Bundeswehrwerbung mit Spektakel skandalisieren !
Was können wir den zunehmenden Rekrutierungs- und Werbemaßnahmen der Bundeswehr entgegensetzen? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Seminars "Sag, wo die Soldaten sind..." des DFG-VK Bildungswerks Hessen am 29. März 2008 in Frankfurt am Main.
Die Bundeswehr wirbt verstärkt in der Öffentlichkeit um Freiwillige. Sie zeigt Präsenz auf Messen, Märkten und Volksfesten und drängt sich in Schulen. Nicht zuletzt versucht sie, aus der beruflichen Perspektivlosigkeit und der sozialen Zwangslage vieler jugendlicher Erwerbsloser Kapital zu schlagen. Die Kooperation von Arbeitsagenturen und Jobcentern mit der Bundeswehr ist mittlerweile nichts Neues mehr.
Gleichzeitig wird der legale Kriegsdienstzwang nach wie vor beibehalten. Zur Zeit wird nur ein kleiner Teil derjenigen einberufen, die vom Gesetz her einberufen werden könnten. Mittlerweile wird die Hälfte der potenziellen Rekruten für untauglich erklärt, vom Rest erhalten viele nie eine Einberufung.
Deshalb stellte sich beim Seminar auch die Frage, warum die Bundeswehr so intensiv um Freiwillige wirbt, obwohl sie ihr Personal doch wie gewohnt zwangsrekrutieren könnte.
Die Antwort ergibt sich aus der inzwischen gar nicht mehr so neuen Rolle der Bundeswehr als Interventions- und Besatzungsarmee. Die von der Bundeswehr begehrten Rekruten und Rekrutinnen sind für die Auslandseinsätze gedacht, für die man nicht auf die sogenannten Wehrpflichtigen zurückgreifen will. Einerseits erfüllen sie nicht die Anforderungen der Bundeswehr bezüglich Ausbildung und Motivation für die weltweiten Interventionen. Andererseits will man aus politischen Rücksichten keine sogenannten Wehrpflichtigen schicken. Würden sie als Leichen oder verkrüppelt zurückkommen, wäre die Kriegspolitik noch schwerer zu vermitteln.
Allerdings erfüllt auch der Kriegsdienstzwang zwei wichtige Funktionen für die Kriegführung der Bundeswehr, über den Beitrag zur Aufrechterhaltung der militärischen Infrastruktur in Deutschland hinaus. Erstens fungiert er traditionell als Mittel der Nachwuchswerbung. Viele entscheiden sich während des Grundmilitärdienstes, sich länger zu verpflichten. 40% ihres Personalergänzungsbedarfs deckt die Bundeswehr auf diese Weise.
Zweitens verstärkt der Kriegsdienstzwang gerade bei Jugendlichen in einer sozialen Zwangslage den Druck, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten. Denn selbst wenn sie den materiellen Lockungen der Bundeswehrwerber nicht nachgeben, müssen sie damit rechnen, ohnehin zur Bundeswehr einberufen zu werden. Vor die Wahl gestellt, entweder für geringen Sold zwangsverpflichtet zu werden oder sich bei wesentlich besserer Besoldung freiwillig zu melden, ist es naheliegend, die lukrativere Variante zu wählen, wenn sich Militär- oder Ersatzdienst sowieso nicht oder nur mit Mühe vermeiden lassen.
Doch diese Quelle für Menschenmaterial genügt der Bundeswehr nicht. Schon jetzt werden 60% des neuen Personals extern angeworben. Wie Frank Brendle (DFG-VK Berlin) auf dem Seminar erläuterte, wird die Bundeswehr ihre Rekrutierung in Zukunft noch aggressiver betreiben, weil aufgrund der demografischen Entwicklung die Jahrgangsstärken der 18-jährigen zurückgehen und weil es für die Bundeswehr schwieriger wird, die passenden Rekruten zu gewinnen. Schon jetzt werden viele Bewerber zurückgewiesen, weil sie körperlich nicht fit genug sind oder den Bildungsanforderungen nicht entsprechen.
