Rebel Clowns Army in Aktion; Foto: bundeswehr-wegtreten.org

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(Wieder-)Einführung der Wehrpflicht in der Golfregion

Von Soft Power zum Nation-Building

von Berfin Necimoğlu

Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der Sowjetunion haben mehr als 20 Länder die Wehrpflicht ausgesetzt oder abgeschafft. Die meisten waren entweder ehemalige Sowjetstaaten oder sind eng mit Moskau verbunden. Die zivil-militärischen Beziehungen, die diese Zeit dominierten, begannen sich zu verändern und leiteten weltweit unterschiedliche Entmilitarisierungsprozesse ein. Dies führte zu einer Verschiebung der militärischen Prioritäten in Europa. Nach der Beseitigung der unmittelbaren Bedrohung, als die militärische Bereitschaft und das Militär für die europäischen und ehemaligen sowjetischen Länder an Bedeutung verloren, begannen die jeweiligen Regierungen ihre militärische Stärke sowie die Größe des Militärpersonals zu reduzieren. Dies geschah vor allem durch die Umstellung der militärischen Rekrutierungs­systeme von verpflichtend auf freiwillig – mit anderen Worten, durch die Abschaffung oder Aussetzung des obligatorischen Militärdiensts/der Wehrpflicht.

Im Nahen Osten brachten die US-Invasion im Irak, der Arabische Frühling 2011 und die anschließenden ausländischen Interventionen im Jemen, in Syrien und Libyen die militärische Bereitschaft und Kompetenz wieder an die Oberfläche. Dies führte zu einer Rückkehr des verpflichtenden Militärdiensts nicht nur in Ländern, die sich im Krieg befinden und/oder von einer militärischen Intervention bedroht sind, sondern auch in anderen Ländern. Dies war der Fall in Golfstaaten wie Kuwait, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die in der Vergangenheit nur selten auf den militärischen Zwangsdienst zurückgegriffen haben. Katar führte diesen 2013 ein, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten im Jahr 2014. Kuwait führte den obligatorischen Militärdienst 2014 wieder ein, nachdem dieser bereits zwischen 1961 und 2001 praktiziert wurde. Bis vor kurzem bestand das Militär dieser Länder aus einem nationalen Offizierskorps, ausländischen – meist westlichen – Unteroffizieren und ausländischen Zeitsoldat*innen aus verschiedenen Ländern (Jordanien, Jemen, Pakistan, Bangladesch und Oman).

Militärischer Zwangsdienst am Golf

Im November 2013 verabschiedete Katar ein neues Gesetz zum obligatorischen Militärdienst. Männliche katarische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 35 Jahren müssen drei Monate lang in den Streitkräften dienen (zwei Monate in einem Ausbildungslager, einen Monat in der Armee) – oder vier Monate, wenn sie keinen Highschool-Abschluss haben. Nach dieser relativ kurzen Ausbildungszeit gibt es zwei Phasen [1] des Reservedienstes: Die erste dauert 5-10 Jahre nach der Grundausbildung und ist nicht länger als 14 Tage jährlich, und die zweite dauert bis zum Alter von 40 Jahren, in denen der Rekrut bei Bedarf angefordert werden kann. Studierende, Bürger mit gesundheitlichen Problemen und diejenigen, die keine Geschwister haben, sind von der Dienstpflicht befreit. Diejenigen, die sich jedoch ohne triftigen Grund nicht zurückmelden, müssen mit bis zu einem Monat Gefängnis und einer Geldstrafe von 50.000 QR (ca. 14.000 USD) rechnen.

