Nordzypern: Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung sollte dringend anerkannt werden

von EBCO, WRI, Internationaler Versöhnungsbund und Connection e.V.

(25.01.2024) Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO), War Resisters’ International (WRI), der Internationale Versöhnungsbund (IFOR) und Connection e.V. (Deutschland) verurteilen die beharrliche Verfolgung und Inhaftierung von Kriegsdienstverweigerern im nördlichen, türkisch besetzten Teil Zyperns (der selbsternannten "Türkischen Republik Nordzypern"). Dabei handelt es sich eindeutig um eklatante Menschenrechtsverletzungen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sollte dringend entsprechend den europäischen und internationalen Recht und den Menschenrechtsstandards anerkannt werden.

Die vier Organisationen zeigen sich heute enttäuscht über die Inhaftierung von Mustafa Hürben. Er wurde nur deshalb inhaftiert, weil er sich gegen die Militärdienstpflicht ausgesprochen hat. Darüber hinaus sind die vier Organisationen sehr besorgt darüber, dass Halil Karapaşaoğlu erneut strafrechtlich verfolgt wird, obwohl seine Verurteilung aufgrund derselben Anklage im Jahr 2019 bereits vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurde (siehe unten). Halil Karapaşaoğlu ist ebenfalls ein Kriegsdienstverweigerer, der ausschließlich wegen seiner Überzeugungen verfolgt wird; die vier Organisationen fordern, dass alle Anklagen gegen ihn fallen gelassen werden.

EBCO-Chefredakteur Derek Brett und WRI-Exekutivausschussmitglied Merve Arkun nahmen als internationale Beobachter*innen am 18. Januar 2024 am Prozess gegen Mustafa Hürben vor dem Gericht für Sicherheitskräfte (Militärgericht) im nördlichen Teil von Nikosia teil.

Selbst die Staatsanwaltschaft stellte Hürbens Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht in Frage. Aber da es keine gesetzliche Regelung gebe, so der Richter, könne kein Freispruch erfolgen. In Anbetracht der von Hürbens Verteidiger dargelegten internationalen Rechtsprechung zögerte das Gericht jedoch, mehr als die geringste Strafe zu verhängen, nämlich eine Geldstrafe von 800TL (etwa 25 €).

Hürben erklärte vor Gericht, dass er nicht die Absicht habe, die Geldstrafe zu zahlen. Deshalb wurde er am Dienstag, 23. Januar, während einer von der Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern (Kıbrıs’ta Vicdani Ret) organisierten Solidaritätsaktion vor dem Parlamentsgebäude für eine dreitägige Gefängnisstrafe verhaftet.

Derek Brett wird erneut als internationaler Beobachter bei einem weiteren Verfahren vor dem Gericht für Sicherheitskräfte teilnehmen: am Prozess gegen Halil Karapaşaoğlu, der am 1. Februar 2024 im Nordteil von Nikosia stattfindet.

Die vier Organisationen fordern das Parlament auf, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen. Solange es keine Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieses Rechts gibt, sind den Richter*innen die Hände gebunden, wenn ein Fall eines Verweigerers vor Gericht gebracht wird. In Kolumbien und Korea gab es Präzedenzfälle, in denen die Gerichte das Recht aber bereits vor einer politischen Entscheidung anerkannten.

Die vier Organisationen bringen ihre Solidarität mit den türkisch-zypriotischen Kriegsdienstverweigerern sowie mit der Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern zum Ausdruck und erinnern an folgende drei Fälle von Kriegsdienstverweigerern aus dem nördlichen Teil Zyperns, deren Verfahren gegen die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)1 anhängig sind:

  1. Halil Karapaşaoğlu vs. Türkiye (Aktenzeichen 40627/19). Der Fall wurde vom EGMR am 10.01.2020 angenommen.2 Am 05.07.2019 reichte Halil Karapaşaoğlu beim EGMR eine Klage gegen die Türkei wegen Verletzung der Artikel 5, 6 und 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein: (Art. 5) Recht auf Freiheit und Sicherheit, (Art. 6) Recht auf ein faires Verfahren, (Art. 9) Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.
  2. Haluk Selam Tufanlı vs. Türkiye (Aktenzeichen 29367/153). Der Antrag betrifft die Verweigerung des Reservedienstes für eine Übung zur Mobilmachung im Jahr 2011. Am 02.06.2015 reichte Haluk Selam Tufanlı beim EGMR eine Beschwerde gegen die Türkei wegen Verletzung der Artikel 5 Abs. 1, 4 und 5, 9 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein: (Art. 5) Recht auf Freiheit und Sicherheit, (Art. 9) Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, (Art. 13) Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
  3. Murat Kanatlı vs. Türkiye (Aktenzeichen 18382/154). Die Klage betrifft die Weigerung des Klägers, der Kriegsdienstverweigerer und Aktivist ist, 2009 der Einberufung zum Reservedienst für eine Übung zur Mobilmachung zu folgen. Am 06.04.2015 reichte Murat Kanatlı beim EGMR eine Beschwerde gegen die Türkei wegen Verletzung der Artikel 5 Abs. 1, 4 und 5, 6, 9, 13 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein: (Art. 5) Recht auf Freiheit und Sicherheit, (Art. 6) Recht auf ein faires Verfahren, (Art. 9) Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, (Art. 13) Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, (Art. 14) Verbot der Diskriminierung.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist Bestandteil des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das in Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) garantiert wird und das auch in Zeiten des öffentlichen Notstands nicht ausgesetzt werden darf, wie in Artikel 4(2) des ICCPR festgelegt.

Für weitere Informationen und Interviews kontaktieren Sie bitte:

Derek Brett, Chefredakteur des European Bureau for Conscientious Objection (+41 77 444 4420; derekubrett@gmail.com)

Murat Kanatlı und Gina Chappa, Koordinatoren der Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern (muratkanatli@gmail.com)

Fußnoten

1 EBCO Jahresbericht "Kriegsdienstverweigerung in Europa 2022/23". https://ebco-beoc.org/sites/ebco-beoc.org/files/attachments/2023-05-12-EBCO_Annual_Report_2022-23.pdf

2 https://in-cyprus.philenews.com/local/echr-accepts-application-from-turkish-cypriot-conscientious-objector/

3 http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-208228

4 http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-184213

EBCO, WRI, Internationaler Versöhnungsbund und Connection e.V.: Pressemitteilung vom 25. Januar 2024

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