André Shepherd

André Shepherd

"Zu Recht bekommen Sie den Menschenrechtspreis von Pro Asyl"

Laudatio für US-Deserteur André Shepherd

von Gigi Deppe

(12.09.2015) Lieber André Shepherd,

Meine Damen und Herren,

ich berichte seit vielen Jahren von den obersten Gerichtshöfen in Deutschland und von den europäischen Gerichtshöfen, und sehr viele Verfahren, die ich über die Jahre beobachtet habe, haben eine Gemeinsamkeit: Sehr viele Verfahren würden nicht geführt, wenn nicht eine einzelne Person eine gewisse Querköpfigkeit beweisen und mit aller Entschiedenheit sagen würde: „Ich will das nicht!“ oder „Ich will das nicht mehr!“. Der Ruf der Querköpfe in der Justiz ist legendär. Häufig hört man die Richterschaft laut seufzen: „Schon wieder so einer“. Teils wird offen darüber gesprochen, dass es sich bei der Klägerin X um eine Querulantin handelt oder dass der Beschwerdeführer Y gerichtsbekannt ist, weil er immer wieder ankommt und weil er ja gar nichts einsehen würde. Aber es gibt durchaus in der Justiz auch die Erkenntnis: Die Querköpfe, die bewegen etwas. Ohne sie wäre mancher Kampf nicht ausgefochten. Ohne sie wäre die Zivilgesellschaft deutlich ärmer. Dass wir zum Beispiel auf Flughäfen gegen Abschiebungen protestieren können, verdanken wir einer hartnäckigen Klägerin, die nicht die Mühe gescheut hat, durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Oder - anderes Beispiel: Dass wir Schadensersatz bekommen, wenn Gerichte in ihrer Bearbeitung zu langsam sind, dass wir also ein Druckmittel haben, wenn das Recht auf sich warten lässt. Auch das verdanken wir einem sehr querköpfigen Mann, der dieses Recht 2005 vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritten hat. Drittes Beispiel: Dass wir über Missstände bei der Arbeit in aller Deutlichkeit reden können, ohne gleich die Kündigung zu befürchten, das verdanken wir einer Altenpflegerin, die über die Lage in Altenheimen öffentlich berichten wollte und dann einen langen Atem bewies, bis sie endlich Recht bekam.

Also – lange Vorrede - ein Lob auf die Menschen, die sagen: Ich will das nicht. Ich will das nicht mehr. Und ich bleibe dabei. Ich stehe dazu. Selbst wenn es mich viel kostet. Auch Sie, André Shepherd, hat dieser Satz: „Ich will das nicht mehr“ viel gekostet. Sie können nicht mehr zurück in die USA, es ist schwierig für Sie, Ihre Familie zu sehen. Ich nehme an, dass Sie immer wieder mal Ihr Zuhause vermissen, dass es auch ein Schmerz ist, daran zu denken. Wie schön es wäre, mal wieder diesen oder jenen von der Schule zu treffen, mal wieder die Straßen der Kindheit entlang zu gehen oder altvertraute Gerüche zu riechen. Sie haben zwar in Deutschland ein neues Zuhause. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er Sie nicht doch ab und zu überfällt – der Gedanke: Wie wäre es, jetzt dort zu sein, da wo ich herkomme, wo meine Wurzeln sind...

Aber, Sie haben gesagt: „Nein, ich will das nicht. Nein, ich will das nicht mehr.“ Mit einer Konsequenz, die uns allen Bewunderung abnötigt.

Natürlich denken wir in Deutschland alle an das Gedicht, das Wolfgang Borchert nach dem Krieg 1947 geschrieben hat. Da gibt es zwar keinen Bezug zu einem, der die Apache-Hubschrauber wartet, so wie Sie es getan haben. Aber der Aufruf richtet sich ganz klar an den, der nicht selbst tötet, sondern „nur“ (in Anführungsstrichen!) Hilfeleistungen für die Soldaten an der Front erbringt. Da heißt es zum Beispiel: Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins: Sag NEIN! Oder: Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins: Sag NEIN! Ich denke, Borchert hat bestimmt auch diejenigen gemeint, die Kampfhubschrauber warten. Auch für die hat es sicherlich aus seiner Sicht nur eines gegeben: Sag NEIN.

