Türkei: Zur Durchführung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) im Verfahren Ülke
Der Ministerausschuss, der nach den Bestimmungen des Artikels 46 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten die Durchführung rechtskräftiger Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte überwacht;
bezieht sich auf das Urteil im Fall Ülke, das nach dessen Rechtskraft am 24. April 2006 vom Gericht dem Ministerausschuss zur Überwachung der Durchführung übergeben wurde;
in Betracht ziehend, dass das Gericht in diesem Urteil die wiederholten Verurteilungen und Inhaftierungen aufgrund der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes wegen seiner Überzeugungen als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer als eine erniedrigende Behandlung nach Artikel 3 der Konvention ansieht;
des weiteren in Betracht ziehend, dass das Gericht den bestehenden gesetzlichen Rahmen als unzureichend ansieht, da es im türkischen Recht keine spezifischen Vorkehrungen gibt, mit denen geregelt wird, welche Sanktionen gegen jene anzuwenden seien, die den Militärdienst aus Gewissens- oder religiösen Gründen ablehnen und dass die einzigen anwendbaren Regelungen dazu im Militärstrafgesetzbuch zu finden sind, womit jede Befehlsverweigerung gegenüber einem Vorgesetzten eine Straftat darstellt;
die Verpflichtung jeden Staates betonend, sich nach Artikel 46 Absatz 1 der Konvention an die Urteile des Gerichtes zu halten, was die Einleitung von individuellen Maßnahmen einschließt, mit denen festgestellte Verstöße beendet und die Folgen für den Antragsteller unverzüglich beseitigt werden, wie auch die Verabschiedung allgemeiner Maßnahmen, um ähnliche Rechtsverletzungen zu verhindern;
feststellend, dass die türkische Regierung gegenüber dem Ministerausschuss in seinem 997. Treffen im Juni 2007 erklärt hat, dass ein Gesetzentwurf vorbereitet wurde, mit dem neue Rechtsverletzungen nach Artikel 3 - wie die im aktuellen Fall festgestellten - verhindert werden sollen und dass dieser Entwurf dem Büro des Premierministers zur Überstellung an das Parlament übergeben werden solle, nachdem Stellungnahmen der zuständigen Ministerien abgegeben worden seien;
des weiteren feststellend, dass dieses Gesetz nach der Verabschiedung laut der Erklärung der türkischen Regierung wiederholte Verfolgung und Verurteilungen aufgrund "Beharrens auf Ungehorsam" von denjenigen verhindern würde, die den Militärdienst aus Gewissens- oder religiösen Gründen verweigern und dass ebenso die Absicht besteht, die notwendigen individuellen Maßnahmen im vorliegenden Fall zu treffen;
mit Bedauern feststellend, dass dem Antragsteller nach der Erklärung der Regierung, am 9. Juli 2007, eine Vorladung zugestellt wurde, nach der er sich selbst melden solle, um eine noch ausstehende Haftstrafe anzutreten, die aus einer früheren Verurteilung resultiere und dass sein Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der Strafe vom Militärgericht in Eskisehir aufgrund der besagten Erklärung abgelehnt wurde, weil der Inhalt des Gesetzentwurfes dem Ministerausschuss unbekannt sei - und somit auch die Frage offen sei, ob die darin enthaltenen Vorkehrungen zugunsten oder zuungunsten des Antragstellers anzuwenden seien;
bezüglich dessen unterstreichend, dass die Konvention und das Urteil des Gerichts nach Artikel 90 der türkischen Verfassung direkt anwendbar sind;
bedauernd, dass sich der Antragsteller trotz Artikels 90 der türkischen Verfassung nun der realen Gefahr einer Inhaftierung aufgrund der früheren Verurteilung ausgesetzt sieht;
die Notwendigkeit betonend in diesem Fall dringend individuelle Maßnahmen zu ergreifen;
FORDERT der Ministerausschuss die türkische Regierung daher auf, ohne weiteren Verzug alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um der Verletzung der Rechte des Antragstellers nach der Konvention ein Ende zu setzen und rasch eine Gesetzesreform zu verabschieden, die notwendig ist, um ähnliche Verletzungen der Konvention zu vermeiden;
FORDERT der Ministerausschuss insbesondere die türkische Regierung dazu auf, unverzüglich den Ausschuss mit Informationen über die Verabschiedung von Maßnahmen zu versorgen, die aufgrund des Urteils erforderlich sind;
ENTSCHEIDET der Ministerausschuss, die Umsetzung des Urteils auf jedem Menschenrechtstreffen zu überprüfen, bis die notwendigen dringenden Maßnahmen verabschiedet wurden.
Beschluss des Ministerauschusses des Europarates auf seiner 1007. Sitzung vom 17. Oktober 2007. Resolution CM/ResDH (2007)/109 zum Antrag Nr. 39437/98, Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 24. Januar 2006, rechtskräftig am 24. April 2006. Übersetzung: Rudi Friedrich und Thomas Stiefel. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, November 2007.
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