Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2019

Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2019

Kolumbien: Erklärung von Kriegsdienstverweiger*innen

von War Resisters International

Zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung 2019 erklären wir uns solidarisch mit allen Kriegsdienstverweigerern in Kolumbien, die sich trotz verschiedener Schwierigkeiten der Einberufung und dem Waffeneinsatz verweigern.

Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung der Kriegsdienstverweigerer und –verweigerinnen aus Kolumbien, die einiges zum Hintergrund ihres Kampfes ausführt und die Regierung auffordert, bei einer Reihe von Themen aktiv zu werden. Mehr Informationen finden sich in einem kürzlich veröffentlichten Bericht von ACOOC und Justapaz.1

Die seit 20 Jahren bestehende Bewegung zur Kriegsdienstverweigerung und Antimilitarismus hat wichtige Veränderungen erreicht, die sich in der Rechtsprechung zur Verfassung widerspiegeln2, wie auch in verschiedenen Debatten des kolumbianischen Parlaments und von diesem beschlossenen Gesetzen3. Obwohl bislang noch keine idealen Bedingungen für die Respektierung und Garantie des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung bestehen, ist das Recht für junge Männer im Land zu einer Realität geworden.

Darüber hinaus wurde nach vier Jahren Verhandlungen und Friedensgesprächen zwischen der ehemaligen Regierung und der FARC-Guerrilla endlich eine Einigung erreicht, die die Rückkehr eines großen Teils dieser Aufständischen ermöglicht. Trotz der vielen Lücken im Prozess weckte das Abkommen viele Erwartungen und Hoffnungen, den seit fast 60 Jahren in Kolumbien andauernden bewaffneten Konflikt zu überwinden. Aber die gegenwärtig sich an der Macht befindliche Regierung hatte sich schon zur Zeit der Friedensgespräche gegen die Vereinbarungen ausgesprochen. Gegenwärtig wäre es ihre Verantwortung, die Vereinbarungen umzusetzen. Sie bemüht sich jedoch nach Kräften, dies nicht zu tun und das Land erneut in einen bewaffneten Konflikt zu treiben.

In diesem Zusammenhang ist klar, dass die gegenwärtige Regierung das Ziel verfolgt, die Militärausgaben zu erhöhen und eine Wirtschaftspolitik zu verstärken, die auf die Ausbeutung der Bodenschätze setzt. Das wird der Bevölkerung und der Umwelt nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Dafür wird auch eine große Armee benötigt, um die damit verbundenen Interessen abzusichern. Desweiteren hat die Regierung Vereinbarungen mit den USA und der NATO geschlossen, die eine Stärkung des Militärs beinhalten und eine Beteiligung an kriegerischen Abenteuern einschließt, die auf der internationalen Agenda stehen.

Die Folgen für die kolumbianische Bevölkerung sind zweifellos Verschärfung der Armut, Ausgrenzung und Verletzung ihrer Rechte. Die Bevölkerung wird dazu verurteilt in der Mitte des bewaffneten Konfliktes zu verbleiben. Die Jugend wird dazu verpflichtet, Waffen anzunehmen, um der offiziellen Armee oder anderen Armeen zu dienen, die für die Interessen der Mächtigen handeln, die das Land regieren.

Was als hoffnungsvoller Wendepunkt für Kolumbien angesehen wurde erweist sich gegenwärtig als ein Rückschritt der Bürgerrechte und der Garantien der Bürger, ihre Rechte auszuüben. Das gilt auch für die Kriegsdienstverweigerung.

Antimilitarismus ist nicht nur ein Weg, um Frieden zu verteidigen, Konfrontation und strukturelle Ursachen von Gewalt zu überwinden, sondern auch ein Weg, um sicherzustellen, dass Fortschritte bei der Anerkennung und Garantie der Kriegsdienstverweigerung aufrecht erhalten bleiben, weiter entwickelt und ausgedehnt werden.

Was fordern Kriegsdienstverweigerer und –verweigerinnen aus Kolumbien?

Keine Einberufung mehr bei einer Vorladung! Junge Männer werden von den Streitkräften einbestellt, um ihre militärische Situation zu klären. Das Militär ignoriert dabei das Gesetz und das ordnungsgemäße Verfahren. Sie werden sofort einberufen.

Prüfung der Anträge junger Kriegsdienstverweigerer durch unabhängige und unparteiische Gremien! Anträge von jungen Männern zur Kriegsdienstverweigerung werden von einer „Interdisziplinären Kommission“ geprüft. Diese Kommission besteht im Wesentlichen aus Militärangehörigen, die sich im aktiven Dienst befinden und Psychologen und Ärzte sind, ergänzt durch einen Vertreter des öffentlichen Dienstes. Diese Kommission erfüllt damit nicht die von der UN-Menschenrechtskommission verlangten Standards eines unparteiischen und unabhängigen Gremiums.4 In entlegenen Gebieten des Landes kann die Anwesenheit eines Beamten des öffentlichen Dienstes zudem von seiner Verfügbarkeit abhängig gemacht werden. Das bedeutet, dass die Kommission dann nur aus Angehörigen der Streitkräfte besteht.

