Eritrea: Ereignisse im Jahr 2019
(Januar 2020) Im Januar 2020 veröffentlichte Human Rights Watch ein Update über die Menschenrechtssituation in Eritrea. Wir dokumentieren den Bericht in eigener Übersetzung in Auszügen. (d. Red.)
Zwei Jahrzehnte lang benutzte der eritreische Präsident Isayas Afewerki den fehlenden Friedensvertrag mit Äthiopien, um das autoritäre Regierungssystem zu rechtfertigen. Das Friedensabkommen der beiden Länder im Juli 2018, mit dem die diplomatische Isolation Eritreas endete, hat jedoch nicht wie erhofft eine Ära der Achtung der Menschenrechte in einer der repressivsten Nationen der Welt eingeläutet.
Die Regierung zieht Eritreer*innen weiter im Rahmen der Wehrpflicht in einen zeitlich unbefristeten und niedrig entlohnten Militär- oder Dienst im zivilen Bereich ein, ohne Rücksicht auf ihren Berufswunsch oder Arbeitsort und oft unter von Misshandlungen geprägten Bedingungen.1 Die Regierung hält weiterhin eine große Zahl von Eritreer*innen ohne Gerichtsverfahren in Gewahrsam, unter extremen Haftbedingungen und oft ohne Kontakt zur Außenwelt.2 Es gibt keine Nachweise dafür, dass die Habeas-Corpus-Regelungen3 des neuen Strafgesetzbuches tatsächlich eingeführt wurden.
Während des Berichtsjahres gab es keine Öffnung der Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft. Unabhängige Medien haben in Eritrea seit 2001 den Betrieb eingestellt.4 Die Regierung hat weder Wahlen anberaumt noch die Verfassung von 1997 in Kraft gesetzt, in der Bürgerrechte und Beschränkungen der Exekutive garantiert sind. Die Regierung verstaatlichte religiöse Schulen und schloss katholische Gesundheitseinrichtungen.5
Die Aufnahme Eritreas in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ab Januar 2019 hat nicht zu einer stärkeren Beachtung internationaler Standards geführt (...). Stattdessen verweigert Eritrea weiterhin der Sonderberichterstatterin für Eritrea wie auch allen anderen Menschenrechtsbeobachter*innen den Zugang. Trotz heftiger Ablehnung durch Eritrea wurde das Mandat der Sonderberichterstatterin im Juli 2019 erneuert.6
Eritreas Machtmissbrauch, insbesondere der unbefristete Nationaldienst, treibt weiterhin Tausende Eritreer*innen ins Exil, darunter viele Minderjährige.7 Bis Ende 2018 sind nach Angaben des UNHCR 507.300 Eritreer*innen aus dem Land geflohen, das sind mehr als 10% der Bevölkerung.
Unbefristeter Militärdienst und Zwangsarbeit
Die meisten Männer und unverheirateten Frauen werden trotz eines Erlasses der Regierung, den Dienst auf die Dauer von 18 Monaten zu beschränken, zu einem unbefristeten Dienst für die Regierung gezwungen. Nach der Grundausbildung werden einige Wehrpflichtige militärischen Dienstpflichten zugeteilt, aber nach Angaben der Regierung werden über 80% dem öffentlichen Dienst oder staatlichen Landwirtschafts- oder Bauprojekten zugewiesen.8 Einige Wehrpflichtige werden dazu gezwungen, an Projekten zum Aufbau der Infrastruktur für ausländische Bergbauunternehmen zu arbeiten.
Wehrpflichtige sind unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung, einschließlich Folter, ausgeliefert, ohne Möglichkeit eines Rechtsmittels. Obwohl die Regierung 2015 die Bruttolöhne für bestimmte Wehrpflichtige erhöht hat, sorgen Abzüge und Währungsrestriktionen dafür, dass der Sold die Lebenshaltungskosten nicht deckt und schon gar nicht zur Ernährung einer Familie reicht. Kriegsdienstverweigerung wird nicht anerkannt und wird bestraft. Die Verfahren zur Entlassung aus dem Nationaldienst folgen keinen festen Regeln und sind undurchsichtig.
