Ruslan Kotsaba

Ruslan Kotsaba

"Ich hoffe, dass wir Frieden erreichen können"

von Ruslan Kotsaba

Gegen Ruslan Kotsaba ist in der Ukraine zum zweiten Mal ein Verfahren aufgenommen worden, weil er sich 2016 gegen den Krieg wandte und zur Verweigerung aufgerufen hatte. Am 24. Januar 2018 sprach der ukrainische Journalist und Kriegsdienstverweigerer auf einer Veranstaltung in Mainz über die Lage in der Ukraine, den Krieg und Widerstände in der Bevölkerung. Wir dokumentieren hier seinen Redebeitrag. (d. Red.)

Ich freue mich sehr, hier sein zu können. Dass sie mich hier sehen können, das hat auch mit Ihrem Engagement zu tun. Sie haben mich unterstützt, als ich im Gefängnis saß. Es kam sogar eine Delegation zu meiner Verhandlung. Das hat mir sehr geholfen.

Ich bin gerade aus Straßburg eingetroffen. Dort hatte ich Gelegenheit, vor allem mit Abgeordneten der Linken im Europäischen Parlament zu reden. Wir sprachen unter anderem über die Repressionen, denen Journalisten im Kriegsgebiet des Donbass´ ausgesetzt sind. Die Linken wollen das auf die Agenda des Europäischen Parlaments setzen.

Ich möchte heute berichten, warum die Journalisten, die unabhängig aus dem Kriegsgebiet über die Kampfhandlungen berichten wollen und sich gegen den Krieg wenden, von der heutigen Regierung in der Ukraine unter Druck gesetzt und eingesperrt werden.

Ich war einer der ersten Journalisten, die am Anfang des Konflikts von beiden Seiten akkreditiert wurden, in der Ukraine und in meinem Fall auch von der Volksrepublik Lugansk.

Und nachdem ich auf beiden Seiten gesehen habe, was passierte, hat mich das zum überzeugten Pazifisten gemacht.

Ich glaube, heute Abend sind auch Menschen unter uns, die sich erinnern, was die Schrecken eines Kriegs bedeuten. Ich will Ihnen berichten, was heute in der Ukraine geschieht.

Der Krieg ist jetzt im vierten Jahr. Selbst nach den offiziellen Angaben der ukrainischen Regierung gab es bereits mehr als 10.000 Tote, darunter mehr als 200 Kinder unter 11 Jahren.

Viele haben bereits verstanden, dass es nicht nur einfach ein Krieg oder eine antiterroristische Aktion ist, die in der Ukraine passiert. Es ist vielmehr ein Geschäft der Oligarchen. Die offizielle Bezeichnung Anti-Terror-Operation dient lediglich zur Verschleierung des Geschäfts, das im Zusammenhang mit dem Krieg betrieben wird. Dabei geht es um Waffenhandel, um Organhandel sowie weitere Interessen.

Mich macht es sehr betroffen, dass heute in Europa, in der Ukraine, jeden Tag Menschen durch den Krieg sterben. Ich verstehe Ihr Engagement daher auch als einen Dienst an der Humanität. Ich betrachte und bezeichne die Situation als humanitäre Katastrophe. Der Zivilisationsprozess wird durch Kriege zurückgeworfen. Die Entwicklung eines friedlichen Miteinanders der Menschen wird durch Kriege verhindert. Wenn die Politiker die Probleme nicht mit militärischen, sondern mit diplomatisch-politischen Methoden lösen würden: Man traut sich kaum vorzustellen, wie weit wir dann schon gekommen wären.

Bereits jetzt gibt es mehr als 350.000 offiziell erfasste Soldaten, die als Teilnehmer von Kampfhandlungen angesehen werden. Sie alle waren in einem Gebiet, das offiziell als Gebiet der Anti-Terror-Operation bezeichnet wird. Ich bezeichne es als Bürgerkriegsgebiet. Warum? Weil dort Menschen mit ukrainischen Pässen auf andere mit ukrainischen Pässen schießen. Darüber hinaus kämpfen dort Söldner aus anderen Ländern, die gegen Geld Menschen töten. Ich habe sie selbst gesehen.

In einem Bürgerkrieg kann es keine Gewinner geben, nur Verlierer. Die Gewinner eines Bürgerkriegs sind Dritte, die außerhalb des eigentlichen Landes stehen, die an dem Konflikt ein Interesse haben.

Die 350.000 Soldaten, die im Donbass waren, stellen für die Gesellschaft eine große Hypothek dar. Aufgrund der Erfahrungen, die sie im Krieg gemacht haben, wird es für die gesamte Gesellschaft sehr viel schwieriger werden, zum Frieden zurückzufinden. Die Ukrainer sind ein friedliebendes Volk. Ich war froh, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Ukraine das einzige Land war, in dem es keine großen Kampfhandlungen gegeben hat. Aber nun befinden wir uns im Krieg, der nicht nur an der Front, sondern auch in den Köpfen der Menschen stattfindet. Das ist schrecklich, weil diese Situation auch nach Ende des Krieges fortbesteht.

Leider ist die ukrainische Regierung sowohl an den Kampfhandlungen interessiert, wie auch an der damit verbundenen Propaganda. Und hier kommen wir zur Frage der journalistischen Arbeit. Sobald nämlich ein Journalist unabhängig über die Kämpfe oder Entwicklungen zu berichten sucht, und dabei auch die eigene Regierung kritisiert, wird er in der Ukraine zu einem Freund von Putin, Putinversteher oder Agenten der anderen Seite erklärt und diffamiert.