André Shepherd. Sie haben NEIN gesagt. Sie sind desertiert. Desertieren, das ist für viele ein heftiges Wort. Ein heftiger Vorgang. Desertion löst bei vielen Soldaten Wut aus. Da ist von Verrätern die Rede, von Kameradenschweinen. Von Drückebergern, von Schwächlingen, von Feiglingen. Lange Zeit wurde das auch in Deutschland so gesehen. Erst mit der historischen Aufarbeitung des Schicksals der Wehrmacht-Deserteure, die in den 80ziger Jahren begann, haben sich öffentlich andere Sichtweisen etabliert.

Zu Anfang haben Sie sich nichts dabei gedacht. So haben Sie es mir geschildert. Sie waren in Geldnot, mussten Ihr Informatikstudium abbrechen, haben im Auto geschlafen. Haben gedacht, ok. Beim Militär, da gibt’s regelmäßig Geld. Da bin ich körperlich gefordert, als Mann gefordert. Sie haben so gedacht wie viele andere junge Männer auf der Welt, egal in welchem Land. Worum es da geht, das wird ausgeblendet. Dass es da um das Töten geht. Streckenweise auch um das Morden. Wir denken an den Satz von Kurt Tucholsky „Soldaten sind Mörder“. Ein provokanter Satz, ein Satz, der junge Männer, wie Sie einer waren, aufwecken sollte. Sie haben den Satz von Tucholsky damals, als Sie sich verpflichteten, sicher nicht gekannt. Sie trauten sich einfach einiges zu, waren vielleicht auch unbedacht. Aber dann wurde Ihnen klar, was Sie tun. Worauf Sie sich da eingelassen hatten. Und davor habe ich sehr viel Respekt. Sie waren offen. Sie haben sich berühren lassen. Von dem Schicksal der Zivilisten, die in Falludscha umgebracht worden waren. Wir müssen daran erinnern. Amnesty hat die Zahlen veröffentlicht: “Im April (2004) kamen in Falludscha infolge solcher Angriffe Berichten zufolge mindestens 600 Zivilpersonen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, ums Leben.“ André - Sie wollten da nicht mehr mitmachen. Sie wollten kein Rädchen in der Maschinerie des Tötens sein. Respekt, dass Sie so offen waren. Dass Sie bereit waren, den anderen, den irakischen Zivilisten, den Mann, die Frau oder das Kind zu sehen. Als Mensch. Und dass Sie diesen Respekt vor dem anderen so hoch gehalten haben, dass alle militärische Logik dagegen nicht ankam. Ich kann mir bestens vorstellen, wie da intern argumentiert wurde: Wir müssen das machen, weil.... Wir wissen nicht - das könnten alles Terroristen sein. So viele von uns sind schon gestorben. Sonst verlieren wir den Krieg. Diese Logik war Ihnen sicher vertraut. Sie haben sie gekannt, Sie hatten sie vielfach gehört. Und trotzdem war der Respekt vor den Zivilpersonen, vor denen, die nichts für den Krieg können, größer. Ihre Sensibilität und Ihre Unbestechlichkeit in dieser Frage beeindruckt mich, beeindruckt hier viele.

Ja, und dann kam Schritt zwei. Der Schritt zu sagen. Da mache ich nicht mehr mit. Das will ich nicht mehr. Ich bin sicher, als Ihnen der Gedanke kam, wussten Sie ziemlich schnell: Das wird kompliziert. Das wird anstrengend. Das wird gefährlich für mich, überhaupt diesen Gedanken zu haben. Aber Sie sind dabei geblieben. Ihr Eigensinn, Ihre Querköpfigkeit war stärker. Trotz der Gefahr. Was Ihnen alles drohte. Das war sehr mutig. Sie hatten aus Ihrer Sicht keine Wahl. Und da haben Sie gesagt. Ich will nicht mehr mitmachen. Also muss ich mutig sein. Mir bleibt gar nichts anderes übrig.

Ich kann mir vorstellen, was die Leute in Ihrer Einheit dazu gesagt haben. Sicher haben einige gesagt: Ist der verrückt? Andere haben vielleicht gesagt: Der spinnt, der hat doch nur Hubschrauber gewartet. Was hat der denn? Und wieder andere, vielleicht Ihre Vorgesetzten, vielleicht die Generäle werden gedacht haben: Wenn das Schule macht. Das können wir nicht gebrauchen.