Im Jahr 2018, kurz nachdem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten eine Blockade gegen Katar verhängt hatten, änderte die katarische Regierung das Gesetz über den obligatorischen Militärdienst: Während die Ableistung des Diensts für männliche Staatsbürger auf ein volles Jahr (statt drei oder vier Monate) erhöht wurde, wurde für weibliche Staatsbürgerinnen ab 18 Jahren der militärische Zwangsdienst auf freiwilliger Grundlage eingeführt. Das neue Gesetz gibt betroffenen Männern nur 60 Tage nach ihrer Volljährigkeit Zeit, um sich beim Militär zu melden und sieht härtere Strafen (bis zu drei Jahre Gefängnis plus eine Geldstrafe) für diejenigen vor, die dies nicht tun.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten verabschiedete der Föderale Nationalrat im März 2014 erstmals das Gesetz zur Einführung des obligatorischen Militärdiensts im Land. Obwohl das Gesetz 2014 offiziell verabschiedet wurde, stand es fast ein Jahrzehnt lang auf der Tagesordnung der Führung des Landes [2]. Das 44 Artikel umfassende Gesetz schreibt vor, dass sich emiratische Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren bei den Streitkräften melden müssen. Abiturienten dienen neun Monate, während diejenigen, die ihre Sekundarschulbildung nicht abschließen, einer zweijährigen Dienstpflicht unterliegen. Männer, die ihren Militärdienst ableisten, werden bis zum Alter von 58 bis 60 Jahren Teil der Reserve, wenn sie Offiziere sind. Frauen können sich freiwillig melden. Bürger, die sich ohne triftigen Grund nicht zum Militärdienst melden, können für bis zu einem Jahr inhaftiert und/oder mit einer Geldstrafe zwischen 10.000 und 50.000 Dh (ca. 2.800 bis 14.000 USD) belegt werden.

Kuwait hat den obligatorischen Militärdienst 2001 abgeschafft. Die Nationalversammlung verabschiedete jedoch ein Gesetz, das diesen für die Streitkräfte wieder einführte. Das kuwaitische Gesetz, das 2017 in Kraft getreten ist, schreibt vor, dass Männer über 18 Jahren einen einjährigen Militärdienst ableisten und 30 Tage im Jahr Teil der Reservetruppe sein müssen, bis sie 45 Jahre alt sind. Das neue Gesetz sieht auch Strafmaßnahmen wie eine Verlängerung der Rekrutierungsfrist, ein Reiseverbot, eine Geldstrafe und eine Gefängnisstrafe für diejenigen vor, die sich nicht melden.

Seit Anfang der 2020er Jahre wurden mehrere Artikel zu den wirtschaftlichen, sozialen und geopolitischen Gründen für die Änderung der militärischen Rekrutierungsstrategie der Golfstaaten verfasst. Die Sicherheitsprobleme, die vom Iran und dem Jemen ausgehen, die Bereitschaft, Soft Power in der Region auszuüben, sowie der volatile Energiesektor und die Brüche innerhalb des "Rentierstaatsmodells" werden als Hauptgründe für die Entwicklung der Rüstungsindustrie und den Ausbau der Armeen der Golfstaaten angeführt. In diesem Zusammenhang spielt der militärische Zwangsdienst eine wichtige Rolle, sei es, um die Armee zu vergrößern, Abschreckung in der Region zu bewirken oder junge Bürger*innen für neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu qualifizieren.

Die Einführung des obligatorischen Militärdiensts hat jedoch nicht nur greifbare praktische Vorteile für die Volkswirtschaften und die Innen- und Außenpolitik der Länder, sondern kann auch immaterielle moralische Vorteile verschaffen und damit erhebliche Auswirkungen auf die zivil-militärischen Beziehungen dieser Länder haben. Der Hauptgrund dafür ist die symbiotische Beziehung, die sich im Laufe der Zeit zwischen dem Militärdienst und dem Nationalgefühl gebildet hat. In diesem Sinne zeigt die Einführung des militärischen Zwangsdiensts den Versuch, diese Gesellschaften in Nationen zu verwandeln, in denen die Individuen durch das Nationalgefühl aneinandergebunden sind und nicht durch das "Rentierstaatsmodell", das sie bisher kannten.

