Transnistrien: Kriegsdienstverweigerern wird verboten, das Land zu verlassen

von Felix Corley

(10.10.2019) Drei Zeugen Jehovahs, die nach Transnistrien zurückkehrten, um ihre Familien zu besuchen, wurden im Mai 2019 zum Militärdienst einberufen. Den Kriegsdienstverweigerern Mikhail Yeremeyev, Yury Yemelyanvo und Vladimir Kotovsky wurde untersagt, das Land zu verlassen, weil sie sich weigern, Militärdienst abzuleisten.

Transnistrien ist der östliche Teil Moldawiens an der Grenze zur Ukraine. Es ist ein international nicht anerkanntes Gebiet, das sich 1990 von Moldawien abspaltete.

Einberufen und verboten, das Land zu verlassen

Die drei Zeugen Jehovahs wurden im Mai zum Militärdienst einberufen. Alle drei kommen aus Transnistrien, leben aber inzwischen außerhalb des Landes.

Der 24-jährige Mikahil Yeremeyev, der seit vier Jahren in Moldawien lebt, besuchte seine Eltern in Transnistrien und musste offizielle Dokumente erneuern lassen. Am 2. Mai verhaftete ihn die Polizei in Bendery und erklärte, er werde von den Behörden gesucht. Sie fotografierten ihn und nahmen Fingerabdrücke. „Sie erklärten mir nicht warum oder wofür sie das taten“, berichtete er #Forum 19 am 10. Oktober.

Das Wehrpflichtamt im Bezirk Slobodzia im Südosten Transnistriens berief Yeremeyev dann ein, aber er weigerte sich aus Gewissensgründen, Militärdienst abzuleisten. In Moldawien war er als Geistlicher von der Ableistung des Militärdienstes befreit worden, sagte er #Forum 18.

Am 8. Mai erteilte der Militärkommissar des Bezirks Slobodzia, Juri Chaban, die Auflage, dass er bis zum 27. Mai 2020 Transnistrien nicht verlassen dürfe. Yeremeyev sagte, dass er dem Wehrpflichtamt mitgeteilt habe, er sei bereit, einen alternativen zivilen Dienst abzuleisten. Offiziere hätten ihm geantwortet, dass er das nicht tun könne, da er seinen Antrag nicht fristgerecht gestellt habe. Dies hätte sechs Monate früher geschehen müssen. “Ich bin bereit, einen alternativen Dienst abzuleisten, wenn sie mir dies befehlen, wenn er vollständig zivilen Charakter hat, wie z.B. ein Dienst in einem Krankenhaus. Ich habe vor harter Arbeit keine Angst“, so Yeremeyev.

Major Chaban besteht darauf, dass Yeremeyev dort dem Militärdienst unterliegt, wo er lebt. „Er ist hier angemeldet, und er unterliegt als Bürger der Einberufung“, sagte er am 9. Oktober. „Ich habe in Übereinstimmung mit dem Gesetz gehandelt.“ Er fügte hinzu, dass die “Ermittlungsorgane” den Fall von Yeremeyev untersuchen. Er weigerte sich zu sagen, ob eine strafrechtliche Verfolgung droht und wenn ja, wofür. „Er hat einen Anwalt.“

Major Chaban weigert sich auch zu sagen, wie viele junge Männer im Jahr 2019 im Bezirk Slobodzia einen Antrag für den alternativen Dienst gestellt haben.

Anfang Mai rief das Wehrpflichtamt in Bendery, einer Stadt westlich von Tiraspol, den 23-jährigen Vladimir Kotovsky ein. Er weigerte sich jedoch aus Gewissensgründen, einen Militärdienst zu leisten. Er hatte bereits einen alternativen Dienst in Moldawien abgeleistet. „Kotovsky will keinen Dienst in der Armee leisten“, berichtete Major Roman Gogol, amtierender Leiter der zweiten Abteilung des Wehrpflichtamtes Bendery am 9. Oktober 2019. „Er hat versucht sich abzumelden, um dem Dienst zu entgehen.“ Dann legte er den Hörer auf.

