for Rapprochement between People - Beit Sahour (Palästinensisches Zentrum für die Annäherung der Völker). Er bat uns, nach Bir Zeit zu kommen, einer palästinensischen Universität in der Nähe von Ramallah, da er dort als Professor für Physik tätig ist.

Ramallah ist nicht weit entfernt von Jerusalem, etwa 20 Kilometer. Die Stadt liegt in den besetzten Gebieten und ist daher nur über Checkpoints des israelischen Militärs oder über größere Umwege auf Landstraßen und Feldwegen erreichbar. Wir entschließen uns dazu, einen arabischen Taxifahrer anzuheuern. In der Nähe des Damaskustores beim Eingang der Jerusalemer Altstadt werden wir fündig, feilschen um den Preis und sitzen schließlich in einem Taxi auf dem Weg zum Kalandia-Checkpoint. Der Taxifahrer fragt alle paar hundert Meter, wie groß die Warteschlange am Checkpoint ist. Aber wir haben Glück. Wir kommen ohne Probleme durch - und sehen auf der anderen Seite eine ein Kilometer lange Schlange von Autos, Lastwagen, Wartenden, die aus den besetzten Gebieten nach Jerusalem wollen.

Auch an der Bir Zeit Universität erwartet uns ein Checkpoint, diesmal von palästinensischen Sicherheitskräften. Erst nach mehreren Telefonaten können wir passieren. Wir sitzen schließlich mit Ghassan Andoni in der Mensa.

Das Rapprochement Center ist uns bekannt als eine der wenigen Organisationen, die sich für gewaltfreie Aktionsformen gegen die Besatzung einsetzen. Wir kommen aus dem Ausland, zwar empfohlen - dennoch mutet allein die Situation seltsam an - es bleibt der fade Geschmack von Polittourismus. Was können wir der Organisation eigentlich anbieten?

Die Erfahrungen palästinensischer Gruppen spiegeln sich so auch in Andonis erstem Kommentar wieder: „Wir können niemanden gebrauchen, der Vorschläge von außen einbringt, wie wir den Widerstand organisieren sollen. Das ist kolonialistisch. Die palästinensische Bevölkerung kann nur die akzeptieren, die sich im Widerstand selbst engagieren und in der Gesellschaft bestehende Ansätze unterstützen.“

Medienprojekt

Ein wesentliches Projekt des Rapprochement Center, so berichtet Andoni, ist die professionelle Ausbildung palästinensischer Journalisten. Schon seit einigen Monaten erhalten etwa ein Dutzend PalästinenserInnen eine Grundausbildung in Journalismus, lernen die verschiedenen Arten der Berichterstattung, erfahren, wie Sprache und Form von westlichen Medien und Gesellschaften interpretiert werden. Ziel sei es, mit dem International Middle East Media Center bis zum Herbst 2004 ein professionelles tägliches Angebot machen zu können, um der bisherigen Berichterstattung der israelischen Regierung, des israelischen Militärs und der Palästinensischen Autonomiebehörde sachliche und zuverlässige Informationen entgegensetzen zu können.

„Erinnern Sie sich an Tom Hurndall? Das israelische Militär erklärte nach den Schüssen auf ihn, dass er Tarnuniform und ein Gewehr getragen habe. Das wurde auch so von den internationalen Medien berichtet. Wir konnten diese Version widerlegen und nachweisen, dass daran kein wahres Wort war. Tom Hurndall wurde am 11. April 2003 von einem israelischen Soldaten beschossen, als er versuchte, zwei Kinder bei einem Feuergefecht zwischen Palästinensern und der israelischen Armee aus der Schusslinie zu ziehen. Er hatte eine orange-weiße Weste an, als er das tat. Durch unsere Stellungnahmen korrigierte die internationale Presse ihre Berichterstattung wenige Tage später. Er starb vor einigen Tagen aufgrund seiner Kopfverletzung.“

Aber, so Ghassan Andoni, ein einziger Fehler, eine unwahre Berichterstattung, werde dazu führen, dass solche alternativen Nachrichten nicht mehr aufgegriffen werden. „Sehen Sie, alle PalästinenserInnen sind auf die eine oder andere Art und Weise in den Konflikt involviert. Niemand ist völlig unabhängig davon. Deshalb ist es besonders dringend, JournalistInnen darin zu schulen, möglichst objektiv zu berichten. Das ist der Grund, warum wir diese Schulung so ausführlich machen.“

Für einen breiten gewaltfreien Widerstand

Immer wieder zerstört das israelische Militär Häuser in den besetzten Gebieten, auch in Städten, die nach den Vereinbarungen von Oslo ausschließlich unter der Verwaltung der palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Das International Solidarity Movement (ISM), das vom Rapprochement Center unterstützt wird, versucht durch eine internationale Präsenz diese Zerstörungen zu verhindern, was nur selten gelingt. Die z.B. in Nablus, Bethlehem oder Budrus aktiven Gruppen sorgen vor allem dafür, dass die BewohnerInnen rechtzeitig die Häuser verlassen können, begleiten medizinische Teams, organisieren Demonstrationen, Kinderfeste und ähnliches. Auch Tom Hurndall war im Rahmen des ISM aktiv.

