Das israelische Atomprogramm und der "Fall Vanunu"
Aus Sicht der palästinensisch-arabischen Bevölkerung stellt der Staat Israel, seine Entstehung und Erweiterung, ein Gewaltakt dar. Dies sah und sieht auch die israelische Regierung und entwickelte daher den mit Abstand mächtigsten Militärapparat der Region, der seitdem fast ununterbrochen im Einsatz ist. Als Rückversicherung gegen die Drohung, "die Juden ins Meer zu treiben", entschloss sich die israelische Regierung unter Ben-Gurion ab Mitte der 50er Jahre zur streng geheimen "Operation Samson", zum Aufbau des israelischen Atomprogramms in dem in der Negev-Wüste gelegenen Dimona, 30 km südöstlich von Beer Sheva.
Bereits ab 1948 hatte Ben-Gurion in der Negev-Wüste nach Uranvorkommen suchen lassen. Konkreter wurde die Sache 1952 mit der Gründung des "Atomenergiekomitees", dessen Chef der spätere Friedensnobelpreisträger Schimon Peres wurde. Die Beschaffung der Zutaten übernahm die neugeschaffene Abteilung des Geheimdienstes unter Rafi Eitam, der sich u.a. 1960 mit der Entführung Eichmanns aus Argentinien hervortat.
Nachdem die USA anfangs nur zögerlich auf israelische Beschaffungswünsche reagierten, und 1955 lediglich einen kleinen Forschungsreaktor lieferten, sprang Frankreich in die Bresche, baute ab 1958 den benötigten (ausbaufähigen) Reaktor und die geheime Wiederaufarbeitungsanlage. 200 Tonnen Uranoxid kamen 1968 von der belgischen Minengesellschaft, wobei als Mittelsmann Herbert Schulz von der Wiesbadener Firma Asmara Chemie GmbH fungierte. Die Lieferung von Antwerpen "nach Genua" erfolgte mit dem einer Hamburger Reederei gehörenden Frachter Scheersberg A, wobei die Ladung auf See bei Zypern auf ein israelisches Schiff umgeladen und die Besatzung ausgetauscht wurde. Offensichtlich hat dabei der Bundesnachrichtendienst (BND) mitgewirkt (Plumbat-Affäre). Bis zu 30 Tonnen Schweres Wasser lieferte 1959 und 1970 Norwegen. Zudem kam Uran aus Argentinien und Südafrika, wobei Israel jahrlang mit dem Apartheidstaat auch bei der Entwicklung von atomaren Trägerraketen zusammenarbeitete und mit ihm gemeinsam 1979 im Südpazifik einen ersten Test mit Atomraketen durchführte. 1999 und 2000 nahm die israelische Marine drei U-Boote vom Typ Delphin bzw. Dolphin in Empfang, gebaut in Deutschland von den Kieler Howaldtswerken-Deutsche Werft AG (HDW) und der Thyssen Nordseewerke AG: Es wird angenommen, dass sie mit Atomraketen bestückt werden sollen. Es gibt Hinweise auf einen Test israelischer Cruise Missiles, also Lenkraketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, von einem U-Boot im Mai 2000 im Indischen Ozean. Nach Meldungen exportierte Israel Atommüll ins westafrikanische Mauretanien.
1967 war die erste israelische Atombombe fertig. Im Oktober 1973, während des Jom-Kippur-Krieges, gab die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir den Befehl, 13 Atombomben gefechtsbereit zu machen. Mit der Begründung, die israelische Bedrohung zu parieren, begann Irak ab den 70er Jahren mit dem Bau einer "arabischen" Atombombe, wobei wiederum Frankreich den dafür notwendigen Reaktor lieferte. Am 7. Juni 1981 bombardierte die israelische Luftwaffe den südlich von Bagdad befindlichen "Osirak"-Reaktor und zerstörte ihn vollständig. 1982 machte der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon den Vorschlag, die Atombombe gegen Syrien einzusetzen, um den Rückzug aus den Golan-Höhen zu erzwingen.