Nach dem Gesetz beginnt die Wehrpflicht mit 18 Jahren, aber auch Minderjährige werden bei Razzien („giffas“) in städtischen Gebieten aufgegriffen und dann direkt in den Militärdienst geschickt.
Recht auf Ausbildung
Schüler*innen der Sekundarstufe, einige von ihnen sind 16 oder 17 Jahre alt, werden dazu gezwungen, ihr letztes Schuljahr der 12. Klasse im Militärlager in Sawa zu verbringen, wo sie eine militärische Grundausbildung absolvieren, unter militärischem Kommando stehen und ihre Abschlussprüfungen ablegen. Danach werden sie zivilen oder militärischen Diensten zugewiesen. Trotz Forderungen nach Reformen hat die Regierung im August 2019 den letzten Schuljahrgang erneut zum Nationaldienst einberufen.
In Sawa werden Schüler*innen von Militärangehörigen unmenschlich und erniedrigend behandelt. Mädchen und Frauen sind dem Risiko sexueller Belästigung und Ausbeutung ausgesetzt. An den Wochenenden werden die Schüler*innen auf einer nahe gelegenen Farm der Regierung zur Zwangsarbeit eingesetzt.
Obwohl sich die Regierung zur Reform des Bildungssektors verpflichtet hat, ist sie darauf angewiesen, Nationaldienstleistende als Lehrkräfte in den Schulen im ganzen Land einzusetzen. Wehrpflichtige haben kein Mitspracherecht bei der Zuweisung und das Ende der Dienstzeit ist nicht absehbar. Fehlzeiten sind weit verbreitet, worunter das Bildungssystem leidet.
Religionsfreiheit
Die Regierung erkennt nach wie vor nur vier Religionsgemeinschaften an: Sunnitischer Islam, Eritreisch-Orthodoxe, Römisch-Katholische und Protestantische (Lutherische) Kirchen.9
Wer nicht anerkannten religiösen Gemeinschaften angehört, riskiert Hausdurchsuchungen, Haft und Folter. Eine Freilassung setzt voraus, sich von der Religionsgemeinschaft schriftlich loszusagen. 2019, wie auch in früheren Jahren, gab es Berichte über Hausdurchsuchungen in Keren und Asmara.10
Seit 1991 werden insbesondere Zeugen Jehovahs schikaniert, nachdem sie sich damals weigerten, am Referendum für die Unabhängigkeit teilzunehmen. Nach Berichten sind 52 von ihnen bereits über längere Zeit im Gefängnis Mai Serwa inhaftiert, darunter auch drei, die sich seit 1994 wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung in Haft befinden.11 (…)
Rechtswidrige Inhaftierungen
Eritreer*innen können für längere Zeit festgenommen und inhaftiert werden, ohne Gerichtsverhandlung oder Möglichkeit der Berufung. Häftlinge werden häufig in überfüllten Zellen oder Frachtcontainern untergebracht. Misshandlungen, einschließlich Folter, sind weit verbreitet.
