Israel: Vom LKW-Fahrer beim Militär zum Kriegsdienstverweigerer
Roman Levin für 30 Tage in Haft
(10.03.2019) Die israelische Armee hat Roman Levin ins Gefängnis Nr. 6 überstellt, nachdem er anderthalb Jahre nach Dienstbeginn seine Vorgesetzten darüber informiert hat, dass er die Ableistung jedes weiteren Dienstes verweigern werde.
“Ich war LKW-Fahrer und viele meiner Fahrten gingen durch die besetzten Gebiete. Als ich einberufen wurde, dachte ich, dass das Militär den Interessen der Bürger Israels dient. Aber nachdem ich in den besetzten Gebieten Dienst leistete, realisierte ich, dass das, was die Armee dort macht, nicht meinen Interessen und auch nicht den Interessen der arbeitenden Israelis dient, vor allem nicht angesichts der immer wiederkehrenden Tötungen von Protestierenden am Gaza-Zaun. Ich bin daher zu dem Schluss gekommen, dass man sich entscheiden muss. Wer Besatzung, Rassismus und kapitalistische Ordnung verweigern will, kann nicht zugleich in einem Militär Dienst leisten, das all dies fortführt.“
Am Morgen des 25. Februars begleiteten Aktivist*innen, mobilisiert von Mesarvot und Yesh Gvul, Roman Levin zum Eingang des Transportlagers Ben Ami (Bayt Nabala) und hielten dort eine Mahnwache ab. In der Kaserne gab Levin gegenüber den Vorgesetzten seine Erklärung ab. Es folgte eine sofortige Verhandlung von 5 Minuten, in der er zu 30 Tagen Haft im Militärgefängnis Nr. 6 verurteilt wurde. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass er nach Verbüßung der Haftstrafe erneut verurteilt und ins Gefängnis geschickt wird.
In solchen sogenannten Verfahren gibt es nichts, was an einen normalen Prozess erinnert. Der oder die Angeklagte darf keinen Rechtsanwalt haben und kann keine Zeug*innen berufen. Das Verfahren wird im Büro des Befehlshabers unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Zugang für die Öffentlichkeit und Medien abgehalten. Wie erwähnt dauert es selten länger als 5 Minuten. Es gibt keine gesetzliche Beschränkung, wie oft die Armee dieses Verfahren wiederholen kann. Wiederholte 30-tägige Haftstrafen können sich so zu jahrelangen Gefängnisstrafen summieren, ohne dass es zu einem echten Strafverfahren gekommen ist. Diesem kann nur durch Solidarität und öffentliche Aufmerksamkeit für die Kriegsdienstverweiger*innen eine Grenze gesetzt werden. Die Praxis zeigt, dass bei öffentlicher Aufmerksamkeit und Unterstützung in Israel und im Ausland die Militärbehörden ihn oder sie schließlich entlassen, auch wenn dies erst nach mehrmaliger Wiederholung des sogenannten Verfahrens erfolgt.
Die Landschaft rund um das Militärgefängnis Nr. 6 in Atlit – an der Küste zwischen Tel Aviv und Haifa gelegen – bietet Unterstützer*innen einen wichtigen Vorteil. Ganz in der Nähe des Gefängnisses liegt ein Berg, nicht sehr hoch, aber hoch genug, dass Menschen auf der Spitze des Berges stehen und dort Transparente aufspannen können, den Gefangenen zuwinken, ihnen zurufen und für sie singen können. Sie sind vom Gefängnishof aus klar zu sehen und zu hören. So sehen die Gefangenen, die anderen Insassen und das Wachpersonal, dass dieser Gefangene nicht alleine ist, sondern außerhalb des Gefängnisses ein aktives Unterstützungsnetzwerk hat. Das hat direkte Auswirkungen auf die Entscheidungen der Militärbehörden, wie lange sie jemanden in Haft behalten wollen.
Die Tradition von Unterstützungsaktionen auf dem Berg gegenüber dem Militärgefängnis Nr. 6 wurde 1982 begründet, als sich zahlreich Reservisten weigerten, sich am israelischen Einmarsch in den Libanon zu beteiligen. Die Tradition wurde für viele Verweigerer fortgeführt, als sie sich z.B. der Beteiligung an der Niederschlagung der ersten Intifada 1988 oder der Zweiten Intifada 2000 verweigerten. Nun fand die Aktion für Roman Levin statt. Dutzende von Aktivist*innen stiegen am Morgen des 9. März auf den Berg, riefen laut „Roman, Roman, wir sind mit Dir!“ und winkten mit einem riesigen Transparent, auf dem stand: „Verweigerer sind die wahren Helden“. Wahrscheinlich muss das noch öfter wiederholt werden, bis Roman frei ist.