Heute hat Israel nach Angaben des israelischen Journalisten und Vorsitzenden des Israelischen Komitees für Mordechai Vanunu und für einen Nahen Osten ohne atomare, biologische und chemische Waffen, Gideon Spiro, vermutlich über 300 Atombomben. Sie sind in Kfar Zechariah, nahe Jerusalem, und Yodfad, in Galiläa (im Norden), stationiert. Zudem betreibt Israel B-Waffenforschung im Biologischen Institut Nes Tsiona.
Ob der Einsatz von Massenvernichtungsmittel tatsächlich eine Rückversicherung sein kann, sei dahingestellt; die hier angekündigte Medizin führt sicher zu einer Verschlimmerung der Krankheit. Die Anlage in Dimona stellt auch eine immer größer werdende Gefährdung der Sicherheit und der Gesundheit vor allem der israelischen Bevölkerung dar. Zudem sind atomare Anlagen Magneten. So versuchte Irak Dimona während des 91-er-Golfkrieges mit mindestens 3 Scud-Raketen zu treffen. Klar ist auch, dass die Anlage die Friedenssuche im Nahen Osten - sofern sie überhaupt je tatsächlich erfolgen sollte - zusätzlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Zusätzlich stabilisiert wird dieses Gefährdungspotential durch die ungebrochene Unterstützung durch die westlichen Staaten, wobei nicht mal der sonst übliche Standard, zum Beispiel die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages und entsprechende Kontrollen, verlangt wird.
Der Fall des "Atomspions" Mordechai Vanunu
Der in Marrakesch/Marokko geborene Mordechai Vanunu wanderte 1963 mit seinen Eltern in Israel ein. Er hat fünf Geschwister und spricht drei Sprachen: arabisch, französisch und hebräisch. Nach dem Abitur leistete er Militärdienst, wobei er die Bewertung "sehr guter Unteroffizier" bekam. Im Anschluss studierte er in Beer Sheva Physik, brach das Studium dann aber aus finanziellen Gründen ab und begann 1977 in Dimona als Ingenieur im Nachtdienst. Für diese Tätigkeit musste er sich zur Geheimhaltung verpflichten. Tagsüber schrieb er sich wieder an der Universität ein und studierte Philosophie, wobei es ihm insbesondere Nietzsche angetan hatte.
Der Beginn des Libanonkrieges 1982, die Besatzungspolitik im Westjordanland - und die studentischen Diskussionen darüber - verursachten bei ihm eine Änderung der politischen Haltung von stark rechts nach links. Er wurde Vorsitzender der Studentengruppe Campus, gab einer linken Studentenzeitschrift Interviews, was dem Geheimdienst sicherlich nicht entgangen ist. So war es kein Wunder, dass er im Dezember 1985 in Dimona nach 9-jähriger Tätigkeit, zusammen mit 180 weiteren Arbeitern, "aus wirtschaftlichen Gründen" entlassen wurde.
Mordechai Vanunu tritt daraufhin in die Kommunistische Partei ein - und dann wieder aus - und beginnt eine Weltreise. Athen, Moskau, Kathmandu und Sydney sind seine Stationen, dann endet das Geld und er beginnt als Taxifahrer. Er sucht weiter nach philosophisch-politischen Diskussionsrunden und findet sie in einem kirchlichen Gesprächskreis. Er wird Christ, kommt in Kontakt mit pazifistischen Gedanken und erzählt dabei auch von seiner bisherigen Tätigkeit - und dass er in Dimona Fotos gemacht habe. So kam es, dass ihm der Kontakt zu einem Journalisten der in London erscheinenden Sunday Times vermittelt wurde, die an einer Veröffentlichung Interesse zeigt und ihm die Weiterreise nach London und den Aufenthalt dort finanzierte. Am 5. Oktober 1986 erscheint auf drei Seiten der Zeitung der Bericht aufgrund seiner Aussagen; wobei Wissenschaftler errechnen, dass Israel bis zu 200 Atombomben besitzen könnte.
