Südkoreas Kriegsdienstverweigerer erhalten eine Alternative zum Militärdienst
(09.07.2020) Zum ersten Mal gibt es einen offiziellen Weg für Männer, die aus religiösen oder moralischen Gründen die Ableistung des Militärdienstes verweigern. Am 30. Juni nahm Südkorea offiziell die ersten Anträge von Kriegsdienstverweigerern an. Statt zwei Jahre Dienst im Militär zu leisten, können sie nun beantragen einen dreijährigen Dienst in Gefängnissen oder Haftanstalten abzuleisten.
Es hat lange gedauert, bis dies für die Verweigerer mit moralischen oder religiösen Gründen eingeführt wurde. Zuvor wurden sie zu 18 Monaten Haft im Gefängnis verurteilt, weil sie den Militärdienst nicht ableisteten. Obwohl die Verweigerer nun keine Gefängnisstrafe mehr erhalten, sind nicht alle zufrieden mit dem Plan der Regierung für einen alternativen Dienst.
Kriegsdienstverweigerung ist in Korea seit der Besetzung durch Japan in den 1930er Jahren ein Thema. Damals wurde eine Gruppe von 38 Zeugen Jehovahs inhaftiert, weil sie sich geweigert hatten, in der japanischen Armee zu dienen.1 Seit Ende des Koreakrieges waren es etwa 19.000 Koreaner, zumeist Zeugen Jehovahs, die wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung Gefängnisstrafen verbüßten.2
Obwohl das Thema seit einiger Zeit heftig umstritten ist, erzwang der Oberste Gerichtshof Südkoreas 2018 Maßnahmen, als er entscheid, dass religiöse oder moralische Bedenken legitime Gründe für die Kriegsdienstverweigerung sein können.3 Seit dem Urteil hat Südkorea Hunderte von Männern begnadigt, die zuvor wegen der Nichtableistung des Militärdienstes verurteilt worden sind. Sie hat inhaftierte Kriegsdienstverweigerer aus dem Gefängnis entlassen.
Nun gibt es diese Alternative zum ersten Mal im Land. Seit dem 30. Juni 2020 können Männer beantragen, in Gefängnissen zu arbeiten, statt Militärdienst abzuleisten. Ein Ausschuss der Militärverwaltung wird die Anträge prüfen, um sicherzustellen, dass die Personen ernsthafte Gründe für die Verweigerung des Militärdienstes vorbringen.4 Mögliche Kriterien haben bereits zu Kontroversen geführt.5
Viele Kritiker sind nicht gegen eine Alternative zum Militärdienst. In einer von einer kirchlichen Organisation bei Gallup in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 66,8% der Befragten an, die Handlungen von Kriegsdienstverweigerern „nicht verstehen zu können“. Aber 73,4% befürworteten die Einführung der Möglichkeit eines alternativen Dienstes.6
Kritiker*innen konzentrieren sich vielmehr darauf, sicherzustellen, dass die Länge des Dienstes gerecht ist und dass Personen die Kriegsdienstverweigerung nicht als Ausrede benutzen, um dem Militärdienst zu entgehen. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes sagten beispielsweise 16 von 17 Vertreter*innen im Nationalen Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung, dass diejenigen, die sich für einen alternativen Dienst entscheiden, doppelt so lange dienen sollen, wie Personen im Militärdienst – also etwa vier Jahre – um die beiden Dienstarten gleichwertig zu behandeln.7 Die Länge des alternativen Dienstes wurde schließlich auf 36 Monate festgelegt, das 1,5-fache des typischen Militärdienstes.
Die Länge ist nur eine der Bedenken von Unterstützer*innen der Kriegsdienstverweigerer. Laut Amnesty International ist Südkoreas alternativer Dienst mit 36 Monaten der längste der Welt, was die nichtstaatliche Organisation dazu veranlasste, ihn als „alternative Bestrafung“ zu kennzeichnen.8 Andere haben Bedenken geäußert, dass die Verwaltung des alternativen Dienstes weiterhin dem Militär unterstehen wird, was mit den pazifistischen Überzeugungen derjenigen in Konflikt stehen könnte, die gegen den Militärdienst sind.9
Die Einführung eines alternativen Dienstes für Kriegsdienstverweigerer ist nicht die einzige personelle Herausforderung für das südkoreanische Militär. Mit der niedrigsten Geburtenrate unter den Industrieländern hat der rapide Bevölkerungsrückgang in Südkorea dazu geführt, dass immer weniger junge Männer für den Militärdienst zur Verfügung stehen. Letztes Jahr hat Präsident Moon Jae-in ein Wahlversprechen eingelöst und die Dauer des Militärdienstes um drei Monate reduziert. Das Militär hat angekündigt, der drohenden Reduzierung der Mannschaftsstärke durch den Einsatz unbemannter Technologie und mehr Rekrutierung zu begegnen.10 In einer weiteren heftigen Kontroverse entließ die Armee aber kürzlich eine Soldatin, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte und führte dafür „physische und körperliche Untauglichkeit“ an.11 Sie hat angekündigt, in dieser Angelegenheit vor Gericht zu ziehen, um für ihr Recht auf einen Militärdienst zu kämpfen.
Fußnoten
1 https://mylaw.uoregon.edu/org/oril/docs/9-1/KukCho.pdf
2 https://www.nytimes.com/2018/11/29/world/asia/south-korea-frees-conscientious-objectors.html
3 https://thediplomat.com/2019/01/controversy-swells-over-south-koreas-conscientious-objectors/
4 http://www.munhwa.com/news/view.html?no=2020011601032730114001
5 https://edition.cnn.com/2019/01/11/asia/conscientious-objector-south-korea-gaming-intl/index.html
6 https://www.yna.co.kr/view/AKR20180524170800005
7 https://www.bbc.com/korean/news-46054005
8 https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/12/south-korea-alternative-to-military-service-is-new-punishment-for-conscientious-objectors/
9 https://www.bbc.com/korean/news-46054005
10 https://www.wsj.com/articles/south-korea-is-having-fewer-babies-soon-it-will-have-fewer-soldiers-11573039652
11 https://en.yna.co.kr/view/AEN20200703005951325
Jenna Gibson: South Korea’s Conscientious Objectors Are Getting an Alternative to Military Service. 9. Juli 2020. https://thediplomat.com/2020/07/south-koreas-conscientious-objectors-are-getting-an-alternative-to-military-service/
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