Das, so Ghassan Andoni, sei eine der wenigen Möglichkeiten, wie Unterstützung von außen auch akzeptiert werden könne. Nach so vielen Jahren des Konflikts sei bei der Bevölkerung das Misstrauen groß. Es brauche das Gefühl: Hier setzt sich wirklich jemand mit seiner Person für uns ein.

Nur dann könne eine Bewegung entstehen, die einen anderen Fokus der Intifada bewirkt. „Erst wenn es gelingt, möglichst viele in diese Aktionen einzubinden, wird es eine Diskussion über die Strategie der Intifada und ein deutliches Gegengewicht gegen die Politik der Selbstmordattentate geben“, so Andoni. Schließlich beständen diese gewaltbereiten Gruppen nur aus einigen Tausend Personen. „Mit einer breiten Bewegung können wir dem etwas entgegensetzen und auch politische Veränderungen bewirken.“

Damit, so fährt er fort, wäre auch der israelischen Regierung ein Mittel genommen, ihre eigene Politik fortzusetzen. Selbstmordattentate würden von ihr als wichtiges Argument benutzt, um z.B. den Bau der Mauer bzw. Sperranlage voranzutreiben. Auf der anderen Seite nützten die Angriffe der israelischen Armee den palästinensischen Gruppen als Begründung, um ihre Politik der Selbstmordattentate zu legitimieren.

Immer wieder stoßen gewaltfreie Aktionen an ihre Grenzen. Das Militär lässt sich kaum daran hindern, Häuser zu zerstören, immer wieder in autonome Gebiete einzumarschieren. Auch Gruppen wie Hamas werden nicht durch die Aktionen selbst in Frage gestellt. Der entscheidende Punkt ist jedoch, so Ghassan Andoni, dass sich nur darüber eine Breite der Bewegung erreichen lässt, die gerade durch die Beteiligung großer Teile der palästinensischen Bevölkerung letztlich mehr Dynamik entwickeln kann. „Das sieht auch das israelische Militär. Es geht massiv gegen einige Führer des gewaltfreien Widerstandes vor.“

„Können denn die Kriegsdienstverweigerer in Israel eine Änderung der israelischen Politik herbeiführen?“, fragten wir. „Ich erkenne deren Schritt an“, antwortet uns Ghassan Andoni. „Aber Sie müssen sehen, dass diese Bewegung sehr klein und marginalisiert ist. Sie hat praktisch keinen Einfluss auf den Mainstream in der israelischen Gesellschaft, da sie als linke Spinner abgetan werden.“

Perspektiven

Der Bau der Sperranlage schreitet schier unaufhaltsam voran. Eine 8 Meter hohe Mauer durchschneidet palästinensische Viertel im Osten Jerusalems. Ein Zaun mit Panzerabwehrgräben, Kameras und einer Straße für die Militärpatrouillen durchschneidet die Westbank, mäandert zwischen israelischen Siedlungen und palästinensischen Dörfern. Im November 2003 veröffentlichte das UN-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten (OCHA) einen Bericht, wonach die von Israel im Namen der Sicherheit geplante Sperranlage 14,5% der Fläche der Westbank einschließe. Dadurch würden die Häuser von 274.000 PalästinenserInnen vom Rest des palästinensischen Gebiets abgeschnitten. Weitere 400.000 Menschen im Osten der Anlage müssten diese passieren, um zu ihrem Land, ihrem Arbeitsplatz oder wichtigen Einrichtungen wie Schulen oder Krankenhäusern zu gelangen.

Ghassan Andoni geht davon aus, dass die israelische Regierung die Sperranlage durchsetzen wird. Das bedeute in der Konsequenz eine völlige Isolation der palästinensischen Gebiete, da es keine Möglichkeit mehr geben werde, ohne Kontrolle die Sperranlage zu passieren. Der einzige verbleibende Weg ginge über einige wenige Checkpoints. „Und jetzt stellen Sie sich vor, der Internationale Gerichtshof in Den Haag kommt nicht zu einer eindeutigen Aussage gegen den Zaun. Damit wäre die Sperranlage auch noch international legitimiert. Das wäre wirklich ein Desaster!“

Wir fuhren zurück, der Taxifahrer fragte erneut nach dem Weg und fand heraus, dass es günstiger wäre, einen großen Umweg zu fahren, um die Warteschlange am Kalandia-Checkpoint zu umgehen. Wir kamen nach 30 Kilometern, die uns über Landstraßen um Jerusalem herum führten, an einen kleinen Checkpoint im Osten Jerusalems. Dort konnten wir ohne Probleme wieder einreisen.

Wie wird es sein, wenn die Sperranlage steht? Setzt das der internationalen Präsenz in den besetzten Gebieten ein jähes Ende? Unter diesem Aspekt bekommt das Medienprojekt eine ganz neue Dimension. Es gilt die Isolation auch in Zukunft zu durchbrechen.

Kontakte

Palestinian Center for Rapprochement between People - Beit Sahour: www.rapprochement.org

International Middle East Media Center, www.imemc.org

 

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Israel/Palästina: Widerstand gegen Terror, Krieg und Besatzung«, Offenbach/Main, Mai 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

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