André Shepherd

André Shepherd

"Vielen Dank für diese wundervolle Anerkennung"

André Shepherd erhält den Menschenrechtspreis der Stiftung Pro Asyl

von André Shepherd

(12.09.2015) Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für diese wundervolle Anerkennung. Die standhafte Solidarität mit dem zu sehen, wofür wir streiten: Das wärmt mein Herz.

Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, allen Organisationen und Einzelpersonen zu danken, die diesen Weg mit mir gegangen sind. Ich danke Connection e.V., dem Munich American Peace Committee (MAPC) und Pro Asyl: Von Anfang an habt ihr mir die finanzielle und emotionale Unterstützung gegeben, die ich so dringend brauchte. Ich glaube nicht, dass ich ohne Euch so weit gekommen wäre.

Ich danke Dr. Reinhard Marx, meinem Rechtsanwalt: Ihre Kompetenz und Ihr Wissen haben mir dabei geholfen, meine innersten Gedanken zu sehr wichtigen Themen besser ausdrücken zu können, was uns die dringend benötigte Munition lieferte, gegen alle Widrigkeiten zu kämpfen.

Ich danke den verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen, denen ich während meiner Reisen begegnet bin und den Leuten von überall auf der Welt, die mir ihre Solidarität ausgedrückt haben: Eure Liebe und Unterstützung haben mir gegen jeden Zweifel das Gute im Menschen bewiesen und mich darin bestärkt, dass der Weg, den ich gewählt habe, der richtige war.

Ich danke den Journalisten und Dokumentarfilmern, die hart daran gearbeitet haben, diese Geschichte stimmig wiederzugeben und sie der Öffentlichkeit immer wieder in Erinnerung zu bringen.

Und ich danke meinen Freunden, meiner Familie und den Deutschen: Wir hatten gute und schlechte Zeiten. Zusammen haben wir Siege gefeiert und Niederlagen bedauert. Aber durch all das haben wir eine Verbundenheit geschaffen, die durch nichts gebrochen werden kann. Ihr habt alle einen besonderen Platz in meinem Herzen und ihr habt auf mich einen Eindruck hinterlassen, den ich nie vergessen werde.

Ich möchte auch alle unschuldigen Männer, Frauen und Kinder aufrichtig um Entschuldigung bitten, die wegen der Handlungen meiner Regierung leiden oder sterben mussten. Viele wussten nicht, was wir tun werden, als der Krieg begann, aber seien sie sich sicher, dass wir und die Menschen überall auf der Welt hart daran arbeiten, dieses Unrecht wiedergutzumachen.

Obwohl heute ein Tag zum Feiern ist, müssen wir kurz inne halten und die Themen diskutieren, die uns erst zusammengebracht haben. Ich bin sicher, dass viele Leute sich fragen, warum ich so einen extremen Weg gewählt habe. Ein Hinweis: Es hatte nichts mit Röcken und Bier zu tun! J

Ich bin ein Mann, der vor 20 Jahren das Gymnasium abgeschlossen hat, mit dem Traum, zu studieren, einen guten Job zu finden, zu heiraten und mein Leben in Frieden zu verbringen. Das ist es, was wir in den Staaten den „amerikanischen Traum“ nennen. Mit den Attacken auf das World Trade Center hat sich jedoch alles verändert. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich 14 Jahre später in einen Rechtsstreit auf der anderen Seite der Welt verwickelt sein würde, in dem mein Gegner dieselbe Regierung ist, der ich vor Jahren einen Treueeid geschworen hatte.

Das ist für mich sehr belastend, weil es sich um das Land handelt, in dem ich groß geworden bin. Es ist fast so, als ob man sich mit seinen Eltern über genau die Werte streiten würde, die sie einem vermittelten. Bitte bedenken Sie, dass ich die Regierung in Washington D.C. meine, wenn ich über die USA spreche. Die Bevölkerung sind wunderbare Menschen, die ich jederzeit willkommen heißen würde und gegen die ich nichts habe.

