Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2020

Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2020

Kanada: Jahrzehnte nach II. Weltkrieg spricht Kriegsdienstverweigerer über seine Geschichte

von Walther Bernal

(10.11.2019) Gordon Toombs wollte während des II. Weltkrieges seine Kriegsdienstverweigerung erklären. Stattdessen, so sagt er, wurde er mit einem Trick dazu gebracht, sich zu verpflichten. Jetzt erzählt er zum ersten Mal seine Geschichte. Gordon Toombs hat über Jahre gewartet, um genau zu sein 64 Jahre lang, um seine Kriegsgeschichte zu erzählen. Nun berichtet der 99-jährige über seine Erfahrungen in seinem ersten Buch, das Anfang des Jahres erschien.

Als 1941 die Wehrpflicht eingeführt wurde, beschlossen Toombs und sieben seiner Freunde, als Kriegsdienstverweigerer Stellung zu beziehen. „Wir waren fest entschlossen, dass in einer Kriegssituation das Gegenteil demonstriert werden muss“, sagte er Nadia Kidwai, Moderatorin der CBC Weekend Morning Show. „Damit dem Spruch ‚Töte Deine Feinde‘ das Wort ‚Liebe Deine Feinde‘ gegenüber gestellt werden kann. Und so muss der einzige Weg sein, dass einige Leute aufstehen, das Risiko auf sich nehmen und diesen Standpunkt einnehmen.“

Toombs schilderte weiter, was geschah, als er vor einer Kommission erschien, um zu erklären, dass er das Tragen von Waffen verweigert. Ihm wurde gesagt, dass seinem Wunsch entsprochen werde. Er habe nur ein Papier zu unterzeichnen, das ihm vorgelegt wurde. So wurde er ausgetrickst, er hatte sich mit seiner Unterschrift tatsächlich für vier Jahre verpflichtet.

Sein Buch – genannt L74298: Erinnerungen eines Kriegsdienstverweigerers des II. Weltkrieges und benannt nach der Nummer, die ihm das Militär zugeteilt hatte, schildert detailliert seine Erfahrungen im Krieg und welche Konflikte er auch heute noch fühlt, wenn er an die Zeit seines Dienstes zurückdenkt.

Toombs sagte, er und die anderen Verweigerer seien alle über die Bedeutung ihres Beschwerderechts unterrichtet worden. „Die Idee war, wenn etwas nicht richtig läuft, dann beschweren sie sich bei der obersten zuständigen Person“, sagte er. „Nach zwei Monaten beim Militär in Ottawa, beschwerte ich mich also über die dortigen Lebensbedingungen.“ Mumps, Masern und Läuse fanden ihren Weg durch die engen Quartiere, wo sie lebten. Aber als er sich darüber beschwerte, wurde er disziplinarisch belangt. „Ich wurde sofort als Kommunist abgestempelt, was bedeutete, dass ich auf keinen Fall ein Kriegsdienstverweigerer sein konnte“, sagte er. „Ich wurde dafür bestraft, dass ich ein sehr gefährlicher Mann sei, weil ich mich an der Spitze der Armee beschwert hatte und gedroht hatte, mich an das Verteidigungsministerium zu wenden.“

„Ich bin stolz, dass ich es versucht habe“

Toombs sagte, dass er ab diesem Zeitpunkt wusste, dass er irgendwie raus kommen musste. Er entschied, dass er versuchen wollte, es in die Luftwaffe zu schaffen. „Ich habe mich entschieden, mich selbst zu versetzen – natürlich illegal – indem ich mir zivile Kleider anzog und ihnen erzählte, dass ich in Toronto gelebt habe. Niemand fragte wirklich nach“, sagte er. „Ich musste wohl ein bisschen lügen, wie lange ich schon da war. Und siehe da, die Luftwaffe hat mich sofort genommen.“

Toombs fährt fort, dass er drei Wochen Ausbildung bei der Luftwaffe gehabt habe, bevor die Armee feststellte, dass er unerlaubt abwesend war. Sie schickten einen Befehl, ihn als Deserteur zu verhaften. Er berichtete seinem Vorgesetzten über die Situation und stand vor der Wahl: Entweder zurückzukehren, um von der Armee bestraft zu werden oder als Freiwilliger für die Luftwaffe Dienst zu leisten, deren Personal knapp war.

Angesichts der begrenzten Auswahl entschied sich Toombs, der Luftwaffe beizutreten. Aber für jemanden, der so gegen das Tragen von Waffen ist, war es eine schreckliche Erfahrung Bomben auf Menschen werfen zu müssen. „Es war schrecklich daran zu denken, wo ich gelandet war. Ich hatte damit angefangen, zu versuchen, ein Kriegsdienstverweigerer zu sein und ich endete an einem Ort, wo die schrecklichsten Waffen des Krieges in dieser Zeit verwandt wurden“, sagte er. „Aber ich konnte nichts machen. Ich sprach mit meinem Piloten, aber er verstand mich nicht.“

Jahrzehnte später sagte Toombs, dass er am Remembrance Day immer gemischte Gefühle haben – das ist ein Teil dessen, warum er so lange brauchte, um das zu erzählen, was vor vielen Jahren geschah. „Ich habe mich selbst betrogen“, sagte er. „Und damit lebte ich 64 Jahre lang.“ Aber indem er seine Geschichte in einem Buch mitteilte, war er in der Lage, sich mit seiner Erfahrung auseinanderzusetzen. „Ich konnte es erzählen, es war meine Geschichte“, sagte er. „Ich konnte stolz darauf sein, dass ich es versucht hatte.“

Walther Bernal, CBC News Kanada: Decades after WW II, 99-year-old conscientious objector shares story in new book. 10. November 2019. Übersetzung: rf. Quelle: www.cbc.ca/news/canada/manitoba/second-world-war-veteran-conscientious-objector-gordon-toombs-1.5354961. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2020.

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