Demonstration am 13.2.2021 in Frankfurt/M.

Demonstration am 13.2.2021 in Frankfurt/M.

Eritrea/Äthiopien: „Tanzt nicht mit den Kriegstrommeln!“

Interview mit Zerai Kiros Abraham

Zerai Kiros Abraham ist aktiv im Ubuntu Haus in Frankfurt und bei der Aktionsgruppe Ride4Justice. Diese Organisation hatte in den letzten Monaten verschiedentlich Demonstrationen gegen den Krieg im Tigray organisiert. Der Krieg um die im Norden Äthiopiens gelegene Provinz begann im November 2020. An diesem Krieg hat sich von Anfang an auch Eritrea an der Seite der äthiopischen Bundesarmee beteiligt und war mit dem Militär weit nach Tigray eingedrungen. Vor wenigen Wochen gab es nun Meldungen, dass Äthiopien politische Gefangene freilässt und Verhandlungen aufnehmen will. Am 22. Januar 2022 gab jedoch ein äthiopischer General bekannt, die Armee solle in die Hauptstadt des Tigray vorrücken, um die Rebellen zu „eliminieren“. Der Krieg geht also weiter, ungeachtet aller Berichte über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen von allen Seiten und einer unbekannten Zahl von Opfern. Wir sprachen mit Zerai Kiros Abraham über die Mobilisierung auf eritreischer Seite und über Aktionen gegen den Krieg. (d. Red.)

Weißt Du, wie in Eritrea für den Kriegseinsatz geworben und rekrutiert wurde?

Die eritreische Armee ist ja nicht ein Militär im dem Sinne, dass es der Aufrechterhaltung der Souveränität des Landes dienen würde. Sie ist auch weit davon entfernt, noch eine Befreiungsarmee zu sein. Es ist vielmehr eine Armee, zu der alle einberufen und unbefristet zu den verschiedensten Diensten verpflichtet werden. Der jetzige Diktator Isayas Afewerki hält so seine eigenen Sklaven und Sklavinnen. Er betrachtet sie als sein Eigentum. Dagegen hatten wir in der Vergangenheit auch schon häufiger Demonstrationen organisiert.

Das bedeutet auch, dass für den Krieg nicht wirklich rekrutiert wurde. Soldaten und Soldatinnen wurden einfach als Teil ihres Dienstes verpflichtet, um im Krieg eingesetzt zu werden. Viele wussten nichts von dem Krieg. Ihnen wurde dann mitgeteilt, wir haben jetzt einen Einsatz. Andere wurden von zu Hause abgeholt. Und so sind viele im Tigray gelandet, an der Seite der äthiopischen Bundesarmee, und mussten dort kämpfen.

Und dabei müssen wir sehen, dass viele Tigray mit der eigenen Sprache Tigrinja, einer der Hauptsprachen Eritreas, verbinden. Es gibt viele Familien, die Angehörige auf beiden Seiten haben, wir haben vieles gemeinsam. Tigray wurde immer wieder getrennt, durch die Kolonialisten, aber auch durch die Propaganda auf Seiten der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) und der Tigrayischen Volksbefreiungsfront (TPLF). Es ist also für viele ein Dilemma, dass sie dort kämpfen müssen.

Präsent ist aber auch die Geschichte von 1998, als die jetzigen Tigray-Rebellen in Äthiopien an der Macht waren. Damals griffen sie Eritrea an und drangen fast bis Asmara vor. Das ist bei vielen Menschen haften geblieben. Und der Diktator argumentiert nach wie vor damit und sagt, dass deswegen der Militärdienst in der jetzigen Form notwendig sei. Wir seien immer noch im Kriegszustand. Und so gibt es Soldat*innen, die sagen, dass sie nur wegen der TPLF und dem bewaffneten Arm, den Tigrayischen Verteidigungskräften (TDF) noch im Militär sein müssen.

Es ist wirklich schrecklich von all den Gräueltaten im Krieg zu hören, begangen auch von eritreischen Soldat*innen. Sie haben kriminell gehandelt. Aber ich könnte nicht so einfach sagen, dass wir sie nun bekämpfen müssten. Sie sind dazu gezwungen worden, dort im Tigray zu kämpfen. Ich bedaure sehr, dass sich viele nun einfach von ihnen abwenden und sie nur noch als Täter*innen sehen.

Weißt Du von Soldaten oder Soldatinnen, die desertiert sind?

Es gibt nur sehr wenige unabhängige Berichte von Desertionen. Die Informationslage ist da wirklich sehr dünn. Ich selber habe noch einige Interviews in YouTube gesehen. Aber die sind zum großen Teil Propaganda der TPLF. Die TPLF hat geflüchtete Eritreer als Gefangene Interviewt und öffentlich präsentiert.

Ich hatte aus der eritreischen Community vor allem Stimmen vernommen, die sich gegen den Einsatz im Tigray aussprachen. Sie sagten: ‚Warum soll jetzt unsere Jugend die Köpfe hinhalten? Wem nützt das eigentlich?‘ Wie wird in der eritreischen Community über den Krieg diskutiert?

Meine Position als Pazifist ist klar: Ich stelle den Krieg grundsätzlich in Frage. Wem nützt er? Warum soll es überhaupt Krieg geben? Warum kann es keinen Runden Tisch geben, an dem die Differenzen besprochen und Lösungen gefunden werden?

