Turkmenistan: Kriegsdienstverweigerer zu vier Jahren Haft verurteilt

von Felix Corley

(23.07.2019) Im dritten Urteil gegen Kriegsdienstverweigerer im Jahr 2019 wurde der 19-jährige Bahtiyar Atahanov am 15. Juli 2019 in Tejen wegen Befehlsverweigerung zu vier Jahren Haft verurteilt. Das ist die bislang längste bekannte Haftstrafe, die gegen einen Kriegsdienstverweigerer ausgesprochen wurde. Die Behörden hatten den Zeugen Jehovah zuvor zwangsweise einberufen und sahen ihn deshalb als Soldaten an. Das Urteil erging nach Artikel 344 Absatz 2 des Strafgesetzbuches.

Andere Kriegsdienstverweigerer, von denen derzeit neun in Haft sind, wurden wegen ihrer Weigerung, der Einberufung Folge zu leisten nach Artikel 219 Absatz 1 zu deutlich kürzeren Haftstrafen verurteilt.

„Da Bahtiyar Atahanov zwangsweise der Militäreinheit überstellt wurde, sah ihn das Gericht als Soldaten an, der die Befehle verweigert“ berichteten die Zeugen Jehovahs. „Das geschah, obwohl er in einer schriftlichen Erklärung am 19. April 2019 klar seine Überzeugungen dargelegt hat. Bis jetzt weigert er sich den militärischen Eid zu leisten und Uniform zu tragen.“ Ungewöhnlich war auch, dass sein Verfahren in der Militäreinheit in Tejen stattfand, zu der er überstellt worden war.

Mit Atahanovs Verurteilung steigt die Zahl der inhaftierten Kriegsdienstverweigerer und Angehörige der Zeugen Jehovas, die Haftstrafen zu verbüßen haben, auf zehn an. Neun von ihnen sind im Arbeitslager Seydi inhaftiert.

Kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Turkmenistan bietet keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes an. Die Dauer des Militärdienstes für Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren beträgt zwei Jahre. Artikel 58 der Verfassung von 2016 sieht die Verteidigung für jeden als „heilige Pflicht“ an und legt fest, dass es eine Wehrpflicht für Männer gibt.

Junge Männer, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern sehen sich der Strafverfolgung nach Artikel 219 Absatz 1 ausgesetzt. Danach droht ihnen wegen der Verweigerung des Dienstes in der Armee in Friedenszeiten eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder bis zu zwei Jahren Arbeitsdienst.

Von 2014 an verurteilten die Gerichte Kriegsdienstverweigerer statt zu Gefängnisstrafen zu Arbeitseinsätzen oder zu Bewährungsstrafen. Seit 2018 werden aber wieder Haftstrafen ausgesprochen. Zwei wurden 2018 zu zwei Jahren Haft, neun zu je einem Jahr Haft verurteilt.

Turkmenistan ignoriert wiederholte internationale Aufrufe eine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes einzuführen. Das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen hat elf Entscheidungen zugunsten von Kriegsdienstverweigerern aus Turkmenistan getroffen. In der zuletzt ergangenen Entscheidung, die am 4. April 2019 veröffentlicht wurde (CCPR/C/125/D/2316/2013), stellt das Komitee fest, dass die Menschenrechte des ehemaligen Kriegsdienstverweigerers Arslan Dawletow verletzt worden sind. Er war im Dezember 2012 zu 18 Monaten Haft verurteilt worden.

Einberufung, Wehrpflicht, Inhaftierung und Verurteilung

Bahtiyar Amirjanovich Atahanov, geboren am 17. Juni 2000, wurde mit der Frühjahrseinberufung 2019 durch das Rekrutierungsbüro in Turkmenabad zur Ableistung der Wehrpflicht aufgefordert. Am 19. April 2019 schickte Atahanov eine Erklärung an das regionale Rekrutierungsbüro und legte dar, dass er den Dienst nicht leisten könne, da er „nach Gottes Wort keine Waffen tragen und nicht lernen dürfe zu kämpfen. Ich stelle daher fest, dass es für mich unmöglich ist, zum Militär zu gehen und eine Waffenausbildung zu machen.“ Er bat zugleich um eine Möglichkeit, stattdessen einen alternativen Dienst abzuleisten.

Am 20. Mai kamen Vertreter des Rekrutierungsbüros Turkmenabad zu Atahanov und nahmen ihn in „hinterhältiger“ Weise mit, so die Zeugen Jehovahs. Dann brachten sie ihn am nächsten Tag zwangsweise zur Militäreinheit Nr. 37243 in die Stadt Tejen in der Region Ahal. Am 22. Mai wurde Atahanov formal in der Einheit registriert, obwohl er sich weigerte, den militärischen Eid vor der Landesflagge zu leisten und auch keine Uniform anzog.

Am 30. Mai ordnete die Militärstaatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Atahanov nach Artikel 344 Absatz 2 des Strafgesetzbuches an. Demnach stellt die „Verweigerung militärischer Pflichten durch Vortäuschung von Krankheit oder auf andere Art und Weise mit dem Ziel, eine vollständige Befreiung von den Militärdienstpflichten zu erreichen“ eine Straftat dar. Sie ist mit bis zu sieben Jahren Haft bewehrt.

Atahanov wurde dann in das Untersuchungsgefängnis AH-D/1 in Ashlyk überstellt. Das liegt 40 km südöstlich der Hauptstadt Aschgabad.

Am 15. Juli 2019 kam ein Richter des Stadtgerichtes Tejen zur Militäreinheit, um das Verfahren durchzuführen. Atahanov wurde nach Artikel 344 Absatz 2 zu vier Jahren Haft verurteilt. Noch am selben Tag legte er Berufung beim Regionalgericht Ahal ein. Derzeit befindet er sich wohl noch im Untersuchungsgefängnis in Yashlyk.