Für umso nötiger hielten es die Teilnehmenden des Seminars, die Arbeit gegen die Bundeswehrrekrutierung zu intensivieren. Ariane Dettloff (Bundeswehr wegtreten) präsentierte beeindruckende, phantasievolle und inspirierende Aktionen der Initiative Bundeswehr wegtreten aus Köln und anderen deutschen Städten.
Wir kamen zu dem Schluss, dass Aktionen gegen Bundeswehrwerbung nicht nur ins Bewusstsein rufen sollen, dass eine Verpflichtung zur Bundeswehr eben nicht der normale Job ist, als der er gerne dargestellt wird. Darüber hinaus gehe es darum, zu skandalisieren, dass die Bundeswehr das Kriegshandwerk als Beruf anbietet. Der Protest soll am Besten von möglichst viel Spektakel und phantasievollen Aktionen begleitet werden, bei denen man auf der antimilitaristischen Seite den Spaß hat. Es darf nicht als normal hingenommen werden, dass die Bundeswehr in immer mehr Bereichen des täglichen Lebens präsent ist.
Es blieben auch Fragen offen. In den USA werden viele aufgrund falscher Versprechungen oder unzutreffender Suggestionen ins Militär gelockt. Es ist zu überprüfen, ob hierzulande ähnlich betrügerisch gearbeitet wird oder ob sich die Bundeswehr darauf beschränkt, die unangenehmen Aspekte der Kriegseinsätze herunterzuspielen oder zu verschweigen.
Früher hat sich in den meisten Ländern die antimilitaristische Arbeit auf den Widerstand gegen die Zwangsrekrutierung zum Militär und die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerung konzentriert. Mittlerweile hält nur noch eine Minderheit der NATO- und EU-Staaten am Kriegsdienstzwang fest. Dementsprechend haben sich die Gewichte verschoben. Die Rekrutierung über Werbemaßnahmen tritt entweder ganz an die Stelle des legalen Zwangs oder nimmt, wie in Deutschland, an Bedeutung zu. Gleichzeitig wächst aber auch der Widerstand dagegen, der in den USA als Counter-Recruitment bekannt geworden ist, auf Deutsch Antirekrutierung genannt.
Dieser Entwicklung trägt auch die War Resisters’ International Rechnung, indem sie Antirekrutierung zum Schwerpunktthema des diesjährigen Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai gemacht hat - für die Anwesenden beim Seminar ein naheliegender Termin für Aktivitäten. Beim Seminar wurden Aktionen gegen Bundeswehrwerbung am und rund um den 15. Mai für Orte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen angekündigt.
Dass Kriegsdienst auch krank machen kann, verdeutlichte zum Schluss des Seminars ein Film über traumatisierte Bundeswehrsoldaten. Die Zahl der Traumatisierten wird zwangsläufig steigen, je länger und intensiver die Bundeswehr Krieg führt.
In dieser Broschüre dokumentieren wir die beiden Hauptreferate beim Seminar, die Vorträge von Frank Brendle und Ariane Dettloff, außerdem auch Texte von Rüdiger Bröhling (DFG-VK Marburg) zum Zusammenhang von Rüstung und Sozialabbau sowie von Christian Axnick (DFG-VK Marburg) zu den Werbemethoden der Bundeswehr. Beide Texte gehörten zur Materialsammlung für das Seminar.
Während die massive öffentliche Personalwerbung fürs Militär in Deutschland neu ist, ist sie in den USA schon lange Praxis. Auf entsprechend lange Erfahrungen im Widerstand dagegen kann die US-amerikanische Friedensbewegung zurückblicken, wie der Beitrag von Aimee Allison über Counter-Recruitment in den USA beleuchtet. Was dort jetzt schon Realität ist, bahnt sich in Deutschland gerade an. Ein Beitrag aus Israel illustriert, wie offensiv das Militär für Kriegsdienst wirbt und gleichzeitig Kriegsdienstverweigerung diffamiert und mit welcher Kreativität darauf reagiert wird.
Dieser Beitrag erschien in: DFG-VK Bildungswerk Hessen (Hrsg.): Broschüre "Beiträge und Aktionen gegen Rekrutierung", Offenbach/M., Mai 2008
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