Wir wissen sehr wohl, dass Putin wie auch Poroschenko nicht ewig leben werden. Aber die Länder, wie Ukraine, Polen und Russland, werden Nachbarn bleiben. Mit verfeindeten Nachbarn kann man aber perspektivisch nicht gut leben. Eine kluge Politik würde versuchen, friedlich mit den Nachbarstaaten zusammen zu leben. Davon würden beide Seiten profitieren.

Nur ein Zyniker, ein bösartiger oder ein intellektuell eingeschränkter Mensch kann Interesse an einem Krieg haben. Ich glaube aber nicht, dass die ukrainische Regierung intellektuell eingeschränkt ist. Ich muss daher annehmen, dass sie Zyniker oder bösartig sind.

Vergangene Woche hat die Rada, das ukrainische Parlament, ein neues Gesetz angenommen, mit dem die Reintegration des Donbass geregelt werden soll. Das Gesetz gibt dem Präsidenten Sonderrechte für seine Politik gegenüber dem Donbass. Er erhält das Recht, alle Gebiete zu Sonderzonen und geografisch begrenzt zu Kriegsgebieten zu erklären. Er kann das per Erlass verfügen und muss dazu nicht das Parlament oder das Komitee für staatliche Sicherheit um Zustimmung bitten.

Damit steht ihm z.B. die Möglichkeit offen, im Falle von Wahlen Kriegsgebiete zu erklären und damit dort die Durchführung der Wahl zu unterbinden. Auf diese Weise kann er missliebige Gebiete ausschließen und die Wahlen manipulieren.

Um Kriegsgebiete zu erklären, ist es für einen Zyniker leicht, zu provozieren, z.B. Milizen hineinzuschicken, die Leute zusammenschlagen oder ähnliches. Letztlich bedeutet das, dass das Gesetz in höchstem Maße gefährlich ist und zu einem weit ausgedehnterem Krieg führen kann.

Ich hatte schon angesprochen, dass Oligarchien in der Ukraine die Politik bestimmen. Ich will das noch näher ausführen.

Hier in Deutschland gibt es verschiedene Parteien, Sozialdemokraten, die Linke, die Grünen und andere. Die müssen miteinander um die Wähler konkurrieren.

In der Ukraine gehören die Politiker zwar unterschiedlichen Parteien an – und so sind im Parlament auch unterschiedliche Fraktionen. Aber faktisch stehen sie auf der Lohnliste bestimmter Oligarchen. Wenn es nötig ist, können sich diese über die Fraktionen hinweg zu Blöcken zusammenschließen und entsprechend der Anweisungen des Oligarchen abstimmen. Deswegen werden sie auch eher als Blöcke bezeichnet. So ist auch der Beschluss für das Gesetz zur Reintegration zustande gekommen.

Zum Abschluss möchte ich Ihnen über die Situation derjenigen berichten, die sich dem Kriegsdienst entziehen. Als überzeugter Pazifist habe ich erst vorgestern auf einer ukrainischen Internetseite mit Genuss gelesen, dass die derzeitige Mobilisierung in Schwierigkeiten steckt und immer weniger Leute bereit sind, sich für den Kriegsdienst einziehen zu lassen. Ich habe das gleich auf meiner Facebook-Seite gepostet.

Die Menschen verstehen, dass der Krieg das Ende der zivilen Gesellschaft bedeutet. Auf der anderen Seite sucht der Staat bzw. die Regierung solche pazifistischen Strömungen zu unterdrücken.

Ein Beispiel dafür ist ein Freund von mir, Eduard Kowalenko. Er schrieb über meinen Fall, dass ich als Journalist den Krieg als Bürgerkrieg bezeichnet habe und nicht bereit war, am Krieg teilzunehmen. Dafür wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ich kam nach 16 Monaten frei, aber er, der über das Verfahren berichtet hatte, sitzt immer noch im Gefängnis. Vor einem Monat ist seine Berufung abgewiesen worden, so dass er jetzt keine juristischen Möglichkeiten mehr hat, dagegen vorzugehen.

Eine andere Form der Unterdrückung ist, dass die Regierung zur Einschüchterung von Pazifisten Nationalisten einsetzt. So ist es mir passiert. Ich wurde von Nationalisten überfallen, der Gruppe S14, dem Sektor ASOF. Als ich zur Polizei ging und Anzeige erstatten wollte, nahm die Polizei die erst gar nicht auf. Diejenigen, die mich überfallen haben, hatten selbst Polizeiausweise. Sie waren zuvor Freiwillige in dem sogenannten Gebiet der Anti-Terror-Operationen. Nach ihrer Rückkehr blieben sie in der Nationalgarde und gehören damit formell der Polizei an.

Mir liegt am Herzen, dass sie folgendes verstehen: Wenn es in der Ukraine weiterhin Krieg gibt, ist das auch für Deutschland schlecht. Denn die Probleme dieses Konfliktes, das geopolitische Ringen zwischen Russland und den USA, werden sich in erster Linie auf Europa auswirken, vor allen Dingen auf Deutschland als Zugführer der Europäischen Union.

Wenn Frieden herrscht, wäre das auch für Deutschland von Vorteil. Alle Entwicklungen hängen stark voneinander ab. Ich hoffe auch, dass meine Zeit als überzeugter Pazifist im Gefängnis nicht sinnlos war und wir Frieden erreichen können.

 

Ruslan Kotsaba: „Ich hoffe, dass wir Frieden erreichen können“. Veranstaltungsbeitrag am 24. Januar 2018 in Mainz. Bearbeitung durch Connection e.V. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2018

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