Georgien: Junge Osseten als Deserteure angesehen

von Human Rights Georgien

Gesetzeshüter haben einige Fragen an Männer ossetischer Herkunft und werfen ihnen vor, angesichts der Krise zu desertieren. Bewohner ossetischer Orte sahen sich diesem Problem bereits im letzten Krieg gegenüber. Junge Osseten aus dem Ort Rene im Bezirk Kaspi verließen Georgien, weil sie ansonsten Haft zu befürchten hatten. Sie verweigerten im August 2008 die Teilnahme am Krieg zwischen ihren Brüdern.

Die Bewohner von Rene vergleichen die gegenwärtige Situation mit der von 1990. „Als der verstorbene Präsident Gamsachurdia im Amt war, war die Haltung gegenübern Bürgern ossetischer Herkunft ziemlich negativ. Wir befürchten jetzt erneut, dass wir ähnliche Probleme haben werden. Wir haben Verwandte im Norden Ossetiens und wissen nicht, ob wir gehen sollen oder nicht. Warum sollen wir dorthin gehen? Georgien ist unser Heimatland. Trotzdem wird es schrecklich werden, wenn wir hier bleiben.”

Die Bevölkerung der Orte Chobalauri, Kodistskaro, Nigoza und Rene in der Gemeinde Kodistskaro klagen über die Situation nach dem georgisch-russischen Krieg im August. In dieser Gemeinde gibt es gemischte georgisch-ossetische Familien. Zumeist blieben die älteren Bewohner in den Orten. Seit August verließen junge Leute aus den Orten ihre Heimat und gingen aus Sicherheitsgründen nach Nordossetien. Sie sprechen nicht laut über die wahren Gründe für die Abreise. Im Moment sprechen sie einfach über Armut. Im Privatgespräch nennen sie aber konkrete Fakten.

Lali Iluridze, 54: „Gia, Neffe meines Ehemannes, lebt hier im Ort. Sein Bruder lebt in Wladikawka. Wenn Gia hier zur georgischen Armee gegangen wäre und sein Bruder in Wladikawka, sollen sie dann gegeneinander kämpfen? Junge Einwohner der Orte gehen tatsächlich nach Wladikawka, aber sie gehen, weil es eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. Niemand beschimpft uns, aber wir sind sehr arm. Mein Ehemann hatte eine Herzoperation, wir können aber keine Medizin kaufen. Was sollen wir tun?”

Nazi Maldzigashvili, 65: „Während des Krieges hatten wir Angst. Wir sahen Leute, die weggingen, aber wir wussten nicht wohin.”

Venera Pavliashvili, 60: „Nennt sich das Leben? Wir leben in Armut. Wir haben weder Wasser zum Trinken noch zur Bewässerung. Wir gingen auch nicht woanders hin, hatten aber während des Krieges Angst. Wenn ein Scharfschütze von der Höhe auf uns geschossen hätte, wie könnte er unterscheiden, auf wen er schießt?”

Zaur Gochoshvili, 42: „Nennt sich das Leben? Wir haben seit vielen Jahren kein Wasser. Sie gaben vor, uns im Sommer mit Wasser zu versorgen, aber wir mussten den ganzen Tag dafür anstehen. Sie reparierten einige alte und strichen einige rostige Wasserleitungen an. Aber die Qualität des Wassers ist so schlecht, dass es uns regelrecht vergiftet. Sie schickten uns Ärzte aus den USA, die uns untersuchten und dann einfach wieder fortgingen. Niemand kümmert sich um uns. Alle Reservisten gingen zum Einsatz im Krieg. Sie kamen mitten in der Nacht und nahmen junge Männer mit. Dato Bukuri wurde in der Nacht rekrutiert, sein Vater hatte solch eine Angst um ihn, dass er einen Herzanfall hatte und starb. Die Männer hatten keine Möglichkeit, da raus zu kommen und mussten kämpfen. Ansonsten wären sie inhaftiert worden. Koba Subeliani, Minister für Flüchtlinge und Wohnungen, kam her und fragte, wie Georgier und Osseten hier leben. Er schlug uns vor, nicht wegzugehen. Ich traue diesen Menschen nicht. Sie kommen und gehen, machen ihre Versprechen und behaupten, auf unserer Seite zu stehen. Sie kommen sogar in Gummistiefeln, um zu zeigen, dass sie dabei sind. Tatsächlich macht aber niemand etwas.”

Nana Abuladze, 65: „Meine Familie ist georgisch, aber wir leben hier mit den ossetischen Familien wie in einer großen Familie zusammen. Die Russen drangen in unseren Ort ein, aber wie kann ich sie für irgendwas anklagen. Sie kauften in den Läden was zu essen und fassten uns nicht an.”

T. Meladze: „10-15 Familien haben den Ort verlassen. Es sind Khokhasvilis und Kokoshvilis. Abdri Khokhashvili wurde als Reservist einberufen und ging. Aber er desertierte schon bald aus der Armee und sagte, dass er auf niemand anderen schießen könne. Nicht nur er tat das, auch andere verhielten sich ähnlich. So weit ich weiß, gaben sie ihre Waffen ab. Als sie ein zweites Mal einberufen wurden, verließen die jungen Männer mit ihren Familien die Ortschaften. Um über die Grenze nach Tsinagara zu kommen, zahlten sie 150 georgische Lari pro Person. Dort trafen sie ossetische Vettern, die sie nach Nordossetien brachten. Diese Männer hatten keine andere Möglichkeit. Als sie in den Krieg einberufen wurden, konnten sie nicht auf ihre Verwandten schießen. Aber sie gingen nicht ins Gefängnis, sondern stattdessen nach Wladikawka.”

Marina Vazagashvili, Bürgermeisterin der Gemeinde Kodistskaro, hat die Tatsache nicht bestätigt, dass ossetische Familie ihre Orte verlassen haben. Sie sagte, die Leute gingen zwar, aber das habe schon viel früher begonnen. „Die Bewohner hier haben Verwandte in Nordossetien und gingen schon immer mal dorthin, kamen aber bald wieder”, sagte Vazagashvili.

Human Rights Georgia: Young Ossetiens Considered Deserters. 11. Dezember 2008. http://humanrights.ge/index.php?a=article&id=3412⟨=en. Übersetzung: Rudi Friedrich und Thomas Stiefel. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Machtproben im Kaukasus«, Februar 2009.

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