(...) Das Justizsystem, personell zum Teil durch von der Armee kontrollierte Nationaldienstleistende besetzt, ist nicht unabhängig. Es gibt keine Pflichtanwält*innen.12
Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Seit 2001 wird in Eritrea keine unabhängige Presse mehr geduldet. Das Komitee zum Schutz von Journalist*innen stellte fest, dass Eritrea das am stärksten der Zensur unterworfene Land der Welt ist.13 Es ist auch das Land mit der höchsten Zahl inhaftierter Journalist*innen in Afrika südlich der Sahara. Internetcafés werden überwacht.14 Im Mai berichteten Medien, dass die Regierung das Internet kurzzeitig abgeschaltet hatte.15
Oppositionsparteien sind nicht erlaubt. Auch Gewerkschaften sind verboten, mit Ausnahme derjenigen, die von der Regierung kontrolliert werden.16 Auch Versammlungen von mehr als drei Personen sind untersagt. Es gibt keine unabhängigen nichtstaatlichen Organisationen.17 Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind verboten.18
Es ist verboten, das Land ohne Genehmigung zu verlassen. Personen, die zu fliehen versuchen, laufen Gefahr, erschossen, getötet oder verhaftet zu werden. Für einen gewissenZeitraum nach Öffnung der Grenze zu Äthiopien im Jahr 2018 hat die Regierung Ausreisen nicht eingeschränkt. Ende 2018 und erneut im April 2019 hat die Regierung jedoch einseitig verschiedene Grenzübergänge geschlossen und die Notwendigkeit der Ausreisegenehmigung wieder in Kraft gesetzt.19
Nach der Öffnung der eritreisch-äthiopischen Grenze hatte die Zahl der flüchtenden Eritreer*innen, insbesondere unbegleiteter Minderjähriger und Frauen, zugenommen. Anfang 2019 sollen täglich Hunderte geflohen sein.20 Unter den Flüchtlingen befanden sich auch fünf Mitglieder der Jugendfußballmannschaft Eritreas, die an einem regionalen Turnier in Uganda teilnahmen.
Wichtige internationale Akteure
Trotz der Annäherung zwischen Eritrea und Äthiopien im Jahr 2018 wurde die umstrittene Grenze bislang nicht demarkiert.21 Äthiopien hat sich auch nicht aus Badme zurückgezogen, dem Ort, der den Krieg 1998 auslöste.
Spannungen mit Dschibuti bleiben ungelöst, da Dschibuti behauptet, Eritrea habe Kriegsgefangene, die in einem Grenzstreit von 2008 gefangen genommen wurden, wofür es bislang keine Bestätigung gibt. Dschibuti beantragte 2019 ein bindendes internationales Schiedsverfahren.22 Der Antrag ist noch anhängig.
Der Internationale Währungsfonds gab an, dass die makroökonomischen Bedingungen in Eritrea weiterhin „entsetzlich“ seien.23 In einer Umfrage von 2019 wurde Eritrea als eines von drei Ländern genannt, die der humanitären Hilfe durch internationale Organisationen „extreme Beschränkungen“ auferlegen.
(…) Die Europäische Union leitete ein, wie sie es selbst nannte, zweigleisiges Vorgehen in Bezug auf Eritrea ein. Der Bereich der Entwicklung konzentriert sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. Der politische Bereich soll den Berichten zufolge Menschenrechtsfragen ansprechen. Im Februar stellte die EU – im Rahmen ihres Treuhandfonds für Afrika zur Eindämmung der Migration – 20 Mio. € für die Beschaffung von Ausrüstung für ein Straßenbauprojekt zur Verfügung, wobei die Arbeit Nationaldienstleistender, d.h. Zwangsarbeit, akzeptiert wurde. Im April forderte eine niederländische nichtstaatliche Organisation die EU auf, das Projekt einzustellen, ansonsten würde die Organisation Klage einreichen.24
Fußnoten
1 Human Rights Watch: „They Are Making Us into Slaves, Not Educating Us“ – How Indefinite Conscription Restricts Young People‘s Rights, Access to Education in Eritrea. 8. August 2019. www.hrw.org/report/2019/08/08/they-are-making-us-slaves-not-educating-us/how-indefinite-conscription-restricts
2 Laetitia Bader, Human Rights Watch: Eritrea Should End 18 Years of Darkness. 18. September 2019. www.hrw.org/news/2019/09/18/eritrea-should-end-18-years-darkness
3 Habeas Corpus bezeichnet im Recht der Vereinigten Staaten ein Instrument, um die Freilassung einer Person aus rechtswidriger Haft zu erreichen (d. Red.)
