„Ich bin der einzige Kriegsdienstverweigerer in Zypern, dessen Asylantrag akzeptiert wurde“
Halil Savda, Kriegsdienstverweigerer und politischer Aktivist aus der Türkei, hat in Zypern politisches Asyl erhalten. Gernot Lennert von der DFG-VK Hessen hat ihn im Oktober in Zypern getroffen. Das Interview wurde im November 2017 per E-Mail geführt.
Du bist vom türkischen Staat seit 1993 aus politischen Gründen verfolgt worden. Du wurdest gefoltert und warst mehrfach im Gefängnis. Wie lange warst Du inhaftiert?
Das kurdische Volk und Menschen aus Kurdistan werden unterdrückt, und ihre Grundrechte werden vom türkischen Staat verletzt. Diese Unterdrückung ist nicht neu. Sie existiert seit 1923, der Gründung der Türkischen Republik. Ich wurde physisch und psychisch gefoltert und vom türkischen Staat insgesamt 10 Jahre lang inhaftiert, weil ich für die fundamentalen Rechte des kurdischen Volks und der Menschen aus Kurdistan eingetreten bin und für sie gekämpft habe.
Wie ist gegenwärtig Deine rechtliche Lage in der Türkei?
Erstmals festgenommen wurde ich 1993 in meinem Dorf im Bezirk Cizre. Damals war ich gerade 18 Jahre alt und musste verschiedene Foltermethoden von der Bastonade bis zum Elektroschock erfahren. Damals blieb ich für drei Jahre im Gefängnis. 1997 wurde ich aus dem gleichem Grund gefangen genommen. Als ich 2004 aus dem Gefängnis kam, wurde ich in Handschellen in eine Kaserne gebracht, um Militärdienst zu leisten.
Ich war gegen Krieg und Militarismus, und deshalb konnte ich keinen Militärdienst leisten. Ich verweigerte. Ich erklärte meine Kriegsdienstverweigerung erstmals in der Kaserne. Ich kam für einen Monat in ein Militärgefängnis. Dann wurde ich freigelassen.
Bis 2007 wurde ich viermal festgenommen und in ein Militärgefängnis gebracht. In dieser Zeit bin ich wegen meiner Kriegsdienstverweigerung insgesamt 17 Monate inhaftiert gewesen.
2006 sprach ich mich in Istanbul in einer Pressemitteilung dafür aus, die Unterdrückung israelischer Kriegsdienstverweigerer zu beenden. Es war eine friedliche Erklärung und ich forderte nur von der israelischen Regierung, die Repression gegen die Verweigerer zu stoppen. Die türkische Staatsanwaltschaft strengte schließlich einen Prozess gegen mich an. Wegen „Entfremdung des Volks vom Militärdienst“ wurde ich zu fünf Monaten Haft verurteilt; 2012 war ich deswegen 50 Tage im Gefängnis.
Die türkische Regierung erklärte mich 2008 für untauglich. Damit zielten sie darauf ab, meine Haltung zur Kriegsdienstverweigerung als kriminelle Handlung darzustellen. Viele Jahre lang hatte ich überall erklärt, dass der Zwang, Militärdienst zu leisten, eine Reihe grundlegender Menschenrechte verletzt. Heute leiden mehr als 400.000 Menschen (in der Türkei, gl) nur, weil sie nicht zum Militär gehen wollen. Und es gibt mehr als 1.000, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten wollen. Diese ungerechte Behandlung muss so schnell wie möglich beendet werden. Deshalb muss der Zwang zum Militärdienst beseitigt werden.
Mein Kampf, die Kriegsdienstverweigerung sichtbar zu machen, geht weiter.
Im August 2017 bist Du in die Republik Zypern gekommen, um politisches Asyl zu beantragen. Du hast viele Jahre der politischen Verfolgung in der Türkei widerstanden. Warum hast Du die Türkei 2017 verlassen und nicht früher?
Ja, ich bin am 17. August 2017 nach Süd-Zypern geflohen. Es gibt 2017 viele Gründe, die Türkei für immer zu verlassen.
Der türkische Staat beschießt seit September 2015 kurdische Städte mit Panzern und Artillerie. Er hat Massaker in Städten wie Yüksekova, Diyarbakır und Nusaybin verübt. An oberster Stelle der Städte, die diese Massaker erleben mussten, steht meine Heimatstadt Cizre. Während dieser Zeit wurden fast 400 Frauen und Männer vom türkischen Staat massakriert. Die meisten waren Zivilpersonen, unter ihnen Politiker*innen und im Gesundheitswesen Tätige. 100 von diesen Menschen wurden lebendig verbrannt. Es war extrem grausam. Einige der Menschen, die vom Staat verbrannt wurden, kannte ich persönlich. Cizre erlitt massive Zerstörungen. Was in Cizre geschah, ist ein Beispiel für Staatsterror. Die Staatsanwaltschaft Cizre klagte mich am 30. Mai 2017 an, weil ich gegenüber Medien über das vom türkischen Staat im März 2016 begangene Massaker gesprochen hatte. Angesichts dieser Anklage konnte ich entweder in der Türkei bleiben und ins Gefängnis kommen oder nach Zypern flüchten. Ich wählte das Letztgenannte.
Ich war bereits in Zypern, als die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen mich erließ. Aber ich war im türkischen Teil. Die türkische Seite von Zypern befindet sich seit 1974 unter der Besatzung der Türkischen Republik. Wenn ich dort geblieben wäre, wäre ich zurück in die Türkei ausgeliefert worden. Deshalb kam ich in den südlichen Teil.
Warum hast Du Zypern gewählt?
Ich bin mit der mediterranen Kultur vertraut und ich mag Zypern als Insel sehr.
