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USA: Kampagne für ein Ende der „Forever Wars“

Sanders, Warren, Ocasio-Cortez und andere Kongressmitglieder verpflichten sich, Amerikas permanente Kriege zu beenden

von Alex Emmons, Ryan Grim

(04.03.2019) Acht Mitglieder des Kongresses haben sich mit einer gemeinsamen Erklärung dazu verpflichtet, sich dafür einzusetzen, die „Forever Wars“, die anhaltenden weltweiten militärischen Konflikte der USA, in „verantwortungsvoller und vorteilhafter“ Art und Weise zu beenden. Das ist das Ergebnis einer beispiellosen Lobbyarbeit von Militärveteran*innen auf dem Capitol Hill.

Die Erklärung wurde von einer Gruppe unter dem Namen „Common Defense“ (Gemeinsame Verteidigung) verfasst und organisiert, die sich aus Veteran*innen und Angehörigen von Militärfamilien zusammensetzen. Sie setzen sich dafür ein, die Militäreinsätze der USA in Übersee zurückzufahren. In Common Defense sind mehr als 20.000 Veteran*innen aus allen 50 Bundesstaaten Mitglied. Zu den letzten Zwischenwahlen hat die Organisation fast 30 Kandidat*innen unterstützt.

Die Beteiligung der Organisation an Wahlkampagnen und ihre Lobbyarbeit auf dem Capitol Hill macht die Organisation in den Antikriegskreisen zu etwas Einzigartigem, da sich die Friedensgruppen historisch gesehen darauf konzentrieren, durch Straßenproteste und –märsche die Opposition gegen den Krieg zu mobilisieren. Jose Vasquez, der leitende Geschäftsführer der Organisation, ging 1992 in die Armee und wurde 2007 als Kriegsdienstverweigerer ehrenvoll entlassen, nachdem er sich der Antikriegsbewegung noch während seines Dienstes angeschlossen hatte. Er sagte, dass die meisten Antikriegsgruppen der Auffassung sind, dass „alle Politiker*innen korrupt sind und wir darüber keine Veränderungen erzielen können“, eine Einstellung, die auf die Proteste gegen den Vietnamkrieg zurückgeht.

„Es ist eine immer wieder kehrende Art: Aufstehen, Mahnwachen, außerhalb der Gebäude stehen und sie anschreien, samstags nach Washington D.C. kommen, wenn niemand hier ist. Wir möchten viel lieber hier sein und mit Leuten reden“, sagte er, als er und andere Veteran*innen auf dem Weg durch die Hallen des Longworth-Bürokomplexes zu einem Treffen mit der Abgeordneten Ilhan Omar (Demokraten Minnesota) gehen.

„Protest ist wichtig; Du kannst damit durch die Zahl deine Stärke zeigen. Aber es ist auch wichtig, an einem Tisch Platz zu nehmen.“

Bislang sind alle Unterzeichner*innen Mitglieder der Demokraten und die meisten von ihnen sind dem linken Flügel der Partei verbunden: Bernie Sanders und Elizabeth Warren; Omar und andere neue Abgeordnete. Alexandria Ocasio-Cortez, Ro Khanna und Rashida Tlaib; sowie der stellvertretende Vorsitzende des Progressiven Flügels des Kongresses, Mark Pocan. Common Defense bewirbt auch moderate Kongressabgeordnete, insbesondere aus den Swingstaaten sowie Demokraten. So konnte die Organisation auch die Unterstützung des Senators Jon Tester aus Montana erhalten, der in dem traditionell republikanischen Staat 2006 die Wahl gewinnen konnte, nachdem er von Berater*innen aus Washington Ratschläge erhalten hatte und eine populistische Kampagne startete, in der er den Irakkrieg verurteilte.