Auch der 25-jährige Yury Yemelyanvo wurde Anfang Mai einberufen, vom Wehrpflichtamt in Tiraspol. Er weigerte sich jedoch aus Gewissensgründen, einen Militärdienst zu leisten.

Die Einberufung der drei Männer erfolgte, nachdem der Oberste Sowjet Transnistriens in der Hauptstadt Tiraspol im Februar 2018 das Gesetz über den Allgemeinen Militärdienst dahingehend änderte, dass Personen, die noch keinen Militär- oder alternativen Dienst in Transnistrien abgeleistet haben und ihr Heimatland besuchen, zur Ableistung des Dienstes verpflichtet sind. Damit können Kriegsdienstverweigerer, die ihr Heimatland besuchen, einberufen werden, selbst wenn sie nicht mehr in Transnistrien leben.

Der Militärkommissar von Transnistrien, Oberstleutnant Ruslan Kusman, bestand darauf, dass die drei Männer Bürger von Transnistrien seien und daher ihren Verpflichtungen nachzukommen hätten. „Das Gesetz mag hart sein, aber es ist das Gesetz, wie eine römische Maxime sagt.“

Auf die Frage, warum jemand, der in Moldawien bereits alternativen Dienst abgeleistet hat, und ein anderer der von der Ableistung befreit worden ist, erneut einberufen werden müssten, antwortete Oberstleutnant Kuzmin: „Der Dienst dort geht nur ein Jahr, hier aber zwei Jahre. Unser Gesetz besagt, dass der Dienst irgendwo anders nur anerkannt wird, wenn er die gleiche Länge hat.“

Am 25. Mai 2019 fochten die drei Männer die Entscheidungen der Wehrpflichtämter an und legten Beschwerden bei Gericht ein. Das Stadtgericht Bendery führte am 10. Oktober eine erste Verhandlung durch. Der Fall soll am 30. Oktober fortgesetzt werden, sagen die Zeugen Jehovahs. Das Stadtgericht Slobodzia wollte am 27. September mit der Verhandlung zum Fall Yeremeyev beginnen. Der Termin wurde jedoch auf den 29. Oktober 2019 verschoben. Das Stadtgericht Tiraspol soll den Fall von Yemelyanov verhandeln. Bislang ist aber keine Verhandlung angesetzt worden.

Die drei Männer wurden nicht verhaftet und sind nicht anderweitig eingeschränkt, abgesehen von dem Verbot, das Land zu verlassen.

„Ich hoffe, dass es bald eine Lösung geben wird“, sagte Yeremyev gegenüber #Forum 18. „Ich lebe nun seit fast einem halben Jahr in Ungewissheit, kann nicht ausreisen, nicht arbeiten und mich nicht entspannen.“

Fünf Kriegsdienstverweigerer kämpfen um ihre Anerkennung

Nach einer Änderung der Politik der Wehrpflichtkommissionen im Jahr 2019 kämpfen fünf Kriegsdienstverweigerer – alle Zeugen Jehovahs – um ihre Anerkennung. Artikel 4 des Alternativdienstgesetzes legt fest, dass der alternative Dienst als Zivilperson innerhalb der bewaffneten Streitkräfte oder in staatlichen oder lokalen Behörden abzuleisten ist. Artikel 10 legt fest, dass die Wehrpflichtkommission entscheidet, ob einer Person gestattet wird, einen alternativen Dienst abzuleisten und wo dieser abzuleisten ist, im Militär oder in staatlichen oder lokalen Behörden. Die Wehrpflichtkommission besteht in jedem Bezirk aus Angehörigen der lokalen Militärverwaltung und Vertretern der lokalen Zivilbehörden.

„Zuerst versuchen sie, Personen dazu zu bringen, innerhalb der Streitkräfte Dienst abzuleisten“ berichteten die Zeugen Jehovahs. „Nur wenn der Einzelne darauf besteht, dass ihm eine zivile Alternative angeboten wird, wird dies erlaubt. Aber das Gesetz sieht für ein Individuum eine solche Wahl nicht vor.“

Militärkommissar Oberstleutnant Ruslan Kuzmin bestätigte gegenüber #Forum 18, dass die Wehrpflichtkommission darüber entscheidet, wohin eine Person, die einen Antrag auf Ableistung eines alternativen Dienstes gestellt hat, geschickt werden soll. Er besteht darauf, dass Personen ihren alternativen Dienst innerhalb der Armee ableisten können – z.B. als Köche oder Reinigungskraft – als Zivilpersonen ohne den militärischen Eid zu leisten.

