Rundbrief »KDV im Krieg« - April 2021

Rundbrief »KDV im Krieg« - April 2021

Nordkorea: Wege der Militärdienstentziehung

von Jieun Kim

(11.03.2021) Immer mehr nordkoreanische Jugendliche entziehen sich der Wehrpflicht, weil nach einem langen Einsatz in den Streitkräften nicht mehr automatisch die Mitgliedschaft in der Regierungspartei und all die damit verbundenen Vergünstigungen möglich sind.

Die Mitgliedschaft in der koreanischen Arbeiterpartei gilt als Statussymbol, das in dem verarmten Land auch Türen öffnet, um besseren Wohnraum, Arbeit, Bildung und Lebensmittel zu erhalten.

Jeder männliche Bürger muss im Durchschnitt 10 Jahre im Militär Dienst ableisten. Nach den bisherigen Bestimmungen konnten die meisten von ihnen erwarten, nach ihrer Entlassung der Partei beitreten zu können. RFA berichtete jedoch Ende Januar, dass die Behörden die Hürden zum Eintritt in die Partei zur Bestürzung vieler Soldaten verschärft haben.

Ein Einwohner der Provinz Nord-Hamgyong, im Nordosten des Landes, berichtete gegenüber dem Koreanischen Dienst von RFA über die Einberufungen im Frühjahr: „Zu dieser Zeit des Jahres besuchen die Schüler, die gerade ihr Abitur gemacht haben, und die Jugendlichen im höheren Teenageralter, normalerweise das Rekrutierungsbüro des Militärs, um sich auf die Einberufung vorzubereiten“, so die Quelle, die um Anonymität bat. „Aber in diesem Jahr ist die Zahl der Meldungen zur Einberufung deutlich zurück­ge­gangen. Die Beamten des Rekrutierungsbüros sind nun damit beschäftigt, Gegenmaßnahmen vorzubereiten.“

Bislang meldeten sich die meisten jungen Männer, die älter als 17 Jahre waren, freiwillig zum Militär, normalerweise um ihre Loyalität gegenüber dem Staat zu demonstrieren. Die Behörden hatten es im Allgemeinen nicht nötig, Leute zu jagen, die sich weigerten, zum Militärdienst zu erscheinen, weil die Konsequenzen zu groß waren, wenn sie keinen Dienst ableisten. Aber jetzt, wo die Parteimitgliedschaft nicht mehr selbstverständlich ist, suchen die Jugendlichen nach Auswegen.

Einer der beliebtesten Wege, sich dem Militärdienst zu entziehen, ist die Ausmusterung. Die Quelle sagte, dass junge Leute heimlich Ratschläge untereinander austauschen, wie man ausgemustert werden kann.

„Menschen mit Hepatitis oder Tuberkulose werden ausgemustert. Also wurden einige dabei ertappt, wie sie versuchten, bei der Musterung durchzufallen, indem sie eine ganze Flasche Sojasauce tranken, um die Leberfunktion abnormal zu erhöhen“, so die Quelle.

Aber nach Jahrzehnten der Lebensmittelknappheit brauchen viele Nordkoreaner keine Hilfsmittel, um für den Dienst untauglich zu sein. Seit 2019 liegt die Mindestgröße für den Militärdienst bei 150 Zentimetern und das Mindestgewicht bei 50 Kilogramm. „Viele der diesjährigen Rekruten haben sich nicht ausreichend ernährt, so dass ihre Größe und ihr Gewicht unter der Norm liegen“, so die Quelle. „Einige der gesunden jungen Leute gehen so weit, dass sie die Beamten bei der Musterung bestechen.“

Eine andere Quelle, ein Bewohner der Provinz Süd-Pyongan, nördlich der Hauptstadt Pjöngjang, bestätigte am Montag gegenüber RFA, dass die Jugendlichen dort ebenfalls versuchen, sich vor dem Dienst zu drücken. Auch diese Quelle bat um Anonymität. „Die meisten Rekruten sind junge Männer aus der Oberstufe. In diesem Jahr melden sich im Durchschnitt nur vier oder fünf Leute aus einer einzigen Klasse (von etwa 50 Schüler*innen) zur Rekrutierung. Letztes Jahr wollte noch die Hälfte der Absolventen einberufen werden.“

Der Eintritt in das Militär ist eine finanzielle Belastung für die gesamte Familie eines Soldaten. Die Regierung versorge das Militär nicht ausreichend, so dass die Familien der Soldaten ihnen über die gesamte Zeit des Militärs Geld für Lebensmittel und andere Dinge schicken müssten. Das Opfer wurde als lohnenswert angesehen, weil die Parteimitgliedschaft für den Soldaten nach der Entlassung praktisch garantiert war.

„Seit diesem Jahr ist auf Befehl der Höchsten Würde der Prozentsatz bei Mitgliedschaften in der Partei aus nicht-militärischen Funktionen gestiegen, aus dem Bereich des Militär hingegen gesunken. Deshalb vermeiden junge Leute den Eintritt in die Partei“, so die zweite Quelle, die den Ehrentitel für Führer Kim Jong Un verwendet.

„Einige Rekruten sind sogar neidisch auf die Kinder von Menschen, die aus Nordkorea geflohen sind. Gemäß der Politik sind sie vom Privileg der Rekrutierung ausgeschlossen, wenn ein oder beide Elternteile aus dem Land geflohen sind und in China oder Südkorea leben.“ Die Jugendlichen sehen dies jedoch nicht als Strafe, sondern als zusätzliche Vergünstigung an, so die zweite Quelle. Die Kinder von Geflüchteten werden nicht nur vom Militärdienst befreit, sie leben auch gut von dem Geld, das ihre „verräterischen“ Eltern ihnen schicken.

Die Änderung bei der Anspruchsberechtigung auf eine Parteimitgliedschaft ist auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen. Die Zentralregierung stellte fest, dass es einfacher ist, sogenannte Loyalitätsgelder für Kim Jong Un und das Zentrum der Partei einzusammeln, wenn die Parteimitglieder mehr Geld haben. Und die Soldaten sind in aller Regel arm.

Der Koreanische Dienst von RFA berichtete, dass bei der bisherigen Aufnahme von Mitgliedern in die Partei 90 Prozent aus dem Militär und etwa 10 Prozent aus dem Rest der Gesellschaft stammten. Kim Jong Un ordnete vor kurzem eine Änderung des Verhältnisses an. Nun sollen etwa 70 Prozent aus dem Militär und 30 Prozent aus dem Rest der Gesellschaft angenommen werden. Insgesamt wurden auch weniger Mitglieder aufgenommen. Kim Jong Un erklärte, dass die Soldaten die Parteimitgliedschaft als Selbstverständlichkeit betrachtet hätten.

Das nordkoreanische Militär hat etwa 1,3 Millionen Angehörige und ist damit nach China, Indien und den USA das viertgrößte stehende Heer der Welt.

Jieun Kim, Radio Free Asia: North Korean Youth Find Ways to Dodge Military Service. 11.03.2021. Auszüge. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2021

Stichworte:    ⇒ Militär   ⇒ Militärdienstentziehung   ⇒ Nordkorea   ⇒ Wehrpflicht