Die Unterzeichnung der Erklärung war für Omar nicht schwierig. „Krieg ist so sehr Teil der amerikanischen Kultur. Es ist so normal“, sagte sie. „Wir sprechen nur dann von den Veteran*innen, wenn wir über die Form der Unterstützung sprechen, die sie brauchen. Wir sprechen nie wirklich mit Veteran*innen darüber, wie Verteidigung aussehen sollte, und wo unser Einsatz angemessen ist und wo nicht. Und die, mit denen wir zumeist sprechen, sind Menschen, die vielleicht diese Einsätze geführt haben, nicht diejenigen, die alltäglich erschossen werden.“

Die progressiven Rebell*innen im Kongress haben sich um innenpolitische Ideen verdient gemacht, wie „Medicare for All“ (Konzept für eine staatliche finanzierte Krankenversicherung für Alle) und „Green New Deal“ (Konzept für eine ökologische Wende). Die Organisator*innen von Common Defense erhoffen sich, dass die US-Einsätze mit in diese Diskussionen einbezogen werden. Die Verpflichtung von Sanders und Warren, die sich erst kürzlich gegen die permanenten US-Militärinterventionen ausgesprochen hatten, könnten Auswirkungen auf die Vorwahlen der Demokraten 2020 haben. Bei einem Auftritt in MSNBC (Nationaler Fernsehsender) brach Warren im Januar mit den Top-Demokraten und sagte, dass die Entscheidung von Präsident Donald Trump, die Truppen aus Syrien und Afghanistan zurückzuziehen, „richtig“ sei. Sie charakterisierte die Politik des Pentagon als „für immer bleiben“. Auch Sanders hat inzwischen gesagt, dass Trump recht damit habe, die Truppen aus Syrien zurückzuziehen. Er fügte aber hinzu: „Ich kann nicht sagen, dass sie bereits morgen zurückkommen können.“

Für Common Defense ist Politik persönlich. „Wir beobachten die von den Taliban (in Afghanistan) regierten Gebiete, in denen wir stationiert sind und in denen unsere Freunde gestorben sind“, sagte Alexander McCoy, politischer Geschäftsführer von Common Defense. „Wie beobachten, wie Trump ganze Regionen destabilisiert. Wir beobachten unsere Freunde, mit denen wir bereits beim achten oder neunten Einsatz zusammen gedient haben. Und wir sehen, dass unsere Kinder nun alt genug sind, um sich zu melden und ernsthafte und harte Gespräche mit uns darüber führen müssen.“

 

Letzte Woche reisten 18 Mitglieder von Common Defense nach Washington D.C. und sprachen auf Dutzenden von Treffen mit demokratischen Kongressabgeordneten über ihre Erfahrungen. Sie baten sie, Erstunterzeichner*innen der Erklärung zu werden. Die Organisation wandte sich insbesondere an progressive Büros, wie dem Zeitplan für die Treffen zu entnehmen war, wie auch an Abgeordnete, die zum ersten Mal für die Demokraten im Kongress sitzen. Viele von ihnen wurden für die Wahlen zum Kongress aufgestellt, weil sie selbst Veteran*innen sind. Common Defense hofft, dass die Veröffentlichung der Erklärung am Montag dazu führen wird, dass weitere Kongressabgeordnete unterzeichnen, so McCoy.

In den Sitzungen der letzten Woche berichtete Peter Lucier, ein Organisator von Common Defense und Veteran der Marines, der in der Provinz Helmand in Afghanistan eingesetzt war, den Mitgliedern, wie er zusehen musste, dass Gebiete, in denen er seinen Dienst leistete, unter die Kontrolle der Taliban fielen. „Die Erfahrung des Krieges war unglaublich desillusionierend.“

„Die Erfahrung des Krieges war unglaublich desillusionierend.“

Die Gespräche von Common Defense mit den Veteran*innen stießen nach Angaben der Organisator*innen auf Resonanz, aber es war nicht genug, um weitere Unterzeichner*innen zu finden. Jason Crow, neuer Abgeordneter aus Colorado und ehemaliger Ranger der Armee, sagte den Veteran*innen, dass er verstehe, was sie antreibt. „Ich fühlte mich verstanden“, sagte Jason Hurd, der 10 Jahre als Sanitäter einer Kampfeinheit in der Armee gedient hatte und aus dem Westen Massachusetts stammt. „Er stimmt mit Sicherheit zu, dass diese Forever Wars abgeschlossen werden müssen. Es ist sehr wichtig, diese Gespräche zu führen.“

