Obamas "Wandel" geht vielen zu langsam

von Elsa Rassbach

(27.08.2009) Aus Anlass des Besuches von US-Präsident Barack Obama im Juni 2009 setzte sich Elsa Rassbach, die bei American Voices Abroad Military Project aktiv ist, mit den Truppenstationierungen im Irak sowie Deutschland als Nachschubbasis und Unterstützer der Kriegspolitik auseinander. Einige aktuelle Angaben haben wir in den Fußnoten ergänzt. (d. Red.)

Berlin, 5. Juni 2009. Was sagt Präsident Obama den verwundeten US-Soldaten heute, wenn er sie im Landstuhl Regional Medical Center (LRMC) besucht? Ein US-Soldat, der in Deutschland Asyl sucht, André Shepherd, 32, weiß, was Obama ihnen, so hofft er, sagen wird: „Wenn Obama es ernst damit meint, der Friedenspräsident zu sein, dann wird er den Soldaten sagen, dss er die ‘overseas contingency operations’ einschließlich der Kriege im Irak und in Afghanistan beenden wird, und zwar sofort“.

Shepherds Fall hat internationale Aufmerksamkeit erlangt, weil er als erster seit Beginn des „Krieges gegen den Terror“ in Deutschland Asyl beantragt hat. Doch auch andere US-Soldaten leisten Widerstand, wie schon unter der Bush-Regierung. Zu den neuesten Fällen, die publik wurden, gehören zwei Soldaten von der US-Armeebasis in Ford Hood, Texas, Victor Agosto und Travis Bishop, denen beiden Militärgericht droht, nachdem sie sich letzten Monat öffentlich geweigert hatten, nach Afghanistan zu gehen. Agosto schrieb in einer Erklärung für die militärische Rechtsberatung, die von seinem Kommandanten eingesehen wird: „Ich werde auf keinen Fall nach Afghanistan gehen. Die Besetzung ist unmoralisch und unrecht. Sie macht das amerikanische Volk keineswegs sicherer. Sie hat die gegenteilige Wirkung.“

Dies wird Obamas erster Besuch eines Krankenhauses für Kriegsverletzte aus dem Irak und Afghanistan, seit er Präsident wurde. Landstuhl, errichtet 1938 als Hitlerjugend-Schule, ist derzeit die größte amerikanische Klinik außerhalb der USA und behandelt in Europa, dem Mittleren Osten und Afghanistan stationiertes US-Militärpersonal und einen Teil des Koalitions-Militärpersonals. Laut Marie Shaw, Chefin von Landstuhl Public Affairs, werden alle verwundeten Soldaten, die voraussichtlich nicht innerhalb von 14 Tagen genesen, von den Schlachtfeldern evakuiert und „alle nach Landstuhl gebracht“. Sie kommen auf der Ramstein Air Base an und werden von dort zu der nur 5 km entfernten Klinik gebracht. In der Grundsatzerklärung des Landstuhler Krankenhauses steht: „Wir ermöglichen es dem Soldaten, den Auftrag der US-Streikräfte fortzusetzen.“ Aber ca. 90 Prozent der Verwundeten werden stattdessen nach erster Notversorgung in Landstuhl zur Weiterbehandlung in die Vereinigten Staaten geschickt.

Wie viele Verwundete kommen durch Landstuhl? Dr. Evan Kanter, Präsident von Ärzte für Soziale Verantwortung sagte: „Im Irak ist das Verhältnis (von Verwundeten zu Toten) 8 zu 1, verglichen mit Vietnam, wo es 3 zu 1 war. Heute können wir die Leute stabilisieren und innerhalb von 24 Stunden zum Luftstützpunkt Landstuhl in Deutschland ausfliegen. Infolgedessen haben wir jetzt Militärangehörige mit schrecklichen Verletzungen, die Ähnliches in einem früheren Kampf niemals überlebt hätten.“

Laut US-Verteidigungsministerium beträgt die Gesamtzahl von Koalitionssoldaten, die im Irak gestorben sind, bisher 4.624 (davon 4.306 aus den USA, 179 aus dem UK und 139 Soldaten aus anderen Nationen). 1167 Koalitionssoldaten sind bisher in Afghanistan gestorben (einschließlich 30 aus Deutschland, das nach den USA, UK und Kanada in Afghanistan die höchste Opferrate hat)“.1