Oberstleutnant Kuzmin fiel es schwer zu verstehen, dass es Personen gibt, die aufgrund ihrer Gewissensentscheidung nicht in militärischen Strukturen Dienst ableisten können. „Mit welchem Gewissen treffen sie diese Entscheidung?“ fragte er.

Bezüglich der fünf jungen Männer behauptete Kuzmin, dass sie versuchten, sich ihren Pflichten zu entziehen. „Sie versuchten, ihre Anträge hinauszuzögern – sie haben das Gesetz verletzt“, sagte er #Forum 18. Er erklärte, dass einigen von ihnen die Ableistung des alternativen Dienstes verwehrt worden sei, anderen sei die Einberufung zu einem alternativen Dienst in der Armee zugestellt worden.

Der Rat der Baptisten lehnt nicht als Kirche die Ableistung des Militärdienstes ab. Aber er berichtete #Forum 18, dass die Militärvorgesetzten Druck auf ihre Jugendlichen ausüben, den Eid abzuleisten, auch wenn sie aus religiösen Gründen dagegen sind. „Die jungen Männer erklären einfach, dass sie gewissenhaft Dienst leisten werden“, berichtete ein Kirchenmitglied aus Tiraspol am 9. Oktober. „Offiziere versuchen, sie dazu zu zwingen, den Eid zu schwören, aber ohne Erfolg.“

Ist der alternative Dienst nicht länger zivil?

Transnistrien verabschiedete im Februar 2014 das erste Gesetz zu einem altenativen zivilen Dienst. in diesem wurde festgelegt, dass sich ein junger Mann, „wenn der Militärdienst seinen Überzeugungen oder seinem Glauben widerspricht“, für einen zivilen Dienst in den Streitkräften oder im Zivildienst in staatlichen oder lokalen Institutionen entscheiden kann. Der alternative Dienst dauert 18 Monate für junge Männer mit Hochschulabschluss und zwei Jahre für alle anderen Verweigerer. Der Militärdienst dauert ein Jahr.

Der Oberste Sowjet von Transnistrien in Tiraspol erwägt Änderungen des Gesetzes über einen alternativen zivilen Dienst, wonach festgelegt werden soll, dass die Streitkräfte darüber entscheiden sollen, ob der alternative Dienst unter militärischer Kontrolle und Aufsicht steht. Der Gesetzentwurf wurde dem Obersten Sowjet am 23. September 2019 vorgelegt.

Der vorgeschlagene neue Artikel 4 erklärt in Absatz 4: „Zu berücksichtigen ist vor allem der Arbeitskräftebedarf der Streitkräfte der transnistrisch-moldawischen Republik, anderer Streitkräfte sowie militärischer Formationen und Stellen des Zivilpersonals.“

Die Änderungen des Gesetzes über einen alternativen zivilen Dienst wurden vom transnistrischen Premierminister Aleksandr Martynov vorgeschlagen. Sie wurden am 23. September 2019 dem Obersten Sowjet vorgelegt, der den Textentwurf veröffentlichte. Die Änderungen liegen nun dem Obersten Sowjetausschuss für Gesetzgebung, Strafverfolgungsbehörden, Verteidigung, Sicherheit, Friedenssicherung und Schutz der Rechte und Freiheit der Bürger vor.

Weder die Ausschussvorsitzende Galina Antyufeeva noch die Vorsitzende des Ausschusses, Kristina Li, waren am 9. bzw. 10. Oktober erreichbar. Militärkommissar Oberstleutnant Kuzmin teilte #Forum 18 mit, dass alle Änderungsanträge nicht von seinem Amt, sondern von anderen Abteilungen vorbereitet worden seien.

