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Weiblichkeit und Männlichkeit in Militarismus und Patriarchat

von Natalia García Cortés, Kolumbien

(16.04.2020) Militarismus kann aus verschiedenen Blickwinkeln heraus analysiert werden: von der Klasse über die Rasse bis hin zum Geschlecht. Es können Zusammenhänge zwischen Militarismus und anderen sozialen Problemen wie dem Klimawandel, interner und externer Vertreibung, Diskriminierung und vieles andere hergestellt werden.

Seit vielen Jahrzehnten kritisieren Feministinnen, wie Macht und Kontrolle in einem patriarchalen System funktionieren. Dies deckt sich mit der Kritik von Antimilitarist*innen an einer militarisierten Gesellschaft, was jedoch zu unterschiedlichen Handlungsoptionen und „Sprachen“ führt, um die gleichen Phänomene zu verstehen und zu ändern.1

Wenn wir den Militarismus durch die Linse des Patriarchats betrachten,2 wird es möglich zu verstehen, wie beides die gleichen Werte in sich trägt und auf vorherrschenden Zuschreibungen von Weiblichkeit und Männlichkeit beruht.

In einer aufschlussreichen Präsentation der feministischen Antimilitaristin Koldobi Velasco im Ersten Forum für Aktivismus, Menschenrechte und Soziale Gerechtigkeit in Las Palmas, Mallorca,3 beschrieb sie die Verbindungen zwischen Militarisierung4, Militarismus5 und Patriarchat. Sie führte aus, dass Patriarchat und Militarismus die gleichen Werte in sich tragen (Sie nannte diese Gegenwerte): Hierarchie, Gewalt, Gehorsam, Individualismus; Verachtung für das Leben, für die Menschen und die Umwelt; Autoritarismus; Frauen zu Opfern machen und sie gering schätzen; Uniformierung; Gleichschaltung; Ausschluss; Kontrolle. Patriarchat und Militarismus versuchen, Dissens zu unterdrücken und die Interessen der herrschenden Klasse zu verteidigen. Außerdem werden Frauenkörper kolonisiert, kontrolliert, als militärisches Ziel, als Waffe und als Schlachtfeld angesehen.

Das Patriarchat definiert Männlichkeit, männliche Rollen, ihre Werte, Charakteristika und verlangt, dass Männer sie erfüllen. Männer sollen sich jedes Mal und überall entsprechend dieser Anforderungen verhalten. Zugleich definiert es Weiblichkeit und wie Frauen sich überall und zu jeder Zeit verhalten sollen. Der Militarismus verwendet diese beiden Sets von Rollen und Charakteristika, um zu sagen, was wünschenswert ist und was nicht, was gefördert werden soll, was kontrolliert und beherrscht werden soll und wie dies geschehen soll.

Ich habe oft gehört, dass Frauen, insbesondere feministische Frauen, sich nicht über die aktuelle Situation beschweren sollten, in der wir leben. In vielen Ländern können wir wählen, wir können an Universitäten studieren, wir haben Zugang zu Arbeitsplätzen (auch wenn wir niemals gleichwertig wie unsere männlichen Kollegen bezahlt werden und wir auch nicht die gleichen Karrieremöglichkeiten haben), und in den meisten Ländern müssen wir keinen Militärdienst ableisten. Was sagen Frauen angesichts dessen und der uns betreffenden Umstände zu Krieg, Militarismus und einem verpflichtenden Militärdienst? Warum sollten wir uns damit befassen? Das scheint nicht klar zu sein, weil es den Eindruck macht, dass die einzigen, die davon „direkt“ betroffen sind, die Männer sind, da sie üblicherweise rekrutiert werden – zumeist zwangsweise – um Waffen zu tragen. Aber die Wahrheit ist, dass dies sowohl Männer wie Frauen betrifft, auf besondere und unterschiedliche Art und Weise, durch den Militarismus.

Wir sind es gewohnt, in einer patriarchalen Kultur zu leben, so dass wir kaum wahrnehmen können, dass wir versuchen, so zu denken und uns so zu verhalten, wie es das System will. Selbst wenn wir uns die Zeit nehmen, diese auferlegten Werte und Rollen in Frage zu stellen, ist es schwierig und benötigt Zeit, um sie zu ändern.

Streitkräfte und Polizei repräsentieren eindeutig traditionelle männliche Rollen. Was von Militär- oder Polizeibeamten verlangt wird, ist genau das, was Männer sein sollen. Manchmal werden Männern verschiedene Möglichkeiten angeboten, diese männlichen Erwartungen zu erfüllen,6 Macht auszuüben und diese Werte zu nutzen; Nicht alle, die zur Armee gehen oder den Militarismus unterstützen sind Soldaten, einige Männer erfüllen Verwaltungsaufgaben, investieren in die Militärindustrie oder arbeiten für Technologieunternehmen oder Banken, die vom Krieg profitieren. Und selbst wenn Männer dieser auferlegten Männlichkeit nicht folgen wollen, nicht zur Armee gehen oder nicht den Militärdienst ableisten wollen, werden sie dazu gezwungen oder gedrängt, weil sie keine andere Arbeitsmöglichkeit haben, oder weil sie keinen Zugang zu Leistungen haben, wie z.B. Ausbildung, öffentliche Leistungen oder Reisefreiheit innerhalb oder außerhalb des Landes, solange sie nicht ihren Militärdienst abgeleistet haben.

