Das Friedensabkommen mit Äthiopien hat Afewerkis Eritrea nicht verändert
Wenn überhaupt, dann hat es das Regime gestärkt
(12.10.2018) Nach der Unterzeichnung eines historischen Friedensabkommens mit Äthiopien1 und einer beispiellos positiven Berichterstattung in den Medien, beantragte Eritrea einen Sitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC).
Mit großer Unterstützung durch Länder wie Saudi-Arabien unddie Vereinigten Arabischen Emiraten gelang es dem Horn von Afrika, das von Freedom House wiederholt als „nicht frei“ eingestuft wurde, ohne Widerspruch auf die Kandidatenliste der afrikanischen Gruppe zu kommen. Das bedeutet für die bevorstehende „Wahl“, dass sie nichts weiter als eine Formalität ist und Eritrea unweigerlich ab der nächsten Sitzung der UN-Generalversammlung dem Menschenrechtsrat angehören wird.
Als Mitglied des UN-Menschenrechtsrates wird Eritrea für drei Jahre das Recht haben, über die Menschenrechtsresolutionen der Vereinten Nationen abzustimmen, auch über seine eigenen Missstände.
Die Mitgliedschaft Eritreas wird dem UN-Menschenrechtsrat, der die Menschenrechte als „unteilbar, miteinander verbunden, voneinander abhängig und sich gegenseitig stärkend“2 ansieht, sehr lästig sein. Immerhin beschuldigte die Organisation das Land noch vor zwei Jahren, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu begehen.3
Und in Eritrea hat sich in den letzten zwei Jahren nicht viel geändert. Erst letzte Woche berichtete Human Rights Watch4, dass die „Repressionen trotz der diplomatischen Bemühungen Eritreas fortgeführt werden.“
Da sich Eritrea darauf vorbereitet, seinen Platz im höchsten Menschenrechtsgremium einzunehmen, möchte ich im Folgenden einen Überblick darüber geben, wie das Land heute aussieht, trotz der großen Hoffnungen und optimistischen Medienberichte über bevorstehende politische Veränderungen.
Nationaler Militärdienst mit unbefristeter Länge
Die internationale Gemeinschaft hat nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Äthiopien am 9. Juli 2018 erwartet, dass Afewerki das Ende des Nationaldienstes unbefristeter Länge verkünden wird. Aber drei Monate nach der Unterzeichnung haben die Eritreer*innen noch immer keinen Hinweis darauf erhalten, wann diese Praxis beendet wird.
Eritrea führte 1994 eine 18-monatige Wehrpflicht für junge Eritreer*innen ein. Als sich jedoch die Beziehungen nach dem Krieg mit Äthiopien 1998-2000 verschlechterten, wurde der Nationaldienst auf unbestimmte Zeit verlängert. Nachdem sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern seit Anfang dieses Jahres zu normalisieren begannen, wurde erwartet, dass der Nationaldienst wie zuvor auf 18 Monate begrenzt wird.
Zuerst gab es einige falsche Hoffnungen und irreführende Nachrichten dazu. Der letzten Gruppe von Rekrut*innen zum Nationaldienst wurde im Juli gesagt, dass ihr Dienst nicht länger als 18 Monate dauern werde. Aber Anfang diesen Monats erklärte der Vorsitzende der Nationalen Union der Eritreischen Jugend und Student*innen, Saleh Ahmeddin, gegenüber den Rekrut*innen im Militärlager in Sawa, dass der Prozess der Staatsbildung eine „grenzenlose Hausaufgabe“ sei.5 Das deutet darauf hin, dass ihr Dienst nicht so bald beendet sein wird.
Auswanderung nach Äthiopien
In weniger als einem Monat nach Öffnung der Grenzen zwischen Eritrea und Äthiopien am 11. September 2018 sind mehr als 15.000 Eritreer*innen, überwiegend Frauen und unbegleitete Minderjährige, nach Äthiopien gekommen.6
Wenn Bürger*innen in Friedens-, nicht in Kriegszeiten, in Scharen fliehen, sollte dies als Zeichen mangelnden Vertrauens in ihre Führer gesehen werden. Es sind inzwischen Monate vergangen ohne jede Erklärung, was der Friedensvertrag für die Eritreer*innen wirklich bedeutet. Für viele ist das Schweigen deutlich genug. Sie kennen die Taktik ihrer repressiven Regierung allzu gut. So entscheiden sie, dass ihre Kinder nur außerhalb Eritreas eine Zukunft haben können.
Unter normalen Umständen ist es für Eritreer*innen, die älter als fünf Jahre sind, nicht möglich, das Land auf legalem Wege zu verlassen. Da niemand weiß, wann die Grenze zu Äthiopien wieder geschlossen wird, entscheiden sich viele Familien, ihre Kinder jetzt in die Flüchtlingslager nach Äthiopien zu schicken. Sie glauben, dass sie dort besser aufgehoben sind als zu Hause, wo sie unter einem repressiven und unberechenbaren Regime leben müssten.
Natürlich sind auch die Aussichten für eritreische Flüchtlinge in Äthiopien nicht gut. Die internationale Gemeinschaft scheint zu glauben – oder besser gesagt, gibt vor zu glauben – dass sich die Dinge in Eritrea verbessert haben. Aus diesem Grund setzt das UNHCR keine Priorität darin, diesen Menschen zu helfen oder sie in einem Drittland anzusiedeln.
Hinzu kommt: Im Gegensatz zu anderen Nachbarländern, in denen Eritreer*innen nach der Flucht aus ihrem Land einen Pass beantragen konnten, indem sie mit einem Formular nach ihrer Flucht aus dem Land Abbitte leisten7, ist das in Äthiopien nicht möglich.