Wir wissen: Ein militärischer Apparat kann sehr unbarmherzig sein – und er war es auch bei anderen, die ähnlich denken wie Sie.

Sie sind auf Ihrem Weg weiter gegangen, haben in Deutschland Asyl beantragt. Und seitdem streiten Sie vor Gericht. Wieder etwas, was mir Respekt abnötigt. Wieder eine aufwendige und aufregende Prozedur, die viel Nerven kostet. Ganz zu schweigen von den Kosten – auch wenn es dafür Unterstützung von Pro Asyl gibt. Keine Ahnung, ob Ihnen mittlerweile alles einleuchtet, wie das so in Deutschland und in Europa läuft. Wie die Juristen ticken. Wie sie argumentieren. So ein Prozess wäre auch für jemanden, der hier geboren wurde und der Deutsch als Muttersprache hat, ein großes Wagnis. Sie kommen dazu noch aus einem ganz anderen Kulturkreis. Vermutlich wäre auch an US-amerikanischen Gerichten manches Neuland für Sie. Aber hier in der Fremde ist so ein Prozess eine große Unbekannte.

Und dann ist das Ganze sogar vor dem Europäischen Gerichtshof gelandet. Wieder Neuland. Ich glaube, Sie haben es auch ein wenig sportlich gesehen. Nach dem Motto: Jetzt erst recht. Der Ausgang beim EuGH war für Sie unbefriedigend. Das Verfahren ist weiter offen. Jetzt muss das VG in München die Sache prüfen. Und wir wissen: Das dauert. Die Vorgaben des EuGH sind so, dass ein Sieg beim Verwaltungsgericht nicht sicher ist. Gut möglich, dass es dann weiter durch die Instanzen geht. Gut möglich, dass Sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen müssen. Das heißt, es geht noch eine ganze Zeit. Das ist mühsam, lästig, bedeutet Unruhe. Aber Sie beweisen Beharrlichkeit und sehr viel Durchhaltevermögen. Auch das finde ich beeindruckend.

Wir profitieren davon. Denn wir sind zum Nachdenken gezwungen. Wie war das mit dem Irakkrieg? Wer hat ihn begonnen? Warum? Was ist da passiert? Denn noch heute erleben wir die Folgen dieses Krieges. Er hat eine ganze Region destabilisiert. Noch heute kommen täglich Iraker zu uns, die in ihrem Land nicht mehr leben können und wollen.

Wir sind gezwungen, Stellung zu beziehen. Und das bedeutet automatisch auch: Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir mit denen umgehen, die sich solchen Kriegen verweigern. Da geht es nicht nur um US-amerikanische Soldaten. 8000 Deserteure allein im ersten Jahr des Irakkrieges. Die sind belegt. Wobei es insgesamt sicher noch sehr viel mehr waren. Außerdem gibt es Deserteure aus vielen Ländern. Wir denken an die jungen Eritreer, die alle ihr Land verlassen; ein Land, in dem es keinerlei Möglichkeit gibt, den Kriegsdienst zu verweigern. Das Desertion auf das heftigste bestraft. Oder wir denken an die Kriegsdienstverweigerer aus Südkorea. Rund 700 Menschen sollen dort zurzeit in Haft sein. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht. Üblicherweise werden die, die sich dem Militärdienst verweigern, zu 18 Monaten Haft verurteilt werden.

Dank Ihres Engagements, André, ist diese existentielle Frage: ‚Wie gehen wir mit Kriegsdienstverweigerern um? Bekommen sie hier Asyl?‘ zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gekommen. Und dieses Gericht hat ganz grundsätzlich für alle 28 Länder der EU festgelegt, welche Maßstäbe gelten sollen. Nun gab es im letzten Februar, als das Urteil fiel, heftige Kritik an den Luxemburger Richtern. Deutlich spürbar – eine allgemeine Enttäuschung, zumal die Generalanwältin, also die gerichtsinterne Gutachterin, ein paar Monate vorher ein Votum abgegeben hatte, das den Kriegsdienstverweigerern deutlich mehr entgegen kam. Ich kann auch nicht sagen, André, dass mit der EuGH- Entscheidung Ihre Chancen auf Asyl gestiegen wären. Die Luxemburger Richter haben ein paar hohe Hürden aufgestellt, und die bremsen einen möglichen Optimismus.