In der Community gibt es sehr unterschiedliche Stimmen. Viele sagen, wie Du schon erwähnt hast: ‚Wir sind schon lange gegen den Militärdienst. Mit dem Krieg hat der Diktator nun nur einen Zweck gefunden, um das Militär einzusetzen. Im Krieg werden sie getötet und töten andere.‘ Und dabei haben sie die hohen Opferzahlen des Krieges gegen Äthiopien von 1998 bis 2000 im Kopf. Damals starben auf eritreischer Seite 30.000, auf äthiopischer 80.000. Für den aktuellen Krieg gibt es noch keine Zahlen. Sie sind grundsätzlich und von Anfang an gegen den Kriegseinsatz.

Es gibt auch andere Stimmen. Einige begrüßen es, dass sich nun EPLF und TPLF bekämpfen, da sie beide nur für den Machterhalt agieren würden. So könnte doch etwas Neues entstehen.

Andere sehen es als Vergeltung für 1998, nicht nur wegen des Einmarsches von Äthiopien, sondern auch weil damals 80.000 eritreische Migrant*innen über Nacht aus Äthiopien ausgewiesen wurden. Sie mussten gehen, ohne dass sie ihr Hab und Gut mitnehmen konnten. Familien wurden zerrissen. Einige tragen den Zorn in sich und trachten nach Vergeltung.

Und es gibt die Position, die TPLF zu unterstützen. Für sie ist der Feind ihres Feindes ein Freund. Und damit verbindet sich die Hoffnung, dass die TPLF die Diktatur in Eritrea stürzen könnte.

Manche dieser Positionen spiegeln auch die Propaganda von TPLF und EPLF wider. Beide sehen sich als Befreier. Beide haben militaristische Lieder, die zu den Kriegstrommeln rufen. Beide sind stolz darauf und kehren den Patriotismus hervor.

Wie wirbt die eritreische Regierung in der Community für den Kriegseinsatz?

Die Position der Regierung war eigentlich total geschwächt, auch wenn sie viele in der Community unter Druck setzen können. Sie haben sie im Griff, weil fast alle darauf angewiesen sind, Dokumente wie Ausweise, Geburtsurkunden usw. von der Botschaft zu erhalten.

Nun rühren sie wieder die Kriegstrommeln und versuchen Hass zu säen. Mit den gleichen Argumenten wie zuvor, dem Krieg und der Vertreibung 1998. Sie weisen auch auf Ideen aus dem Tigray hin, mit denen ein Groß-Tigray phantasiert wird. Regierungsnahe Kräfte fordern, sich mit der Regierung, dem Militär zu verbünden. Sie verweisen darauf, dass die Souveränität Eritreas nach einem 30-jährigen Befreiungskrieg gewonnen wurde. Sie verweisen auf die Opfer und sagen: ‚Diese Märtyrer können doch nicht umsonst gestorben sein. Wir müssen zusammenhalten.‘

So wird jetzt in Frankfurt Geld für den Krieg gesammelt. Über Facebook gibt es die Aufforderung, dass jede Person 200 € an Mittelsmänner zahlt, um die Soldaten zu unterstützen; ‚Mach mit‘, heißt es dort, ‚Verpflichte Dich für den Krieg, leiste Deinen Beitrag. Wir müssen zusammenstehen.‘ Das Ganze ist gezeichnet vom Zentralrat der Eritreer.

Was habt ihr von Ride4Justice an Aktionen gegen den Krieg organisiert?

Wir hatten mehrere Demonstrationen organisiert. Zudem konnten wir einen Dialog zwischen Menschen aus dem Tigray und Eritrea durchführen. Wir wollen das auch noch erweitern und Gespräche zwischen Menschen aus Eritrea und Äthiopien, zwischen Aktivist*innen und Menschen initiieren, die sich für die Position der Regierung einsetzen. Wir brauchen den Dialog.

Wir haben auch immer wieder Videos, Beiträge und Diskussionen öffentlich gemacht. Wir sagen: Kein Hass!, Steht auf gegen den Krieg!, Tanzt nicht nach den Kriegstrommeln!. Dafür stehen wir als Ride4Justice.

Kannst Du uns was zu den nächsten geplanten Aktionen berichten?

Am 23. Mai 2022 jährt sich die Verabschiedung der eritreischen Verfassung zum 25. Mal. Aber sie wurde nie in Kraft gesetzt. Wir wollen dies zum Anlass nehmen, eine Fahrradtour von Dresden nach Berlin zu organisieren.

Wir wollen damit einfordern, dass Flüchtlinge aus Eritrea als politische Flüchtlinge anerkannt werden. Sie sind vor dem unbefristeten Militärdienst geflohen. Ihnen droht Verfolgung. Wir brauchen eine Sensibilisierung der deutschen Behörden für ihre Situation. Es darf keine Aufforderung mehr geben, mit den eritreischen Behörden kooperieren zu müssen.

Zum anderen wollen wir damit fordern, dass die Verfassung in Eritrea in Kraft gesetzt wird. Wir klagen die Regierung, den Diktator, an. Die Bevölkerung muss das Recht erhalten, wählen zu gehen.

Möchtest Du noch etwas ergänzen?

Ja, ich habe eine Bitte an Deutsche, die sich für Eritrea einsetzen. Es gibt Vereine in Deutschland oder der Schweiz, wie der schon erwähnte Zentralrat der Eritreer, die pro Regierung sind. In solchen Vereinen sind auch Deutsche aktiv. Für mich ist das völlig unverständlich. Wir leben hier in einem Land mit einer demokratischen Verfassung. Wie kann man von hier aus eine Diktatur unterstützen, sie weiß waschen?

Kontakt

Ubuntu Haus, Hinter der Schönen Aussicht 11, 60311 Frankfurt/Main

069 90029470, www.facebook.com/ubuntuhaus/

Interview mit Zerai Kiros Abraham, 3. Februar 2022. Die Fragen stellte Rudi Friedrich von Connection e.V. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2022.

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