Aber auch Frauen gehen zur Armee, aus vielen Gründen. Einige tun dies aus einer Tradition heraus, andere, weil sie das Bedürfnis haben, ihr Land zu schützen, oder weil sie den Beitritt zur Armee als vernünftige und lohnenswerte Arbeitsmöglichkeit ansehen. Viele möchten vielleicht den Erwartungen an ihre Geschlechterrolle entkommen. Aber wenn man genauer hinschaut, ändert sich nichts an den Strukturen, nur leichte Rollenänderungen auf einer persönlichen Ebene. Die Streitkräfte sind nicht weniger patriarchal, weniger gewalttätig oder egalitärer durch die Einbeziehung von Frauen, auch wenn dies die Absicht vieler Armeen und Polizeikörperschaften ist: Es ist nur ein sogenanntes Purplewashing7, wie es erst kürzlich in einem Bericht vom Centrè Delás genannt wurde.8

Das patriarchale System findet immer neue Wege, um kritische Ideen, Diskurse und Praktiken zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Die Gesetzgebung in verschiedenen Ländern nutzt mehr denn je einen Diskurs zur Gleichstellung der Geschlechter, um Frauen in ihre eigenen gewalttätigen und militärischen Strukturen einzubinden. Zum Beispiel hat die Arbeiterpartei in Mexiko vorschlagen, das Militärdienstgesetz zu reformieren, um die Wehrpflicht für Frauen einzuführen. In Finnland hat die Regierung den Vorschlag gemacht für Frauen einen Zivildienst einzuführen.

In Kolumbien hat die neu gewählte Bürgermeisterin nach den Protesten im November und Dezember 2019, bei denen die Anti-Aufstands-Einheiten (ESMAD) extreme Gewalt ausgeübt haben, angesichts von neuen Demonstrationen im Januar eine „Lösung“ vorgeschlagen, um eine ähnliche Situation zu vermeiden. Die Anti-Aufstands-Einheiten sollten nicht bei den Demonstrationen eingesetzt werden, sondern stattdessen die Mütter der Polizisten!9 Ich weiß, das klingt wie ein Scherz, es ist aber keiner. Der Vorschlag war, die Einheit durch die Mütter der Polizisten zu ersetzen, damit die Menschen während der Proteste keine Graffitis sprühen und sich keine Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern. Die patriarchale Kultur hat die Rolle der Mütter in unseren Gesellschaften immer verachtet und ihre Arbeit immer als unproduktiv und unwichtig angesehen. In dieser speziellen Situation wären sie jedoch nützlich, wenn sie die Rolle der Polizei und der Anti-Aufstands-Einheit übernehmen würden.

Der Militarismus ist die verschärfte Form der Werte einer patriarchalen Kultur. Er ist Teil der Medien, der Ausbildung, die wir erhalten, Teil unseres Lebens und sogar unserer Beziehungen und sozialen Interaktionen. Und das ist die Falle. Es scheint so normal, so selbstverständlich, so offensichtlich zu sein, dass niemand es wagt es in Frage zu stellen oder zu sehen. Glücklicherweise haben wir Antimilitarist*innen, inspiriert von feministischer Analyse und Aktivismus, die die Beziehungen zwischen Patriarchat und Militarismus im Laufe der Jahre immer wieder und immer häufiger aufgezeigt und in Frage gestellt.

Fußnoten

1 https://www.portaloaca.com/articulos/antipatriarcado/5412-el-militarismo-iun-refuerzo-a-la-ideologia-patriarcal.html

2 Ein Herrschaftssystem dass auf die Unterdrückung und Kontrolle durch eine Gruppe (Männer-maskulin) über eine andere (Frauen-feminin) beruht, um ihre Privilegien aufrechtzuerhalten, gewöhnlich über eine Praxis und Idee von Gewalt.

3 www.youtube.com/watch?v=IE7PHHdQqpA&feature=emb_title

4 Präsenz und Vorkommen der Streitkräfte in verschiedenen Institutionen und Aktionen mit privater und/oder öffentlicher Finanzunterstützung

5 Ideologie, die die Militarisierung von Gesellschaften unterstützt. Rechtfertigt militärische Reaktionen und damit die Existenz von Armeen für nationale und internationale Konflikte, getarnt als Sicherheit und Schutz für die Bevölkerung

6 https://wri-irg.org/es/story/2010/militarismo-y-masculinidades

7 Instrumentalisierung von Frauen und Feminismus um ein falsches Bild von Geschlechtergerechtigkeit und Modernität zu vermitteln

8 Center of Research zu Themen bezüglich Abrüstung und Frieden im Spanischen Staat: http://www.centredelas.org/images/INFORMES_i_altres_PDF/Informe41_SpanishArmyPurplewashing_ES_ENG_web_DEF.pdf

9 https://www.elespectador.com/noticias/bogota/los-reparos-al-papel-de-las-madres-gestoras-de-paz-en-bogota-articulo-901791

Natalia García Cortés hat an der National University of Colombia in Bogotá im Bereich Gender and Feminist Studies studiert. Derzeit arbeitet sie für das Right to Refuse to Kill Programme für die War Resisters‘ International.

Natalia García Cortés: Femininities and masculinities: Analysing militarism through the lens of patriarchy. 16. April 2020. In: The Broken Rifle Issue 112, 16. April 2020. https://wri-irg.org/en/publication/broken-rifle/112/broken-rifle. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Oktober 2020

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