„Martin-Niemöller-Stiftung zeichnet mit ihrem Förderpreis heute Connection aus“
Redebeitrag von Prof. Dr. Martin Stöhr zur Preisverleihung
Verehrte Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren!
Nützliche Informationen finden sich im Kalender. Unsere Feier liegt zwischen dem Tag der Menschenrechte am 10. Dezember und dem 10. November. Der 10. November erinnert an zwei Deserteure, an Friedrich Schiller, der vor 250 Jahren in Württemberg unter einem tyrannischen Herzog geboren und ausgebildet wurde. Sein erstes Theaterstück „Die Räuber“ überschreibt er „In Tyrannos! – Gegen die Tyrannen!“ Als der Herzog von dem Stück erfährt, verbietet er es in seinem Herrschaftsbereich. Schiller desertiert aus seiner Armee und flieht ins Ausland, nach Baden. Er findet im damals sehr kleinteiligen Deutschland, wo alle paar Meilen ein neues Ausland anfängt, Zuflucht, vor allem aber Freunde, deren „Connection“ ihm weiterhilft..
Dieser 10. November ist auch der Namenstag des Martin von Tours. Er stammt aus der Provinz Pannonia des römischen Imperiums (heute Ungarn) und wird am Beginn des 4. Jahrhunderts nach Christus geboren. Sein Tun ist vielen Menschen seit Kindergartentagen bekannt: Der stolze Soldat steigt vom hohen Ross und teilt mit einem bettelarmen Menschen seinen schützenden Mantel. Seit das Christentum im römischen Reich Staatsreligion wurde, hat man seine zweite Großtat verdrängt. Martin von Tours nimmt den gewaltfreien Jesus ernst und verlässt die römische Armee, er desertiert.
Zwei unterschiedliche Landsleute in unterschiedlichen Zeiten und Ländern sagen NEIN zur militärischen Gewalt, weil sie zur Freiheit und zur Gerechtigkeit unter den Menschen JA sagen. Freiheit und Gerechtigkeit sind starke Schwestern der Gewaltfreiheit, die keine Mitmenschen töten kann.
Schiller wird als deutscher Nationaldichter gefeiert und nicht als Kriegsdienstverweigerer. Im antisemitischen Russland der Zarenzeit wird Schiller von den unterdrückten Juden als Dichter der Freiheit ebenso liebe- wie hoffnungsvoll „Rebbe Schiller“ genannt, ein Lehrer der Freiheit.
Martin von Tours wird Bischof und später als Vorbild für Gerechtigkeit sowie als Namenspatron unzähliger Kirchen in der Christenheit geschätzt.
Der Namensgeber der Martin-Niemöller-Stiftung, der frühere Präsident unserer Ev. Kirche in Hessen und Nassau, war ein erfolgreicher U-Boot-Kapitän im ersten Weltkrieg. Er musste den Widerstand gegen die mörderische Menschenverachtung in Nazideutschland in einer harten Lebensschule lernen. Er vertraut dann dem Recht mehr als den Feindbildern. Er ließ seine Ausbildung an Torpedos und unter Kommandos hinter sich und sein menschliches Gewissen göttlich schulen. Er wird Pazifist.
Die Martin-Niemöller-Stiftung zeichnet mit ihrem Förderpreis heute Connection aus. Mit unserer öffentlichen Unterstützung zeigen wir nicht nur auf die vorbildliche Arbeit von Connection. Wir danken Connection und hoffen gemeinsam, dass nicht nur Gelder, Börsennotierungen, Informationen und Märkte globalisiert werden. Endlich müssen Gewissensentscheidungen sowie Flüchtlings- und Asylrechte weltweit anerkannt werden. Wer an die Zukunft unseres Globus denkt, dankt jenen Frauen und Männern, die mit ihrer Gewissensentscheidung der Militärcourage den Abschied geben. Sie üben die heute ebenso notwendige wie seltene Zivilcourage ein. Sie warten nicht, bis es überall staatlich erlaubt ist, seinem Gewissen zu gehorchen. Ihre ethische Entscheidung kostet sie oft ihre Heimat. Zutiefst stellen sie in Frage alle politischen, publizistischen und kommerziellen Schönredner und Waffenverteidiger mit ihren Illusionen über Krieg und Bürgerkrieg.
Asyl ist das Mindeste, was unser demokratischer Rechtsstaat Ihnen geben muss, verehrte Frau Habtemicall aus Eritrea, verehrter Herr Shepherd aus USA und verehrter Herr Er aus der Türkei. Es ist sinnvoll, das zu tun, was Bundesbehörden versprechen: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert die Integration von Zuwanderung.“ Diesen eigentlich schönen Satz zugunsten von „Migranten und Flüchtlingen“ kann man jetzt in der Berliner Ausstellung über „Fremde in Deutschland und Frankreich“ nur zustimmend lesen. Aber: Eine heimliche Zensur setzte ihn an die Stelle, den die deutsch - französischen Ausstellungsmacher vorher hingeschrieben hatten: „Die Festung Europa soll Flüchtlingen verschlossen bleiben!“ Ich bin gegen jede wahrheitsverbiegende Zensur – aber dafür, dass Europa keine Festung bleibt und dass alle Flüchtlinge eine asylrechtliche und integrierende Regelung Ihrer Anträge erleben.
Es fehlt nicht an Beschwörungen in allen politischen Lagern, dass die großen Herausforderungen unserer Zeit – Hunger, Klimakatastrophe oder Terrorismus – nicht mit militärischen Mitteln zu bewältigen sind. Zieht aber jemand die politische und persönliche Konsequenz aus dieser Einsicht, dann gilt für ihn noch lange nicht der Satz unseres Grundgesetzes „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht!“ (GG 16,a,1).
Der Heilige Martin, Friedrich Schiller und Martin Niemöller unterstützen als Ihre Anwälte mein Plädoyer. Aber die heutigen Kriegsdienstverweigerer sind nicht prominent, sie stehen „draußen vor der Tür“ unseres ohnehin kastrierten Asylrechts. Wer Prominente nach ihrem Tod feiert und heute zugleich nichtprominente Flüchtlinge und Kriegsdienstverweigerer die Anerkennung verweigert, schmückt sich mit toten Kriegsdienstgegnern und übersieht die lebenden. Deswegen feiern wir heute schon einmal und danken den hier anwesenden Kriegsdienstgegnern und Connection. Wir danken auch der Familie Rumpf, die in Erinnerung an den Wiesbadener Pfarrer Julius Rumpf und seine Opposition gegen das Naziregime der Martin-Niemöller-Stiftung das Preisgeld zur Verfügung stellt. Ein Dank gilt auch der Pfarrerin für Friedensarbeit der EKHN, Mechthild Gunkel.
Prof. Dr. Martin Stöhr, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung: Verleihung des Förderpreises der Martin Niemöller-Stiftung an Connection e.V. - Internationale Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure. Redebeitrag vom 4. Dezember 2009 in Frankfurt am Main
Stichworte: ⇒ Arbeit von Connection e.V. ⇒ Friedenspreis