Aber ich habe mir das Urteil – für diese Veranstaltung – noch einmal genau angesehen, und ich finde, André, Sie haben doch schon einige Fortschritte erreicht. Die darf man nicht außer Acht lassen. Da können Sie stolz sein.

Die EU-Richter haben gesagt: Nicht nur der, der ein Gewehr in der Hand hat, ist asylberechtigt. Sondern auch die, die im Hintergrund arbeiten, die, die den militärischen Einsatz durch Unterstützungshandlungen möglich machen. Das ist ein großer Fortschritt, über den, da bin ich mir sicher, Wolfgang Borchert sehr glücklich wäre. Damit steht fest: Auch die im Hintergrund agieren, sind moralisch für einen Krieg verantwortlich. Auch die, die nur helfen, feuern eine militärische Auseinandersetzung an. Das ist als europäischer Grundkonsens neu, jetzt aber festgeschrieben. Dank Ihnen, André.

Weiter verlangen die EU-Richter, dass ein Asylsuchender nachweist: In Zukunft wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Konflikt zu Kriegsverbrechen kommen. Das erscheint vielleicht schwierig. Man kann es aber auch anders herum sehen: Die Richter verlangen nicht, dass feststeht, dass bereits Kriegsverbrechen begangen wurden. Ja, es kann auch nicht verlangt werden, sagen sie, dass die Handlungen bereits vom Internationalen Strafgerichtshof geahndet wurden. Es reicht die Prognose. Auch dieser Punkt ist neu und für 28 Staaten in Europa festgelegt. Die Einschätzung muss zwar Hand und Fuß haben. Es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit geben. Aber ich gehe davon aus: Jemand, der wie Sie diesen Weg bestreitet, tut das sowieso nicht leichtfertigt. Er kann belegen, dass und warum er sich ernsthaft Sorgen macht. Wenn die Einschätzung fundiert vorgetragen wird, ist klar: Wir als Gesellschaft müssen die Sorgen, die Befürchtungen zur Kenntnis nehmen. Selbst wenn noch kein Kriegsverbrechen offiziell durch die Behörden festgestellt wurde.

Nächster Punkt in der Entscheidung, und daran haben sich viele Kritiker gestört. Die Richter sagen: Wenn ein UN-Mandat besteht, gibt es grundsätzlich eine Garantie dafür, dass keine Kriegsverbrechen begangen werden. Oder wenn der Einsatz auf dem Konsens der internationalen Gemeinschaft beruht. Natürlich wirken diese Ausführungen im Urteil auf den ersten Blick geradezu bizarr. Selbstverständlich kann es zu erheblichen Kriegsverbrechen kommen, auch wenn ein UN-Mandat existiert. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Ich will hier die Entscheidung auch nicht schönreden. Trotzdem fällt mir auf, dass da das Wörtchen „grundsätzlich“ vorkommt. Das macht Juristen immer hellhörig. „Grundsätzlich“ heißt, man kann es auch widerlegen. Und das werden sicher alle Asylbewerber, die sich auf diese Regeln berufen, in Zukunft tun. Die Faustregel: ‚UN-Mandat und alles ist ok‘ gilt für die Zukunft keinesfalls absolut. Der Gerichtshof redet auch – sehr nebulös – vom Konsens der internationalen Gemeinschaft. Was auch immer das heißt. Keine Ahnung, wann der mal gegeben sein wird. Also: Wachsweiche Begriffe, die man im Ernstfall vor Gericht erheblich in Frage stellen kann. Dazu kommt das Votum der Generalanwältin: Eleanor Sharpston hat diese Frage anders gesehen. Und dazu muss man den Gerichtshof in Luxemburg kennen. Die Generalanwälte entscheiden zwar nicht direkt. Aber sie bereiten den rechtlichen Boden für eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung. Das heißt, wenn es wieder mal einen so mutigen Asylbewerber wie André Shepherd geben wird, ist klar: Das mit dem UN-Mandat, mit dem Konsens der internationalen Gemeinschaft, das ist eine ziemlich undefinierbare Hürde. Das kann man als Kläger in Frage stellen. Da müssen sich die Richter vielleicht noch etwas Besseres ausdenken.