Der obligatorische Militärdienst als Instrument zum Aufbau einer Nation in der Golfstaaten

In Anbetracht der jüngsten Sicherheitsbedenken in der Region und der Welt, einschließlich ausländischer Interventionen im Nahen Osten (u.a. in Syrien, Jemen und Libyen) und der jüngsten Invasion in der Ukraine, könnte man argumentieren, dass die Golfstaaten Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate durch den obligatorischen Militärdienst versuchen, nationalistische Gefühle und Zugehörigkeit in ihren jeweiligen Gesellschaften zu kanalisieren. Sinkende Öleinnahmen, der wachsende Einfluss des Iran und das Aufkommen zahlreicher extremistischer nichtstaatlicher Akteure in der Region gehören zu den verschiedenen Faktoren, die die Notwendigkeit eng verbundener Nationalstaatsgesellschaften erhöhen – etwas, das in ihrem "Rentierstaatsmodell" derzeit fehlt.

Im Fall dieser drei "Rentierstaaten" kann der obligatorische Militärdienst ein potenziell wirksames Instrument sein, um Patriotismus und Loyalität zu stärken. Die Zusammenführung junger Landsleute unter der Verpflichtung eines Militärdienstes – in dem Sinne, dass es sich um einen Dienst für die Nation handelt – fördert ein Umfeld, in dem diese ständig indoktriniert werden, um ihrem Volk, ihrem Land und der herrschenden Ideologie zu dienen. Die Militärdienstpflicht dieser Länder sollte jedoch nicht als eine Möglichkeit angesehen werden, effizient starke und kompetente Armeen aufzustellen. Erstens sind weder Katar, Kuwait noch die Vereinigten Arabischen Emirate wie ihre Golfnachbarn bevölkerungsreich genug, um ein kompetentes stehendes Heer zu unterhalten. Der größte Teil ihrer Bevölkerung besteht aus Ausländer*innen, die den Wehrpflichtgesetzen nicht unterliegen. Zweitens hat sich das derzeitige System der Auslagerung des militärischen Bedarfs als effizient erwiesen, da alle drei Länder weiterhin in die Anwerbung ausländischer Soldat*innen investieren, um ihre Armeen effizient zu bevölkern. Daher sollten die neuen Wehrpflichtgesetze als symbolischer Schritt zur Stärkung nationalistischer Bindungen und Ambitionen gesehen werden.

Ausländische Zeitsoldat*innen stellen zwar eine effiziente und angemessene Streitmacht zur Verfügung, besitzen aber selten emotionale Bindungen zu dem Land, in dem sie dienen und für das sie kämpfen. Sowohl für die anheuernden Golfstaaten als auch für die ausländischen Zeitsoldat*innen ist das Arrangement lediglich eine Geschäftsbeziehung. Dies erklärt, warum Zeitsoldat*innen eine eher gleichgültige Haltung gegenüber den inneren und äußeren Angelegenheiten der Gastländer einnehmen und selten Ressentiments äußern. Im Gegenzug begrüßen die Golfstaaten diese neutrale Haltung und betrachten ausländische Zeitsoldat*innen genau wie andere ausländische Staatsangestellte.

Bis vor kurzem galt eine militärische Truppe, die der Politik und den Ambitionen der Gastländer gleichgültig gegenübersteht, als wirksamer Schutzschild gegen mögliche Staatsstreiche von innen. Je weniger die ausländischen Soldat*innen an das Land gebunden sind, dem sie dienen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit internen sozialen oder politischen Anliegen sympathisieren oder sich an Versuchen beteiligen, sich den Machthabenden zu widersetzen oder sie zu stürzen. Die Einführung des obligatorischen Militärdiensts und damit autoritäre Sinngebung für die Bevölkerung ist ein Weg, diese lustlose Haltung gegenüber dem Land zu durchbrechen und die Gesellschaft mit dem Heimatland und seinen Herrschenden zu verbinden, um eine patriotische Nation zu schaffen, die aktuelle wirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen gemeinsam bewältigen kann.