Wenn diese Änderungen Gesetz werden, könnte Kriegsdienstverweigerern in Transnistrien die Möglichkeit der Ableistung eines alternativen Dienstes mit echtem zivilen Charakter verweigert werden. Die Zeugen Jehovahs haben bereits ihre Besorgnis zu dem Vorschlag geäußert.

Der damalige UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, Heiner Bielefeldt, untersuchte die Frage der Kriegsdienstverweigerung während seines Besuches von Moldawien im September 2011, der einen kurzen Besuch in Transnistrien beinhaltete. In seinem, dem Besuch folgenden Bericht (A/HRC/19/60/Add.2) stellte Bielefeldt in Bezug auf Transnistrien fest, dass „jeder das Recht zur Kriegsdienstverweigerung als legitime Ausübung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat und dass Kriegsdienstverweigerern die Möglichkeit eines alternativen Dienstes geboten werden sollte, der in Übereinstimmung mit den Gründen ihrer Kriegsdienstverweigerung steht, einen zivilen Charakter hat oder als Nichtkombattant ausgeführt wird, im öffentlichen Interesse steht und keinen Strafcharakter aufweist.“

Beschwerde in Straßburg anhängig

Vor dem am 12. Februar 2014 in kraft getretenen Gesetz über den alternativen zivilen Dienst wurden Kriegsdienstverweigerer strafrechtlich verfolgt und oft inhaftiert, weil sie sich dem Militärdienst verweigert  oder entschieden hatten, einen alternativen Dienst in Moldawien oder der Ukraine abzuleisten.

Rostom Aslanian, ein Zeuge Jehovah und Kriegsdienstverweigerer, der in Rybnitsa im Norden Transnistriens lebt, wurde von März 2011 bis März 2012 inhaftiert, obwohl er angeboten hatte, einen alternativen Dienst abzuleisten. Gegen seine Verurteilung legte er im November 2011 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde ein (Antrag Nr. 74433/11). Aslanian reichte die Beschwerde sowohl gegen Moldawien (von dem Transnistrien international als Teil des Landes angesehen wird) als auch gegen Russland ein (das weiterhin Einfluss auf Transnistrien hat).

Am 17. Juni 2019 fragte der Gerichtshof sowohl die Republik als auch Russland an, ob Aslanians Rechte nach Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religiongsfreiheit) und Artikel 14 (Verbot der Diskriminierung) der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden seien, „da der Antragsteller verurteilt worden sei, obwohl er aus religiösen Gründen den Militärdienst verweigere und seine Bereitschaft erklärt habe, einen alternativen Dienst abzuleisten.“

Das Gericht verwies auf die Entscheidung im Fall des armenischen Zeugen Jehovahs und Kriegsdienstverweigerers Vahan Bayatyan (Antrag Nr. 23459/03). Es hatte im Juli 2011 in einem Urteil festgestellt, dass die Weigerung des armenischen Staates, ihm einen alternativen Dienst anzubieten und ihn wegen seiner Kriegsdienstverweigerung zu bestrafen seine Rechte nach Artikel 9 der Konvention verletzt.

Das Gericht fragte Moldawien und Russland auch an, ob der Fall von Aslanian unter ihre Gerichtsbarkeit fällt und sie deshalb „nach der Konvention positive Verpflichtungen zur Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers haben“.

In der Antwort vom 17. September 2019 antwortete der moldawische Vertreter des Gerichtshofes, Oleg Rotari, dass eine „gütliche Einigung“ im Fall von Aslanian und vier weiteren Fällen „im Moment nicht möglich zu sein scheint“. Er ergänzte jedoch, dass Moldawien „weiterhin Anstrengungen unternehmen wird, um eine gütliche Einigung zu erreichen“.

In seiner Antwort vom 25. September 2019 sagte der russische Vertreter des Gerichtes, Mikhail Galperin, dass Russland „keine Gerichtsbarkeit ausübe“, da Transnistrien „Teil des Territoriums eines anderen souveränen Staates ist“ und dass keine Beweise dafür vorgelegt worden seien, dass irgendeine Handlung durch irgendeinen Vertreter Russlands erfolgt sei.

Forum 18: Transdniester: Conscientious objectors banned from leaving. 10. Oktober 2019. Übersetzung: rf

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