Ich will noch auf zwei weitere Hürden eingehen, die in Ihrem Fall, André möglicherweise wirklich ein Problem werden. Dass der Gerichtshof verlangt: Wenn der Staat Kriegsverbrechen bestraft, dann hat der Asylbewerber keinen Anlass zu desertieren. Klingt so: Na in Einzelfällen sind Angehörige des Militärs (zum Beispiel bei den Abu Graib-Fotos) doch tatsächlich verfolgt worden. Also kein Anlass für Desertion und Asyl. Aber auch da muss man das Urteil genau lesen. Es muss – Zitat „im Heimatland Gerichte geben, die die tatsächliche Ahndung sicherstellen.“ Auch da kann man nachhaken: Sind tatsächlich alle Kriegsverbrechen im Irak inzwischen geahndet worden? Schon wenn man diese Frage stellt, wird klar: Diese Hürde ist löchrig. Sichergestellt war gar nichts. Auch wenn in Einzelfällen die Bestrafung geklappt hat, kann man bestimmt nicht von „Sicherstellung“ sprechen.

Letzte Auflage: Die Desertion musste für Sie, André, das einzige Mittel sein. Sie haben viele Interviews gegeben, um sich zu rechtfertigen. Um nachzuzeichnen, warum Sie sich überhaupt freiwillig gemeldet haben. Warum Sie gezwungen waren, damals 2005 den Dienst zu verlängern. Dass Sie von der Verweigerungsmöglichkeit erst nichts wussten. Dass Sie andere, höchst abschreckende Beispiele gesehen haben, in denen andere Soldaten verweigert haben, die schwer bestraft wurden. Dass Sie ja nicht grundsätzlich gegen militärische Einsätze sind, nur in diesem Fall nicht kämpfen wollten. Und dass für Sie die Desertion daher das letzte aber auch einzige Mittel war.

Wir wissen nicht, wie das Verwaltungsgericht München auf Ihre Schilderungen eingehen wird. Feststeht: Es gibt jetzt immerhin Punkte, an denen Kriegsdienstverweigerer ansetzen können. Es verlangt nach wie vor viel Mut von den Richtern, einem Deserteur Asyl zu gewähren, zumal einem Deserteur aus einem befreundeten westlichen Land. Aber es gibt jetzt einen Rahmen, an dem andere weiter machen können.

Deutschland, so lese ich, bekommt in diesen Wochen international einen guten Ruf. Weil es so viele Menschen gibt, die sich für Flüchtlinge engagieren. Ich freue mich auch, wenn durch Ihr Engagement, André, von Deutschland aus die europäische Rechtsentwicklung angestoßen wird. Wenn wir dazu beitragen, dass über die Not von Deserteuren nachgedacht wird. Über die persönliche Not derjenigen, die sich der Truppe entziehen. Und über das Anliegen derer, die einem ungerechten Krieg den Boden entziehen wollen.

André, Sie haben mal in einem Interview gesagt: Es war der größte Fehler Ihres Lebens, dass Sie sich beim Militär freiwillig verpflichtet haben. Darüber will ich und kann ich gar nicht richten. Fest steht für uns: Durch Ihren Lebensweg haben hier in Europa manche gewonnen. Es kann aus Ihrer Entscheidung letztlich manches Gute erwachsen. Selbst wenn Sie Ihr Asylverfahren nicht gewinnen sollten, so hat Ihr Engagement doch jetzt schon Früchte getragen. Ihre mutigen Entscheidungen waren für unsere Gesellschaft ein Gewinn, denn Sie haben ein neuralgisches Thema weitergebracht. Sie waren mutig. Sie waren querköpfig. Ihr Mut bringt uns weiter. Zu Recht, finde ich, bekommen Sie den Menschenrechtspreis von Pro Asyl.

Gigi Deppe: Laudatio zur Verleihung des Menschenrechtspreises der Stiftung PRO ASYL an US-Deserteur André Shepherd. 12. September 2015. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2015

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