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Als Roman Levin drei Jahre alt war, entschied sich seine Familie, von der Ukraine nach Israel umzusiedeln. Sie ging nach Bat Yam, einem Mittelklasse-Vorort von Tel Aviv. Vor anderthalb Jahren wurde Roman 18 Jahre alt und in die Armee einberufen. Zu der Zeit war er hoch motiviert und glaubte daran, dass er mit der Ableistung des Militärdienstes einen Beitrag für die israelische Gesellschaft leisten und seine Pflicht erfüllen kann. Seine Erfahrungen während des Dienstes in der Armee veränderten jedoch grundlegend seine Überzeugung. Das brachte ihn dazu, seine Verweigerung jeder weiteren Dienstableistung zu erklären, auch wenn er wusste, dass er dann ganz sicher ins Gefängnis gehen muss.
In seiner Verweigerungserklärung, die er vor der Inhaftierung schrieb, führt Roman Levin aus:
“Derzeit findet in der Ukraine ein Bürgerkrieg statt. Als ich vor einigen Jahren dort war, traf ich Soldaten, die nicht wussten, wofür sie kämpfen und für was sie sterben. Ich fühlte mit ihnen, weil auch ich kein Vertrauen in die israelische Militärpolitik habe – deren Schwerpunkt in der Aufrechterhaltung der Besatzung liegt. Diese Erfahrung brachte mich dazu, die Bedeutung meines eigenen Militärdienstes zu überdenken. In der Ukraine begegnete ich Menschen, die mich als Juden verachteten, während ich in Israel als „Russe“ verachtet wurde.
Ich habe im Militär als LKW-Fahrer gedient. Viele meiner Fahrten gingen durch die besetzten Gebiete. Als ich einberufen wurde, dachte ich, dass das Militär den Interessen der Bürger Israels dient. Aber nachdem ich in den besetzten Gebieten Dienst leistete, realisierte ich, dass das, was die Armee dort macht, nicht meinen Interessen und auch nicht den Interessen der arbeitenden Israelis dient, vor allem nicht angesichts der immer wiederkehrenden Tötungen von Protestierenden am Gaza-Zaun.
Das Nationalstaatsgesetz (das Israel als den Nationalstaat des jüdischen Volkes definiert - d.Ü.) bestärkte mein Verständnis davon. Ich bin daher zu dem Schluss gekommen, dass man sich entscheiden muss. Wer Besatzung, Rassismus und die kapitalistische Ordnung verweigern will, kann nicht zugleich in einem Militär Dienst leisten, das all dies fortführt.
Aus wirtschaftlicher Sicht wäre es für mich und meine Familie besser gewesen, wenn ich meinen Dienst beendet hätte und den teuren LKW-Führerschein auf Kosten der Armee behalten könnte. Damit könnte ich im späteren zivilen Leben einen anständigen Lebensunterhalt bestreiten. Aber den meisten Palästinenser*innen – insbesondere den im Gazastreifen lebenden – stehen solche sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht offen. Während sich die Schlinge um den Hals des palästinensischen Volkes zieht, wächst auch in Israel die Schere zwischen Arm und Reich. Die Armut, die für die Arbeitenden in Israel jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft zerstört, wird von der Regierung mit dem Krieg begründet. Der Staat gibt jedes Jahr 70 Mrd. Schekel (17,2 Mrd. €) für Verteidigung aus, statt dieses Geld in Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt zu investieren.”
Roman Levin wird unterstützt von Mesarvot, einem Netzwerk, das politisch motivierte Verweiger*innen unterstützt und die Aktivitäten von Gruppen von Verweiger*innen koordiniert. In den letzten Jahren hat sich Mesarvot auch um die Veröffentlichung von gemeinsamen Verweigerungserklärungen gekümmert. Das Netzwerk unterstützt Kriegsdienstverweiger*innen, die sich der Einberufung in eine Besatzungsarmee verweigern und befasst sich mit den geschlechtsspezifischen Folgen der Wehrpflicht für die israelische Gesellschaft. In der Armee gibt es geschlechtsspezifische Diskriminierung und sexuelle Belästigungen, die Einfluss und Auswirkungen haben auf die gesamte israelische Gesellschaft.
Die israelische Armee hat auch ein Programm, um Soldat*innen mehr Möglichkeiten im bewaffneten Dienst zu eröffnen, womit Frauen direkt an der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung beteiligt werden, auch an der Unterdrückung von palästinensischen Frauen. Das ist ein Grund, warum eine zunehmende Zahl von jungen Verweigerinnen diese Form der „Stärkung von Frauen“ ablehnen. Das Netzwerk kooperiert mit der älteren Verweigererbewegung Yesh Gvul, die zurückgeht auf den ersten Libanonkrieg im Jahr 1982.
Dror Mizrahi: From military truck driver to conscientious objector. 10. März 2019. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2019.
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