Ich sehe diesen Konflikt und andere, wie z.B. den von Joshua Key, als einen, in dem Soldaten ihre Regierung daran erinnern, dass sie sich auf einem wahnwitzigen Irrweg befindet. Wir wollen nicht die Regierung stürzen. Wir wollen die Republik bewahren. Dennoch ist die Regierung soweit von ihren ursprünglichen Verpflichtungen abgekommen, dass man handeln muss um etwas zu korrigieren. Das ist es, was wir als Soldaten geschworen haben: die Verfassung gegen ALLE Feinde zu verteidigen, von AUSSEN wie von INNEN.

Ich habe das Militär verlassen, weil die Vereinigten Staaten die Welt über ihre Absichten im Krieg gegen den Terror belogen haben, und weil es keine Möglichkeit gab, meine Bedenken innerhalb des Militärsystems zu formulieren. Ich sah mich mit der Entscheidung konfrontiert, gezwungenermaßen weiter direkt oder indirekt an Gräueltaten beteiligt zu sein oder die Armee zu verlassen. Nach wie vor bin ich gesetzlich dazu verpflichtet, gegen illegale Handlungen zu protestieren, auch und gerade dann, wenn es mich persönlich betrifft oder die Befehle meiner Einheit.

Ich habe den Weg des Asyls gewählt anstatt mich selbst auszuliefern, weil ich keine Chance sah, innerhalb des rigiden Rechtssystems des Militärs Gerechtigkeit zu erfahren. Soldaten, die sich beschweren, Straftaten aufdecken oder sich aus solchen Situationen durch selbstgewähltes Exil entfernen, sollten nicht bestraft werden. Leider ist das nicht die Realität.

Tausende Soldaten, die solchen Widerstand geleistet haben, wurden in den USA inhaftiert. Die berühmtesten Fälle sind Bradley (Chelsea) Manning und Agustín Aguayo. Aktuell gibt es immer noch Tausende Soldaten die irgendwo auf der Welt untergetaucht sind, weil sie sich weigern, Washingtons imperialistische Pläne zu unterstützen. Wir Verweigerer wollen einfach die Möglichkeit haben, unser Recht auf Leben, auf Freiheit und auf ein glückliches Leben genießen zu können.

Im Moment läuft das Asylverfahren noch. Die letzte große Hürde war Ende Februar 2015 das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das zweifellos den nun folgenden Prozess im Verwaltungsgericht München beeinflussen wird. Nachdem ich das Urteil in den letzten sechs Monaten mehrfach gelesen habe, muss ich sagen, dass es so geschrieben ist, dass beide Seiten gewinnen könnten. Für mich sieht allerdings so aus, dass die entscheidende Frage in diesem Fall völlig untergeht: Ob Soldaten und Soldatinnen das Recht haben, eine eigene Entscheidung über einen bestimmten Konflikt zu treffen, ob sie für sich selbst entscheiden können, daran teilnehmen zu wollen oder nicht. Angesichts meiner persönlichen Erfahrung und der Flut von Lügen, der wir ausgesetzt waren, glaube ich, dass dieses Recht ernsthaft in Erwägung gezogen werden sollte.

Trotz all dieser Herausforderungen werden wir weiterkämpfen.

Die große Tragödie ist, dass das Militär und seine Mitglieder dahingehend manipuliert wurden, an einem Konflikt teilzunehmen, in dem wir nicht hätten sein dürfen. Die Botschaft war klar, als wir an einem kalten Dezembertag 2004 benachrichtigt wurden, dass es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gab. Worte können das ohrenbetäubende Schweigen, das folgte, nicht beschreiben. Es gibt einen Grund, warum die daraus folgende Frage lautete: „Wann gehen wir zurück?“. Seien Sie sicher, dass auch meine Kollegen, Soldaten, Piloten und Matrosen genauso Opfer dieses Krieges gegen den Terror waren wie die unschuldigen Zivilisten und ich bitte Sie auch für sie zu beten.

