Militärparade. Foto: Timo Vogt

Militärparade. Foto: Timo Vogt

Türkei: Änderung des Wehrpflichtsystems geplant

von Evrin Güvendik

Daily Sabah berichtet über die aktuelle Debatte zur Änderung des Wehrpflichtsystems in der Türkei. Danach würde die Dienstzeit für türkische Wehrpflichtige auf ein halbes Jahr reduziert werden und zusätzlich eine Option zum Freikauf bei Ableistung eines einmonatigen Dienstes bestehen. Ziel sei eine effizientere und professionellere Armee. Die Wehrpflicht bleibt allerdings im Grundsatz bestehen. (d. Red.)

Das Parlament debattiert über ein neues, revolutionäres Wehrpflichtsystem, da das Militär damit neue Einnahmen von 5 Mrd. TL (770 Mio. €) und eine effizientere und professionellere Armee erwartet.

Die Wehrpflicht ist heute ein heißes Thema in der Türkei, da Tausende von Wehrpflichtigen entlassen werden würden, wenn das Parlament ein neues System akzeptiert, das den Militärdienst verkürzen würde. Das neue Modell bringt neben der Verkürzung des Militärdienstes vermutlich auch 5,1 Mrd. TL (785 Mio. €) an Einnahmen für die bewaffneten Streitkräfte der Türkei.

Das Militär rechnet damit, dass diese Einnahmen sogar die Kosten des neuen Modells übertreffen würden, die mit 3,1 Mrd. TL (470 Mio. €) angegeben werden. Zu diesen Einnahmen gehören Zahlungen durch Wehrpflichtige, die sich freikaufen, wie auch Wehrpflichtige, die sich im Ausland aufhalten und mit ausländischen Währungen freikaufen. Es wird erwartet, dass sich 145.000 Personen im Land freikaufen, was Einnahmen von 4,4 Mrd. TL (677 Mio. €) bedeuten würde. Zusätzlich werden 20.000 Personen die Freikaufsregelung im Ausland mit ausländischer Währung nutzen, womit Einnahmen von 620 Mio. TL (95 Mio. €) zu erwarten wären. Gegenwärtig hat die Armee 670.000 Mann und möchte mehr Berufssoldaten anstellen, im Ersatz für Wehrpflichtige. Nach den letzten Zahlen beschäftigt die Armee 23.789 Offiziere, 62.174 Unteroffiziere und 73.966 Offiziere mit besonderen Aufgaben. Die anderen sind Berufssoldaten oder Zivilpersonen ohne militärisch-akademische Ausbildung, die als Offiziersanwärter rekrutiert wurden.

Mehr als 229.000 Wehrpflichtige leisten derzeit Dienst. Weitere 200.000 Soldaten sind als Beamte der Gendarmerie beschäftigt. In anderen Worten: Fast die Hälfte der Armee besteht aus Berufssoldaten und nicht aus Wehrpflichtigen, die früher einmal die Mehrheit in der Armee gestellt haben. Die Behörden erwarten im nächsten Jahr einen weiteren Anstieg der Zahl der Berufssoldaten.

İsmet Yılmaz, der als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Parlaments das Gesetz vorlegte, sagt, dass etwa 66.000 beabsichtigen würden, die Dienstzeit nach der Ableistung der Wehrpflicht zu verlängern. Nach dem Gesetzentwurf würde der Dienst für die Wehrpflichtigen von zwölf auf sechs Monate reduziert werden. Wer weitere sechs Monate Dienst leisten wolle, erhielte einen Lohn von 2.000 TL (308 €)  monatlich.

Das neue System würde auch eine generelle Freikaufsregelung beinhalten. Wehrpflichtige, die sich freikaufen, müssten einen einmonatigen Dienst ableisten und als Ersatz für die anderen fünf Monate einen Betrag von 30.000 TL (4.615 €) zahlen.

Wenn das neue Gesetz angenommen wird, würden 106.000 Wehrpflichtige früher als erwartet entlassen werden. Vertreter des Militärs weisen Bedenken zurück, dass damit eine „Reduzierung der Mannstärke“ in der Armee einhergehe, die Operationen gegen Terrorismus durchführt und anderen Bedrohungen durch terroristische Gruppen ausgeliefert sei. Yılmaz erklärt dazu, die Berechnungen zeigten, dass innerhalb weniger Monate die Mannstärke durch neue Rekruten steigen würde, auch wenn am Anfang die Zahl sinke.

Die Türkei hat derzeit die zweitgrößte Armee der NATO nach den USA. Yılmaz sagt, dass es der Türkei mit dem neuen System möglich sei, effizienter spezialisiertes Personal zu rekrutieren.

In einem Tweet hatte gestern Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, dass ein neues Wehrpflichtmodell notwendig sei, da die modernen Zeiten eine sehr gute Ausbildung und Spezialisierung der Soldaten erfordere. Der Militärdienst wird von der Mehrheit der türkischen Staatsbürger als patriotische Pflicht angesehen. Das bringt aber die Armee in ein Dilemma, die für eine professionelle Ausbildung von Tausenden von unerfahrenen Wehrpflichtigen innerhalb kurzer Zeit sorgen muss. Das Land hat schon die Zahl der Wehrpflichtigen reduziert, insbesondere in riskanten Gebieten im Südosten oder Osten der Türkei, wo Operationen gegen den Terrorismus der PKK-Gruppen durchgeführt werden. Es hat auch begonnen, Berufsoffiziere anzuwerben, um wehrpflichtige Offiziere bei riskanten Operationen zu ersetzen und um bei der Verteidigung der Staatsgrenzen eingesetzt zu werden. Erdoğan sagt, dass die Türkei schon lange eine Umstellung zu einer Berufsarmee vorbereitet und merkt an, dass es offensichtlich einen großen Überhang von jungen Männern im wehrpflichtigen Alter gäbe.

Ervin Güvendik, Daily Sabah: More cash, greater efficiency under new conscription system. 14. Juni 2019. Übersetzung: rf. Quelle: https://www.dailysabah.com/turkey/2019/06/14/more-cash-greater-efficiency-under-new-conscription-system

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