Admiral Mike Muller, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs, sagte in einem Interview mit der Military Times am 27. Mai 2009: „Wir haben fast 5.000 Leute verloren, und wir haben etwa 36.000 mehr, und das Mehr ist kein kleines Mehr, das sind Verletzte und Verwundete.“ Doch glauben viele Beobachter, dass das Pentagon untertriebene Opferzahlen angibt. Eine Untersuchung durch Veterans for Common Sense (Veteranen für den Gesunden Menschenverstand) stellte fest, dass bis zum Juni 2007 etwa 50% zu wenig angegeben wurden. Dr. Kanter erklärte im Juni 2008, dass die Zahlen des Pentagons „Selbstmorde oder Todesfälle nicht beinhalten, die nach der Evakuierung infolge im Kampf erhaltener tödlicher Verwundungen eintraten, wie auch die Todesfälle von über 1.000 Söldnern. Wenn wir alle Toten, Verwundeten und Verletzten zusammenrechnen, kommen wir insgesamt auf über 70.000. Bislang wurden über 1.600.000 SoldatInnen (jetzt sind es weit über 1.800.000) eingesetzt. Die Zahl der PTSD-Fälle (posttraumatisches Syndrom) und schwerer Depression beträgt drei- bis vierhunderttausend.“

Am 19. Januar, kurz bevor er sein Amt antrat, sagte Obama: „Um diesen Krieg verantwortungsvoll zu beenden, werde ich sofort anfangen, unsere Soldaten aus dem Irak zurückzuholen.“ Bisher sind keine Soldaten aus dem Irak abgezogen worden.2 Während der ersten fünf Monate von 2009 sind in Afghanistan mehr US- und Koalitionssoldaten gestorben, als in den ersten fünf Monaten eines jeden Jahres, seit der Krieg 2001 begann. Seit Obama das Amt antrat, gab es auch einen 14-prozentigen Zuwachs im Rückstand an Behindertenanträgen von Veteranen, die jetzt fast eine Million betragen. Letztes Jahr begingen 140 US-Soldaten Selbstmord, eine Rekordhöhe, doch schon während der ersten Monate von 2009 haben 64 US-Soldaten Selbstmord begangen.

Alle verwundeten Soldaten, die Obama in Landstuhl besuchen wird, wurden verletzt, nachdem er das Amt antrat. Für diese US-Soldaten und ihre Familien, ist der „Wandel“, den Obama versprochen hat nicht schnell genug eingetreten.

Anderen US-Soldaten steht Gefängnis oder, wie André Shepherd, Exil bevor. Von seiner Familie in den USA abgeschnitten, lebt Shepherd jetzt mit anderen Asylsuchenden, hauptsächlich Irakern und Afghanen, in einer von der deutschen Regierung zur Verfügung gestellten Einrichtung. Er hofft, dass Obama nicht nur zu den Verwundeten in Landstuhl sprechen, sondern ihnen auch zuhören wird. Er weiß, dass er selbst nicht nach Hause gehen kann, bis es einen Wandel in der US-Politik gibt.

Fußnoten

1 Aktuelle Zahlen vom 27.8.2009 nach http://icasualties.org: 4.652 tote SoldatInnen im Irak (davon 4.334 aus den USA, 179 aus dem UK und 139 Soldaten aus anderen Nationen). 1.343 tote SoldatInnen in Afghanistan (einschließlich 33 aus Deutschland

2 Ende Juni 2009 haben sich US-Truppen vor allem auf eigene Stützpunkte außerhalb der Städte und Dörfer zurückgezogen. Dies hatte noch der ehemalige US-Präsident George W. Bush mit dem irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki vereinbart. Der endgültige Abzug der meisten der noch rund 134.000 US-Soldaten aus dem Irak ist erst für 2011 geplant.

Elsa Rassbach: Obamas "Wandel" geht vielen zu langsam. Originalartikel vom 5. Juni 2009 (http://linksunten.indymedia.org/de/node/7722). Übersetzung von Eva Brückner-Tuckwiller. Aktualisiert am 27.8.2009. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2009

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