Appell der Großmutter ignoriert

Nach der Eröffnung des Verfahrens durch die Militärstaatsanwaltschaft wandte sich die Großmutter Raima Atahanova Anfang Juni an den Präsidenten und die Staatsanwaltschaft. Sie erklärte, dass die Verhaftung ihres Enkels und die Anklagen ungesetzlich seien und betonte, dass er als Kriegsdienstverweigerer niemals der Armee beigetreten sei.

Der Appell der Großmutter wurde der Militärstaatsanwaltschaft der Region Ahal übergeben. Der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, Maksat Dangatarov, lehnte ihn ab. In seiner Entscheidung vom 14. Juni 2019, die Forum 18 einsehen konnte, erklärte er, dass Atahanov wusste, dass er der Wehrpflicht unterliegt und sich dieser absichtlich verweigert habe. Er wies die Behauptungen von Raima Atahanova zurück und behauptete, dass durch die Untersuchung „zahlreiche Zeugenaussagen“ vorlägen, die die Strafverfolgung stützten. Er informierte die Großmutter am 14. Juni schriftlich über seine Entscheidung. Eine telefonische Nachfrage von Forum 18 im Büro der Staatsanwaltschaft am 23. Juli ergab den Eindruck, dass der Fall bekannt sei. Der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft sei jedoch nicht im Büro und niemand anderes könne sagen, warum die Anklage gegen Atahanov erfolgt sei.

Neun Kriegsdienstverweigerer sind im Arbeitslager Seydi inhaftiert

Mit der Verurteilung von Athanov sind es nun, am 23. Juli 2019, zehn Kriegsdienstverweigerer der Zeugen Jehovah, die Haftstrafen verbüßen. Neun von ihnen befinden sich unter harten Bedingungen im Arbeitslager Seydi in der Wüste der Region Lebap.

Die Adresse: 746222 Lebap velayat, Seydi, uchr. LB-E/12, Turkmenistan

Nach Angaben der Zeugen Jehovahs kamen drei Zeugen Jehovahs, die im Juli 2018 verurteilt worden waren, inzwischen wieder frei: Veniamin Gejiyev am 25. Juni, Ikhlosbek Rozmetov am 11. Juli und Maksat Jumadurdiyev am 17. Juli.

In seiner Beschwerde an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen hatte der ehemalige Gewissensgefangene Aibek Salayev die Bedingungen im Arbeitslager Seydi als „unmenschlich“ bezeichnet. Er stellte fest, dass das Lager „bekannt sei für die Überbelegung, die rauen klimatischen Bedingungen, die knappen Vorräte an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Körperpflegemitteln sowie für Tuberkulose, Hautkrankheiten, hohe Sterblichkeitsrate und körperlichen Missbrauch“. Ihm sei von Aufsehern auch Vergewaltigung angedroht worden.

Das UN-Menschenrechtskomitee stellt zur Inhaftierung von Salayev und eines anderen Zeugen Jehovas, Vladimir Nuryllayev, fest, dass die Anklagen erfunden seien um sie wegen ihres Rechtes auf Religions- und Glaubensfreiheit zu bestrafen und dass Salayev in Untersuchungshaft gefoltert wurde. Die Entscheidung wurde am 18. April 2019 veröffentlicht (CCPR/C/125/D/2448/2014).

Liste der bekannten Kriegsdienstverweigerer

Es sind derzeit zehn Kriegsdienstverweigerer bekannt, die Haftstrafen verbüßen:

1) Mekan Orazdurdiyevich Annayev, geboren am 22. Juni 1999, wurde am 26. Juni 2018 vom Stadtgericht Turkmenbashi zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

2) Isa Muslimovich Sayayev, geboren am 9. August 1994, wurde am 9. August 2018 vom Stadtgericht Koneurgench zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde am 11. September 2018 vom Regionalgericht Lebap abgewiesen.

3) Ruslan Khadynyaz oglu Artykmuradov, geboren am 24. Mai 2000, wurde am 13. August 2018 vom Bezirksgericht Sayat zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde am 11. September 2018 vom Regionalgericht in Lebap abgewiesen.

4) Sokhbet Rejepmyradovich Agamyradov, geboren am 4. Januar 2000, wurde am 27. August 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Regionalgericht Mary Berufung ein, das diese jedoch abwies.

5) Serdar Annamyradovich Atayev, geboren am 9. Juni 2000, wurde am 28. August 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Regionalgericht Mary Berufung ein, das diese jedoch abwies.

6) Gurbangylych Dovletovich Muhammetgulyyev, geboren am 15. März 2000, wurde am 28. November 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

7) Eziz Atabayev, geboren am 15. März 1998, wurde am 19. Dezember 2018 vom Stadtgericht Dashoguz zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Bezirksgericht Dashoguz abgewiesen.

8) Azamatjan Narkulyev, geboren am 9. November 2000, wurde am 7. Januar 2019 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

9) Muhammetali Charygeldiyevich Saparmyradov, geboren am 11. November 1995, wurde am 19. März 2019 vom Stadtgericht Bayramaly zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

10) Bahtiyar Amirjanovich Atahanov, geboren am 17. Juni 2000, wurde am 15. Juli 2019 vom Stadtgericht Tejen nach Artikel 344 Absatz 2 zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Regionalgericht Ahal Berufung ein.

Felix Corley: Turkmenistan – Conscientious Objector jailed for four years. 23. Juli 2019. Auszüge. Übersetzung: rf.

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