Mögliche Folgen der Einführung des verpflichtenden Militärdiensts

So wichtig es für diese Golfstaaten auch ist, sich als regionale Akteure mit starken nationalen Bindungen und schnell voranschreitenden Rüstungsindustrien zu präsentieren, bleibt die Einführung des verpflichtenden Militärdiensts nicht folgenlos.

Erstens gibt es keine Garantie dafür, dass diejenigen Militärdienstpflichtigen, die mit der symbolischen Aufgabe betraut wurden, das Land und seine Bevölkerung zu schützen, nicht im Namen größerer sozialer Freiheiten gegen die Monarchien revoltieren werden, obwohl die Golfmonarchien eine totale Kontrolle über ihre Staatssysteme und Gesellschaften ausüben. Mit anderen Worten, paradoxerweise können genau die nationalistischen Gefühle und die Loyalität, die die Golfstaaten versuchen, unter ihren Bürger*innen zu kanalisieren, nach hinten losgehen, wenn sich das Volk (einschließlich der Militärdienstpflichtigen) jemals über die Herrschenden und ihre Politik ärgern sollte. Dies steht im Gegensatz zu den bereits lange etablierten Strategien zur Putschsicherheit, welche die arabischen Länder im Laufe der Jahre verfolgt haben. Angesichts der geringen Zahl von Bürger*innen, die jedes Jahr eingezogen werden, bleibt das Risiko solcher Revolten jedoch gering.

Zweitens kann die Einführung des verpflichtenden Militärdiensts zu einer Zunahme des Diskurses über Kriegsdienstverweigerung innerhalb und außerhalb dieser Länder führen. In Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar gibt es rechtliche Sanktionen gegen jede Person, die nicht zum Militär geht und Kriegsdienstverweigerung wird nicht anerkannt. Dies könnte das Gefühl von Unterdrückung und Ressentiments hervorrufen und verstärken sowie Proteste und Unruhen in diesen Ländern auslösen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dieses Risiko jedoch gering. Es bleibt aber eine Möglichkeit, wie in Thailand, Israel und Armenien zu sehen ist.

Drittens kann die Entwicklung eines militaristischen nationalen Selbst innerhalb Kuwaits, der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars zu innerstaatlichen Spannungen und Polarisierung in der Region führen. Bisher gab es im Golf-Kooperationsrat (GCC) allgemeine Unterstützung für die Einführung des verpflichtenden Militärdiensts. Im Jahr 2016 organisierte das GCC-Sekretariat eine Konferenz mit dem Titel "Sicherheit in den Augen der Jugend", um die Notwendigkeit des verpflichtenden Militärdiensts angesichts der jüngsten Entwicklungen im Jemen, im Iran und des wachsenden Einflusses der Muslimbruderschaft in der Region hervorzuheben. Wie die Blockade gegen Katar zeigt, gibt es jedoch bis heute politische Meinungsverschiedenheiten und ideologische Differenzen zwischen den GCC-Mitgliedern. Wenn diese Meinungsverschiedenheiten andauern und/oder sich verschärfen, könnte die Präsenz von besser entwickelten und mächtigeren Bürger*innenarmeen die Region in weitere Konflikte verstricken, indem physische und ideologische Zusammenstöße zwischen ihnen hervorgerufen werden. Angesichts des derzeitigen symbolischen Charakters der Militärdienstpflicht und des Kriegsdienstes in der Region – mit sehr geringer Dienstzeit und geringer Bevölkerungszahl – bleiben solche Zusammenstöße jedoch unwahrscheinlich.

Berfin Necimoğlu, Arab Reform Initiative: (Re)introducing Conscription in the Gulf – From Soft Power to Nation-Building. 22. Juni 2023. Übersetzt aus dem Englischen von Marah Frech. URL: https://www.arab-reform.net/publication/reintroducing-conscription-in-the-gulf-from-soft-power-to-nation-building/ Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2023

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