Alexander McCoy, ein Veteran der Marines und Mitbegründer der Organisation, sagte, Crow sei repräsentativ für die meisten Abgeordneten des Kongresses. „Er war ein gutes Beispiel dafür, wo die Demokratische Partei in der Außenpolitik steht – und wo es unklar ist. Er hat stark auf unsere Berichte über unseren Frust über den Krieg reagiert, darüber, dass über zwei Jahrzehnte hin niemand wusste, warum wir überhaupt da sind, dass wir Kinder sehen, die um den 9/11 herum geboren wurden und nun in die Armee gehen und in die Einsätze geschickt werden, aber er hatte auch viele Fragen dazu, welche verantwortungsvolle Alternative es geben könnte“, sagte McCoy. „Wie können wir die Einsätze in verantwortlicher Art und Weise beenden ohne Kollateralschäden zu verursachen?“

Die Erklärung lässt Raum für solche Gespräche, da das Wort „verantwortlich“ benutzt wird, um zu beschreiben, wie ein weltweiter Rückzug aus den Kampfeinsätzen seit den Angriffen vom 11. September 2001 erfolgen könne. 2001 genehmigte der Kongress Militäreinsätze gegen die für diese Angriffe verantwortliche Gruppe. Seitdem wurde diese Genehmigung des Kongresses sehr weit ausgelegt. Sie führte zur Bekämpfung von Gruppen wie dem Islamischen Staat, der am 9/11 noch gar nicht existierte.

„Die Vereinigten Staaten befinden sich seit 2001 in einem kontinuierlichen, weltweiten militärischen Konflikt mit offenem Ende. Mehr als 2,5 Millionen Soldat*innen haben in diesen Forever Wars in über einem Dutzend Ländern gekämpft – darunter Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Jordanien, Niger, Somalia und Thailand“, führt die Erklärung aus.

Weiter wird ausgeführt: „Ich verpflichte mich gegenüber dem Volk der Vereinigten Staaten von Amerika, und insbesondere gegenüber der Gemeinschaft der Militärangehörigen, dass ich dafür kämpfen werde, dass (1) der Kongress wieder das verfassungsmäßige Recht erhält über Entscheidungen der US-Außenpolitik zu Einsätzen in Übersee zu entscheiden und dass bei jedem militärischem Einsatz unabhängige Debatten erfolgen, und ich mich dafür einsetze, dass (2) die Forever Wars in verantwortungsvoller und vorteilhafter Art abgeschlossen werden.“

Die Lobbykampagne ist möglicherweise die erste ihrer Art seit Januar 2007, als neue demokratische Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat vereidigt wurden. Mehr als 100.000 Menschen marschierten auf der National Mall und forderten ein Ende des Irakkrieges. Am Tag danach trafen sich Hunderte Wähler*innen mit Abgeordneten und forderten sie auf, sich unter anderem dem Aufruf „Out of Iraq“ (Raus aus dem Irak) anzuschließen.

Die Initiative von Common Defense ist aber insofern einzigartig, als sie fast ausschließlich von Veteran*innen ausgeht und sich auf die Konflikte weltweit und nicht nur einen bestimmten Krieg konzentriert. „Ich denke, es gibt einen Grund, warum eine Organisation wie Common Defense vorher nicht existierte. Es liegt daran, dass diese Arbeit schwierig ist“, sagte McCoy. „Sie stellt den Status quo in Frage, wie auch die vorgefassten Meinungen vieler Menschen darüber, wer Veteran*innen sind.“

Common Defense wurde 2016 gegründet. Die Organisation ist aus Protesten von Veteran*innen gegen die Wahlkampagne von Trump hervorgegangen. Trump kämpfte im Januar desselben Jahres um seine Nominierung bei den Republikanern. Er boykottierte eine Fernsehdebatte in Fox News und hielt stattdessen eine Veranstaltung ab, bei der er nach eigenen Angaben 6 Millionen US-Dollar für Veteran*innen einsammelte.

Als die #Washington Post später die Richtigkeit dieser Zahl in Frage stellte und fragte, ob Veteran*innen tatsächlich Geld erhielten, begann eine Gruppe von Veteran*innen vor dem Trump Tower in New York zu protestieren. Einer der Organisatoren war McCoy, ein Veteran der Marines, bei denen er sechs Jahre lang Dienst leistete, und zu der Zeit als Stipendiat für Soldaten Student der Columbia Universität.