4 Committee to Protect Journalists: 10 Most Censored Countries. 10. September 2019. https://cpj.org/reports/2019/09/10-most-censored-eritrea-north-korea-turkmenistan-journalist.php
5 The Catholic World Report: Eritrean bishops say seizure of Catholic schools is ‚hatred against the faith‘. 17. September 2019. https://www.catholicworldreport.com/2019/09/17/eritrean-bishops-say-seizure-of-catholic-schools-is-hatred-against-the-faith/; BBC: Eritrea‘s seizure of Roman Catholic Church properties criticised. 17. Juni 2019. www.bbc.com/news/world-africa-48660723
6 Laetitia Bader, Human Rights Watch: UN Rights Body Maintains Scrutiny of Eritrea‘s Dire Rights Record. 12. Juli 2019. www.hrw.org/news/2019/07/12/un-rights-body-maintains-scrutiny-eritreas-dire-rights-record
7 UNHCR: Mediterranean crossings deadlier than ever, new UNHCR report shows. 3. September 2018. www.unhcr.org/5b8935964
8 Nizar Manek: Eritrea May Alter Army Draft That Forced Thousands to Europe. Bloomberg, 3. September 2018. www.bloomberg.com/news/articles/2018-09-02/eritrea-may-change-army-draft-that-spurred-thousands-to-europe
9 Siehe Human Rights Watch: Service for Life. 16. April 2009. www.hrw.org/report/2009/04/16/service-life/state-repression-and-indefinite-conscription-eritrea#3976a3
10 Christian News: Eritrea – Christian clampdown continues with church raid and arrests. 25. Juni 2019. https://premierchristian.news/en/news/article/eritrea-christian-clampdown-continues-with-church-raid-and-arrests
11 Jehovah‘s Witnesses: Eritrea – Imprisoned for Their Faith. 17. Dezember 2019. www.jw.org/en/news/legal/by-region/eritrea/jehovahs-witnesses-in-prison/
12 United Nations General Assembly, Human Rights Council: Situation of human rights in Eritrea. A/HRC/41/53. 16. Mai 2019; U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices for 2015 – Eritrea. https://2009-2017.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252679
13 Committee to Protect Journalists, 10. September 2019
14 U.S. Department of State 2015
15 BBC: Africa Live this week – 13-17 Mai 2019 as it happened. www.bbc.com/news/live/world-africa-48250727/page/4
16 U.S. Department of State 2015
17 Human Rights Watch: Service for Life. 16. April 2009
18 Penal Code of the State of Eritrea. 2015. https://www.ilo.org/dyn/natlex/docs/ELECTRONIC/101051/121587/F567697075/ERI101051%20Eng.pdf
19 Africa News: Eritrea shuts all borders with Ethiopia – unilaterally. 23. April 2019. www.africanews.com/2019/04/23/eritrea-shuts-all-borders-with-ethiopia-unilaterally/
20 United Nations General Assembly, Human Rights Council, A/HRC/41/53. 16. Mai 2019
21 African Arguments: Eritrea and Ethiopia – A year of peace, a year of dashed hopes. 8. Juli 2019. https://africanarguments.org/2019/07/08/eritrea-and-ethiopia-a-year-of-peace-a-year-of-dashed-hopes/
22 United Nations General Assembly, Human Rights Council, A/HRC/41/53. 16. Mai 2019
23 International Monetary Fund: International Monetary Fund Executive Board Concludes 2019. 24. Juli 2019. https://imf-fmi.africa-newsroom.com/press/international-monetary-fund-imf-executive-board-concludes-2019-article-iv-consultation-with-the-state-of-eritrea?lang=en
24 The Guardian: Europe accused of financing Eritrean project based on ‚forced labour‘. 2. April 2019. www.theguardian.com/global-development/2019/apr/02/europe-accused-financing-eritrea-project-based-on-forced-labour; Brief von Rechtsanwalt Kennedy Van der Laan im Auftrag der Foundation Human Rights for Eritreans. 1. April 2019. http://www.pressclub.be/wp-content/uploads/2019/04/Letter-of-Summons-EU-Emergency-Trust-Fund-for-Africa-1.pdf
Human Rights Watch: Eritrea – Events of 2019. World Report 2020, Januar 2020. Das Originaldokument ist erhältlich über www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/eritrea#db2117. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und PRO ASYL (Hrsg.): Broschüre Eritrea im Fokus: Das Willkürregime wird verharmlost, der Flüchtlingsschutz ausgehebelt, März 2020
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