„Sie wollen, dass ich mein Recht aufgebe und eine andere Ausnahmeregelung wähle“. Wenn ein junger Mann seine Kriegsdienstverweigerung erklärt, versuchen Beamte den jungen Mann vielfach dazu zu drängen, sich nicht für die Kriegsdienstverweigerung zu entscheiden. Sie zeigen ihm andere Möglichkeiten der Ausnahme von der Ableistung des Militärdienstes auf. Im ersten Jahr seit Inkraftsetzung des Gesetzes haben viele junge Männer, die dieses Recht ausüben wollten, aber keine oder nur wenige Informationen darüber hatten, ihr Recht nicht wahrgenommen. Damit wurde die offizielle Zahl der Kriegsdienstverweigerer reduziert.

Kriegsdienstverweigerer sollen ihre Verweigerung erklären können, ohne unter Druck gesetzt zu werden! Wenn eine Erklärung in der ersten Instanz abgelehnt wird, setzen viele junge Männer ihr Verfahren nicht fort, entweder weil sie nicht genügend darüber informiert sind oder weil sie von den Offizieren unter Druck gesetzt werden, da viele der jungen Männer ihre Erklärungen innerhalb der Kasernen abgeben.

Dass die Armee ihrer Verpflichtung nachkommt, junge Männer über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu informieren, wie es das Gesetz vorschreibt! Es gibt keine Informationen oder Kampagnen, wie es das Gesetz vorsieht, um junge Männer über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu informieren.

“Die Streitkräfte benutzen Lügen, um Antragsteller zu entmutigen”. Sie erklären, wenn es einen Krieg mit Nicaragua oder Venezuela gäbe, sei das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht mehr gültig.

“Vertreter des Militärs bestreiten Möglichkeit der Ablehnung des Freikaufes”. Kriegsdienstverweigerer werden dazu überredet, die Militärkarte zu bezahlen, was den ethischen Überzeugungen der Kriegsdienstverweigerer widerspricht und sie dazu zwingt, einen finanziellen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Militärapparates und seiner Konfliktdynamik zu leisten.5

Fußnoten

1 http://www.justapaz.org/noticias-justapaz/somos-informacion-justapaz/justapaz-hoy/543-informe-la-objecion-de-conciencia-en-el-primer-ano-de-aplicacion-de-la-ley-de-reclutamiento. Zusammenfassung in Englisch: https://www.wri-irg.org/sites/default/files/public_files/2019-04/summary_report_about_recruitment_law_in_colombia_and_co.pdf

2 Verfassungsgericht C / 728-2009, Sentencia de Tutela T / 018-2012, Sentencia de Tutela T / 430-2013, Sentencia de Tutela T / 455-2014, Sentencia de Tutela T / 185-2015; Sentencia Unificada SU / 108-2016

3 Die wichtigsten Errungenschaften des Gesetzes 1871-2017 zur Wehrpflicht und zur Bestimmung des Militärstatus‘:

a) Gesetzliche Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung als Ausnahmeregelung zur Ableistung des Militärdienstes (Art. 12, Buchstabe N)
b) Ausschluss der Kriegsdienstverweigerer aus den Reservestreitkräften der Armee; Unbefristete Garantie ihrer Rechte (p. von Artikel 52)
c) Gesetzliches Verbot willkürlicher Haft zur Rekrutierung, was in Kolumbien als “batidas” bekannt ist (p. 20 von Artikel 4).
d) Die Bewaffneten Streitkräfte haben die Verpflichtung, in den militärischen Ausbildungseinrichtungen über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu informieren (p. 1 von Artikel 17)

4 Erklärung des Menschenrechtsrates Ref. A / HRC / 36 / L.20, September 2017 Nr. 8. appelliert an Staaten, die kein solches System besitzen, unabhängige und unparteiische Entscheidungsgremien zu schaffen, die die Aufgabe haben, zu bestimmen, ob im Einzelfall eine Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vorliegt, unter Berücksichtigung der Bedingung, dass Verweigerer aus Gewissensgründen nicht aufgrund ihrer jeweiligen Anschauungen diskriminiert werden dürfen; Nr. 9. erklärt, dass Entscheidungen über eine Militärdienstverweigerung immer durch ein gesetzlich geregeltes kompetentes, unabhängiges und unparteiisches Entscheidungsgremium getroffen werden muss

5 Einige der hier aufgeführten Forderungen sind dem Bericht von ACCOC und Justapaz entnommen: Kriegsdienstverweigerung, ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen Wehrpflichtgesetzes. August 2017 – Oktober 2018

Statement of Conscientious Objectors in Colombia, 26. April 2019. https://www.wri-irg.org/en/story/2019/statement-conscientious-objectors-colombia. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2019

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