Meine Schwester studierte auf der türkischen Seite, und ich kam zu ihrer Universitäts-Abschlusszeremonie am 29. Mai 2017. Am Morgen des 30. Mai führte die Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen eine Hausdurchsuchung in meinem Haus im Dorf Kocapınar im Bezirk Cizre durch. Ihr Ziel war es, mich wieder ins Gefängnis zu bringen. Wenn ich zu dieser Zeit in der Türkei gewesen wäre, hätte ich keine Chance zu flüchten gehabt.
Aber ich war nicht in der Türkei und wusste, dass ich bei einer Rückkehr ins Gefängnis gebracht würde. Hinzu kommt, dass das türkische Justizsystem so schlecht geworden ist, wie es nie zuvor war. Die AKP-Regierung und ihr Führer Recep Tayyip Erdoğan beabsichtigen, öffentlich bekannte Frauen und Männer zu verhaften, um Angst unter den Menschen zu verbreiten. Meine erneute Inhaftierung hätte diesem Zweck gedient.
Bist Du der einzige Verweigerer aus der Türkei, der Asyl in Zypern beantragt hat?
Ich bin der einzige Kriegsdienstverweigerer in Zypern, dessen Antrag auf politisches Asyl akzeptiert wurde. Aber ich habe Asyl nicht aufgrund der Verweigerung beantragt. Es gibt andere, die aus politischen Gründen Asyl erhalten haben.
Hast Du den Eindruck, dass der Zypern-Konflikt die Chancen für Asylgewährung beeinflusst?
Ich glaube, er hat sich ausgewirkt, ebenso wie die EU-Mitgliedschaft Zyperns.
Wie lebst Du in Zypern? Wirst Du unterstützt?
Bis jetzt bin ich noch nie von jemandem ökonomisch unterstützt worden. Ich hatte auch nie einen kostspieligen Lebensstil. Ich lebe von dem, was genügt, um Körper und Geist zusammenzuhalten, wie ein Derwisch. Ich kam mit einem kleinen Geldbetrag nach Zypern, von dem ich jetzt lebe.
Hast Du Kontakte zu Kriegsgegner*innen in Zypern?
Ich arbeite mit einigen Kriegsdienstverweigerern zusammen. Auch stehe ich in Kontakt mit einigen sozialistischen und demokratischen Personen. In Limassol gibt es eine kurdische Vereinigung. Ich bin solidarisch mit diesen Gruppierungen.
Wie stehst Du zum Krieg zwischen der Türkei und kurdischen Kräften in der Türkei und Syrien?
Ich bin gegen Krieg. Ich bin dagegen, egal wer den Krieg anfängt oder vorbereitet. Meine einzige Haltung zum Krieg ist, ihn zu verweigern, und alles zu tun, was ich kann, um ihn zu beenden.
Krieg und Terrorismus wurden 2010 von außen nach Syrien gebracht. Die anti-demokratische, hegemoniale und autoritäre Struktur der Regierung von Assad hat diese Intervention erleichtert.
Würden Regionalmächte wie die Türkei und die Großmächte ihre Hände von der Region lassen, würde der bewaffnete Konflikt in Syrien von sich aus sofort aufhören. Das syrische Volk und seine politischen Parteien sind selbst dazu fähig, ihre Probleme zu lösen. Die türkische Regierung schürt jedoch Krise und Krieg. Die Türkei bereitet sich in diesen Tagen darauf vor, nach der Einnahme von Cerablus und El Bab von Idlib aus Efrin (=der westliche Kanton des kurdisch kontrollierten Gebiets in Nord-Syrien, gl) zu besetzen. Das ist nicht akzeptabel. Alle sollten sich dem entgegenstellen. Die kurdische Bevölkerung in Syrien ist Teil Syriens. Die Kurd*innen haben regional die Macht, und es ist ihr Recht, ihre politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte einzufordern. Die Türkei sollte dies respektieren und ihre Besatzungspolitik aufgeben.
Welche Gründe waren ausschlaggebend für die Asylgewährung? Politische Betätigung? Kurdischer Hintergrund? Kriegsdienstverweigerung?
Ich weiß nicht genau, was der Hauptgrund war. Vielleicht keiner davon. Ich bin 25 Jahre lang kontinuierlich in einem Teufelskreis von Arrest, Gerichtsverfahren und Gefängnis der Unterdrückung ausgesetzt gewesen – als kurdisches Individuum, als Autor, als Kriegsdienstverweigerer und als Friedensaktivist.
Ich habe nie die Erfahrung gemacht, gleichberechtigt und gerecht behandelt zu werden. Ich habe nie ein Leben in Sicherheit geführt. Vor diesem Hintergrund hätte eine Auslieferung viele meiner Rechte verletzt. Ich bin außerdem in der türkischen und partiell in der europäischen Öffentlichkeit bekannt. Ich nehme an, dass all diese Fakten die Entscheidung Zyperns beeinflusst haben, mir Asyl zu gewähren.
Was hast Du nun vor?
Ich muss die Sprache lernen, zumindest so, dass ich meinen Alltag bewältigen kann. Danach will ich meine literarischen Projekte fortführen, für die mir bisher die Zeit fehlte und die zu finanzieren sind.
Die obersten Prioritäten in unserer Welt sind Entmilitarisierung und Abrüstung. Dafür will ich mich einsetzen. Mein Kampf für eine gerechte und freie Welt und mein Kampf für Frieden und Demokratie werden weitergehen.
Halil Savda: „Ich bin der einzige Kriegsdienstverweigerer in Zypern, dessen Asylantrag akzeptiert wurde“. 15. November 2017. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2018.
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