“Uns hat es stark berührt, dass Trump in seiner Kampagne ständig Veteran*innen als Requisiten benutzte, eine Kampagne, die sich so sehr auf Hass und Teilung stützte“, sagte McCoy, der jetzt politischer Geschäftsführer von Common Defense ist. „Wenn Veteran*innen tatsächlich für sich selber sprechen, stellt das die Vorstellung von Trump zum Militär in Frage.“

Perry O’Brien, ein Veteran der Armee, der Proteste von Veteran*innen gegen die Kampagne von Trump und seine Rhetorik organisierte, die nur Hass schürte, war auch regelmäßig bei den Protesten am Trump Tower dabei. Er kam mit McCoy ins Gespräch und nach McCoy entstand die Idee für Common Defense mit der Einsicht, wie effektiv der Protest war und wie wichtig es war, dass Veteran*innen für sich selbst sprechen.

Seitdem hat die Organisation Common Defense ihre Arbeit mit Lobbyarbeit im Kongress umgesetzt. Sie setzt sich unter anderem dafür ein, dass das von Trump erklärte Verbot des Einsatzes von Transgender im Militär aufgehoben wird. Sie unterstützt Überlebende sexueller Übergriffe im Militär. Und sie tritt für eine Entmilitarisierung der Grenzen ein.

Bei den Zwischenwahlen im November hat sich auch die Demokratische Partei gewandelt. Als Teil ihrer Strategie, das Repräsentantenhaus zurückzuerobern, warb das Wahlkomitee der Demokraten für den Kongress energisch bei Veteran*innen und ehemaligen nationalen Sicherheitsexperten, sich um ein Mandat zu bewerben. Infolgedessen sind viele der Abgeordneten der Demokraten Veteran*innen, wie Crow.

Wie ihr militärischer Hintergrund ihre Politik beeinflussen wird, ist noch offen. Aber Sprecher*innen von Common Defense erklärten The Intercept, dass es auch für Veteran*innen keine Entschuldigung dafür gebe, über die Kriege in Übersee zu schweigen. Und in manchen Fällen hätten sich diese Personen bei den Gesprächen mit der Organisation aufgeschlossener gezeigt.

„Ich denke, dass die (Demokraten) zu oft der Meinung sind, dass mit einem Kandidaten, der beim Militär war, vermieden werden kann, über Außenpolitik zu sprechen, dass damit eine Position zur nationalen Sicherheit auf der Hand liegt, da es ja ein Veteran ist, der offensichtlich etwas davon versteht“, sagte McCoy. „Und nicht darüber reden zu müssen und gegenüber der arbeitenden Bevölkerung keinen klaren Standpunkt zu beziehen, wofür man steht: Dafür wird das als Ausrede benutzt. Deshalb haben insbesondere Veteran*innen die Verantwortung, dies zu brechen.“

Omar, die als Kriegsflüchtling aus Somalia in die USA einwanderte, sagte, dass ihr Treffen mit den Veteran*innen emotional gewesen sei, da sie den Preis realisierte, den auch die zahlen, die den Krieg tragen, nicht nur die den Krieg selbst erleben. „Als ich ihnen zuhörte, war ich emotional berührt, weil ich nicht viel Zeit mit Menschen verbringe, die Krieg geführt haben“, sagte sie. „Ich nehme an, wir alle sind letztlich Überlebende und wir müssen alle mit den Folgen der Ereignisse leben. Ich hatte noch nie eine klare Einschätzung von Menschen gehört, die selbst eine Waffe in der Hand hatten.“

Die Veränderung der US-Außenpolitik wird jedoch viele Gespräche erfordern, erklärte sie. „Es gibt viele Leute hier, die sich dafür einsetzen müssten, auch sie müssen die Gespräche führen“, sagte Omar und verwies damit auf andere Abgeordnete des Kongresses. „Unsere Sicht des Krieges ist bestimmt von dem Gedanken an den Einfluss und es muss eine Menge passieren, um das Gegenteil zu lehren. Die Mehrheit der Abgeordneten, das sind wohlhabende Menschen, die ein komfortables und privilegiertes Leben geführt haben, oder es sind Menschen, die niemals wirklich dies Land verlassen haben. Was sie wissen, haben sie aus Filmen oder lesen es in den Briefings. Sie hatten nie wirklich ein Gespräch, das in Frieden und Gerechtigkeit wurzelt.“

Alex Emmons and Ryan Grim: Sanders, Warren, Ocasio-Cortez, and Other Lawmakers Sign Pledge to End America’s “Forever Wars”. The Intercept (USA), 4. März 2019. Übersetzung: rf. https://theintercept.com/2019/03/04/common-defense-congress-forever-wars-pledge/

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