Mangel an Waren
Eine positive Veränderung gab es seit der Wiederannäherung Äthiopiens: Nach der Öffnung der Grenzen zu Äthiopien im September 2018 verzeichnet das Land einen Zustrom äthiopischer Waren, da die eritreischen Behörden den freien Warenverkehr ohne Abgabe von Steuern oder anderen Auflagen gestatteten. Dies führte insbesondere bei Lebensmitteln zu einem deutlichen Preisrückgang. Das muss allerdings als eine vorübergehende Entlastung gesehen werden.
Eritreer*innen können nicht mehr als 5.000 Nakfa (etwa 260 € im offiziellen Wechselkurs) in einem Monat von ihrem Konto abheben. Es gibt einen akuten Mangel an harter Währung im Land. Investitionen sind für Eritreer*innen nach wie vor nicht möglich. Import- und Exportgeschäfte sind seit 2003 verboten. Private Baumaßnahmen sind seit Mai 2006 verboten.
Angesichts des Marktpotentials und den extrem ungünstigen Bedingungen werden äthiopische Unternehmen wohl eher nicht in Eritrea investieren. In ein paar Monaten, wenn Eritrea damit beginnt, Zölle auf äthiopische Produkte zu erheben, wird alles wieder so aussehen, wie zuvor. Dann wird die eritreische Bevölkerung erneut mit dem Mangel an grundlegenden Gütern konfrontiert sein.
Wiederbelebung einer alternden Diktatur
Statt eine Veränderung für das Leben der eritreischen Bevölkerung zu bewirken, hat die Annäherung zwischen Eritrea und Äthiopien eher das Regime unter Afewerki gestärkt. Der eritreische Präsident, der bis vor kurzem international isoliert war, genießt nun die Aufmerksamkeit der globalen Mächte.
Jetzt ist er in einer hervorragenden Position, um von regionalen Konflikten und Machtspielen zu profitieren. Eritrea liegt an der maritimen Seidenstraße, die für die chinesische Belt-and-Road-Initiative unverzichtbar ist. Auf der anderen Seite des Roten Meeres liegen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die einen schier endlosen Krieg im Jemen führen. Mit der langen Küste wäre Eritrea besonders geeignet für eine weitere US-Militärbasis in der Region.
Sowohl der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed wie auch Afewerki werden bereits sowohl von den Vereinigten Arabischen Emiraten wie auch von Saudi-Arabien umworben für ihre „Dienste“ oder die noch zu erwartenden Dienste im Konflikt im Jemen. Es ist nicht schwer vorauszusehen, worauf das Werben zielt: Truppen in den Jemen zu schicken.
Frühe Zeichen einer Dynastie
Präsident Afewerki scheute sich lange, Familienangehörige in die politische Arena zu stellen. Aber das hat sich kürzlich geändert. Sein ältester Sohn, Abraham Isayas Afewerki, ist insbesondere seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Äthiopien bei öffentlichen Ereignissen in Erscheinung getreten. Er war zum Beispiel Mitglied der Delegation nach Saudi-Arabien.
Unter Berufung auf diplomatische Quellen aus Asmara berichtet das in Paris ansässige unabhängige Radio Erewan8, dass Abraham Afewerki die Rolle des Sonderberaters für Strategische Studien beim Präsidenten übernommen hat.9 Es sieht so aus, dass er möglicherweise als Nachfolger seines Vaters aufgebaut werden soll.
Das wäre nicht untypisch für Präsident Afewerki, der seit Jahrzehnten in Eritrea als Person die Macht innehat. Der Friedensvertrag mit Äthiopien und die erneuerte Aufmerksamkeit der Weltmächte werden es ihm ermöglichen, an der Macht zu bleiben. Jetzt wird er sich noch weniger um die innere Unzufriedenheit kümmern oder um das Los seiner Bevölkerung, da er glaubt, dass er starke regionale und globale Verbündete gewonnen hat.
In anderen Worten: Die Welt leistet der eritreischen Bevölkerung keinen Gefallen, wenn sie den Machtmissbrauch des Regimes übersieht, von den jüngsten diplomatischen Erfolgen Eritreas schwärmt und das Land im höchsten Menschenrechtsgremium willkommen heißt.
Fußnoten
2 https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/A.RES.60.251_En.pdf
3 https://news.un.org/en/story/2016/06/531522-crimes-against-humanity-committed-eritrea-warns-un-group
4 https://www.hrw.org/news/2018/10/03/eritrea-diplomacy-changes-political-prisoners-remain
5 http://shabait.com/news/local-news/27150-seminar-to-members-of-32nd-round-national-service
6 http://www.africanews.com/2018/09/28/eritrean-refugees-in-ethiopia-spikes-after-border-reopening/
7 https://www.dsp-groep.nl/wp-content/uploads/The-2-Tax-for-Eritreans-in-the-diaspora-Appendices.pdf
9 http://erena.org/index.php/zena/natl/4380-ፕረዚደንት-ኢሳይያስ፣-ንወዱ-ኣብ-ቤት-ጽሕፈቱ-ኣማኻሪ-ስትራቴጅያውያን-ጉዳያት-ክኸውን-መዚዝዎ
Abraham T Zere ist der im Exil lebende Geschäftsführer von PEN Eritrea
Abraham T Zere: The peace deal with Ethiopia has not changed Afwerki’s Eritrea. 12. Oktober 2018. https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/peace-deal-ethiopia-changed-afwerki-eritrea-181010171517226.html. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2018
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