Er weiß zwar, dass er gefährdet ist, macht aber ahnungslos die Bekanntschaft einer Frau mit Namen Cindy, die ihn im September 1986 zu einer Reise nach Rom überredet. Dort erwarteten ihn bereits weitere Agenten des israelischen Geheimdienstes, kidnappen ihn und bringen ihn per Flugzeug nach Israel. Für die Entführung zeichnet wiederum Schimon Peres als Regierungschef verantwortlich. Vor dem Jerusalemer Bezirksgericht wurde Vanunu dann in einem sieben Monate dauernden Geheimprozess, gegen den er sich mit mehreren Hungerstreiks wehrte, im Berufungsverfahren im März 1988 wegen "Spionage, Hochverrat und Unterstützung des Feindes" zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, wovon er über elf Jahre in Isolationshaft verbringen musste. Amnesty international bezeichnete seine Haftbedingungen im Gefängnis Ashkelon als "grausam und unmenschlich". Seit 1998 befindet er sich im normalen Strafvollzug. Eingaben, ihn vorzeitig zu entlassen, wurden allesamt abgelehnt. Vanunus Brüder Meir und Asher, die sich für ihn einsetzten, wurden daraufhin ebenfalls angeklagt und beantragten deswegen in Großbritannien Asyl. Sein Entlassungsdatum ist der 21. April 2004. Es ist bislang nicht bekannt, ob er dann tatsächlich auch frei kommt, ob er gegenüber der Öffentlichkeit Aussagen machen darf und ob er reisen darf.
Mordechai Vanunu: "Es war meine Absicht, hier in Israel und in den umliegenden Ländern auf nukleare Gefahren aufmerksam zu machen und damit der Sicherheit und der Völkerfreundschaft zu dienen." Das ist ihm nicht gelungen. Selbst große Teile der israelischen Friedensbewegung distanzieren sich nach wie vor von seinem Verhalten und betrachten ihn als "Verräter". Eine öffentliche Debatte über das Atomprogramm gibt es in Israel bis heute nicht; bei Umfragen befürworten es 80 %.
Die internationale Unterstützung für ihn war dagegen, auch über die Jahre hin gesehen, ganz beachtlich: 18 Nobelpreisträger forderten seine Freilassung. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens setzten sich für ihn ein wie z.B. der Schriftsteller Harold Pinter (GB) und die Musikerin Yoko Ono und Tuli Kupferberg (The Fugs) aus den USA oder auch die irische Rockband U2, deren Sänger Bono in Tel Aviv vor 50.000 Zuschauern an ihn gedachte. Über 30 Abgeordnete des britischen Parlaments und auch welche aus Australien haben ihn immer wieder für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, den er aber nie bekommen hat - wohl aber den Alternativen Nobelpreis und den Dänischen Friedenspreis. Schließlich hat ihm die norwegische Universität Tromsö den Ehrendoktortitel verliehen.
Insbesondere in Großbritannien und USA gibt es seit Jahren eine rührige Unterstützungsbewegung. Ein Ehepaar Eoloff aus den USA hat ihn adoptiert und konnte ihn infolgedessen dann auch im Gefängnis besuchen. Mordechai Vanunu möchte nach seiner Freilassung in den USA leben. Um ihm den Start dort zu erleichtern, wollen wir ihm eine Spende zukommen lassen und fragen die BezieherInnen des Rundbriefes, ob sie nicht auch etwas dazu beitragen möchten; entsprechende Zuwendungen bitte ausschließlich auf das Konto der AG "KDV im Krieg". Die Ausstellung einer steuerlich abzugsfähigen Spendenquittung ist dafür nicht möglich!
Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe März 2004.
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