Nordzypern: Militärgericht verurteilt Kriegsdienstverweigerer
(26.02.2014) Gestern wurde der türkisch-zypriotische Kriegsdienstverweigerer Murat Kanatlı in Lefkoşa (Nordzypern) zu zehn Tagen Haft verurteilt, weil er sich 2009 geweigert hatte, dem jährlichen Reservedienst im Norden Zyperns nachzukommen. Murat Kanatlı drohen weitere Verurteilungen, weil er auch in den folgenden Jahren aus Gewissensgründen den Einberufungen als Reservist nicht nachkam.
„Mit diesem Urteil haben die Richter des Militärgerichtes ihre Voreingenommenheit gegenüber einem Kriegsdienstverweigerer und Menschenrechtsaktivisten bestätigt“, erklärte heute Rudi Friedrich vom Internationalen Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk Connection e.V. „Das Militär spielt sich selbst als Richter auf und stellt die nach wie vor bestehende militärische Konfrontation zwischen Nord- und Südzypern über die vielfältigen Aktivitäten für Versöhnung auf der Insel.“
Murat Kanatlı, Vorstandsmitglied des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung, hatte 2009 seine Kriegsdienstverweigerung erklärt, weil er dem Krieg die Ressource Mensch entziehen wolle. Er wolle sich nicht an einem Krieg und daher auch nicht an der Vorbereitung eines Krieges beteiligen. „Wenn es einen Krieg in Zypern gibt, werde ich mich nicht auf eine Seite stellen. Wer sind unsere Feinde? Ist es irgendjemand, der auf der anderen Seite des Stacheldrahts steht? Sind die Freunde, mit denen wir jeden Tag in der Ledrastraße Kaffee trinken, etwa unsere Feinde?“
Am 14. Juni 2011 wurde deshalb ein Verfahren vor dem Militärgericht eröffnet. Am 8. Dezember 2011 kam das Militärgericht schließlich dem Antrag von Murat Kanatlı nach, seinen Fall dem Verfassungsgericht vorzulegen. Murat Kanatlı hatte vorgetragen, dass die Gewissensfreiheit ein Menschenrecht ist und daher keine Verurteilung wegen Kriegsdienstverweigerung erfolgen dürfe.
Das Verfassungsgericht erläuterte im Urteil vom 11. Oktober 2013, dass die Ablehnung des Militärdienstes, wenn sie auf einem ernsthaften und unüberwindlichen Konflikt zwischen der Verpflichtung, Dienst in der Armee zu leisten und dem Gewissen einer Person oder aufgrund einer tiefen und echten religiösen oder anderen Überzeugungen beruht nach Artikel 23 der Verfassung unter das Menschenrecht auf Gewissensfreiheit fällt, geschützt auch durch den Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Allerdings stellte das Verfassungsgericht auch fest, dass die Wehrpflicht nicht in Konflikt mit der Verfassung stände. Das Gericht ergänzte, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, Gesetze und Regelungen für einen alternativen Dienst vorzusehen und dabei die Artikel der Verfassung zu überprüfen, die sich mit dem Recht und der Pflicht beschäftigen, für das Heimatland nur einen bewaffneten Dienst ableisten zu können.
Das Verfassungsgericht bezog sich dabei auch auf ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus dem Jahr 2011, mit dem dieses die Rechtsprechung zur Kriegsdienstverweigerung änderte, weil es zwischenzeitlich einen Konsens der Länder des Europarates gebe, dass diese Ausfluss einer Gewissensentscheidung ist, die unter den Schutz des Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention fällt, mit der die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit geschützt wird. (...mehr)
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes wurde das Verfahren erneut vor dem Militärgericht verhandelt. Das gestrige Urteil des Gerichts beruht in Verkennung des Grundsatzurteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ausschließlich auf den Regelungen der Verfassung des Landes, die die Pflicht zur Ableistung eines bewaffneten Dienstes vorsehen sowie der entsprechenden Gesetzgebung, womit es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt.
Zudem erklärte das Militärgericht, selbst wenn es den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte folge, lägen bei Murat Kanatlı keine Gewissensgründe für die Kriegsdienstverweigerung vor, die unter die Definition des Europäischen Gerichtshofes und damit unter die Garantie des Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention fallen würden, da seine Überzeugungen politische seien. Darüber hinaus befände sich Zypern in einer Konfliktsituation und würde daher unter die Einschränkungen fallen, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit für eine demokratische Gesellschaft notwendig seien. Somit entspräche die Gesetzgebung, die keinen Ersatzdienst vorsieht, den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. „Mit dieser Interpretation“, erläuterte Rudi Friedrich heute, „stellt das Militärgericht praktisch Opposition der herrschenden Konfrontationspolitik unter Strafe und negiert daraus erwachsende Gewissensentscheidungen. Es muss zugleich als Drohung gegenüber weiteren Kriegsdienstverweigerern aus Nordzypern verstanden werden.“
Murat Kanatlı wurde gestern zur Zahlung von 500 Türkische Lira (165 €) verurteilt. Da er der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, wurde er ins Gefängnis überstellt. Ihm drohen weitere Verurteilungen, da er sich auch in den folgenden Jahren aus Gewissensgründen der Ableistung des Reservedienstes im Militär von Nordzypern verweigerte.
„Murat Kanatlı muss unverzüglich freigelassen und alle noch gegen ihn noch anhängigen Verfahren eingestellt werden“, so Rudi Friedrich für Connection e.V.
Connection e.V.: Pressemitteilung vom 26. Februar 2014
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