Ich möchte sie auf die aktuelle Flüchtlingskrise hinweisen, die momentan in Europa herrscht. Ich muss sagen, dass diese Krise ein direktes Ergebnis des militärischen Desasters ist, das uns bis heute verfolgt. Die aktuelle Destabilisierung des Mittleren Ostens hat einen humanitären Notstand ausgelöst, den man sich vor 10 Jahren nicht hätte vorstellen können. Ich möchte meine Anerkennung ausdrücken, für die Millionen Europäerinnen und Europäer, die ihre Herzen öffnen und denen helfen, die Hilfe benötigen. Es wärmt mein Herz, Menschen zu sehen, die sich gegenseitig helfen.

Es ist auch interessant, die Diskussion in den Medien darüber zu verfolgen, wie man mit den Flüchtlingen umgehen soll. Aber es wird kaum erwähnt, warum diese Menschen hierher kommen mussten. Obwohl offensichtlich ist, dass diese Menschen unsere Hilfe brauchen, beklagen einige immer noch, dass sie sie nicht hier haben wollen. Diesen Punkt kann ich leicht beantworten:

1. Wenn man keine Fluchtbewegungen haben will, muss man aufhören, sich in andere Länder einzumischen! Das schließt von den USA angeführte Stellvertreterkriege gegen jeden, den Washington als Bedrohung sieht, mit ein. Man braucht nicht lange, um herauszufinden, dass aus all den Gegenden, in denen die NATO hineingegangen ist, eine große Zahl von Flüchtlingen kam.

2. Zu der Frage “Was soll man mit den Flüchtlingen tun?”: Ich glaube, dass unseren Mitmenschen geholfen werden muss, so wie auch mir geholfen wurde. Wir sollten diesen Menschen helfen, einen höheren Lebensstandard zu erreichen. Was ich meine ist, dass die Flüchtlinge ermutigt werden sollten, die Sprache zu lernen, und die kulturellen Unterschiede zu respektieren, die ihnen begegnen werden.

Solch eine Strategie würde nicht nur den Integrationsprozess fördern, sondern auch den Frieden wahren, wenn Kulturen sich begegnen. Ich sage das nur aus meiner persönlichen Erfahrung: Es hat bei mir und vielen anderen, die durch das Asylverfahren gegangen sind, positiv gewirkt. Wie das alte Sprichwort sagt: „Gib einem Mann einen Fisch und er wird für einen Tag zu essen haben. Lehre ihn zu fischen und er wird immer zu essen haben.“

Es ist gut, dass die Flüchtlinge hier sind. Es ist ein Weckruf für die Öffentlichkeit. Man kann sich nicht länger die Nachrichten ansehen und einfach umschalten, denn in der Realität kann man den Sender nicht wechseln. Wie wir schon seit Jahren sagen, diese Ereignisse betreffen uns alle. Es ist nicht Sache der Regierungen, nicht Sache der Behörden, nicht Sache der Kirchen, es ist an uns, die notwendigen Veränderungen zu erreichen, um eine Welt zu schaffen, in der wir leben wollen. Wir haben alle einen gesunden Verstand und Körper, um diese wunderschöne Welt zu einem Ort der Liebe, des Friedens und der Harmonie zu machen.

Es ist wahr, dass wir in sehr interessanten Zeiten leben. Manchmal sind sie geradezu beängstigend, wenn man darüber nachdenkt. Aber ich muss sagen, ich bin dankbar, zu solch einem entscheidenden Zeitpunkt der Geschichte zu leben. Wenn wir Erfolg haben, können unsere Kinder eine Welt erben, in der es sich lohnt zu leben. Danke fürs Zuhören.

André Shepherd: Dankrede anlässlich der Verleihung des Menschenrechtspreises von Pro Asyl. 12. September 2015. Übersetzung: as und rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2015

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