Kriegsdienstverweigerung, Desertion & Asyl

von Rudi Friedrich

(15.05.2011) Insbesondere in Kriegen versuchen sich Menschen – manchmal nur wenige, manchmal auch Tausende – dem Militärdienst zu entziehen, sich der Beteiligung an militärischen Aktionen zu verweigern oder aus der Armee zu desertieren. In allen Ländern müssen sie mit Verfolgung rechnen. Zudem müssen Kriegsdienstverweigerer in der Mehrzahl der Länder feststellen, dass ihre Gewissensentscheidung und ihre Überzeugung nicht respektiert wird. Ihnen drohen Repressionen, Strafverfolgung und Rekrutierung. Das alles sind Gründe, warum sie im Ausland Schutz suchen. Aber immer wieder werden ihre Asylanträge abgelehnt. Die Verfolgung als Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gilt in aller Regel nicht als Asylgrund.
In den letzten Jahren wurden dazu einige Resolutionen und Empfehlungen auf internationaler Ebene verabschiedet. Ich möchte einen Überblick geben und insbesondere die unterschiedlichen Positionen und bereits bestehenden Möglichkeiten herausstellen, mit denen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure als Flüchtlinge anerkannt werden könnten. Darüber hinaus werde ich auch die Grenzen aufzeigen.

Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung und Asyl

In ihrem Artikel „Internationale Standards zur Kriegsdienstverweigerung und Militärdienst“ zeigt Rachel Brett die Entwicklungen der internationalen Empfehlungen zu diesem Menschenrecht auf. Auf der Basis von Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte hatte das UN-Menschenrechtskomitee klar gestellt, dass die Kriegsdienstverweigerung „Bestandteil der Gedanken-, Gewissens und Religionsfreiheit ist. Sie berechtigt jede Person, von der Ableistung des Militärdienstes ausgenommen zu werden, wenn diese nicht in Übereinstimmung mit dem individuellen Glauben oder der Überzeugung übereinstimmt. Das Recht darf nicht zwangsweise eingeschränkt werden.“1
Auch wenn die Kriegsdienstverweigerung auf einer förmlichen religiösen Überzeugung beruhen kann, ist das nicht zwingend. Vielmehr ist die Frage entscheidend, ob die Pflicht zum Einsatz von tödlicher Gewalt in ernsthaftem Konflikt mit der individuellen Gewissensfreiheit, dem Glauben oder der Überzeugung steht.
Desweiteren, wie der UN-Wirtschafts- und Sozialrat 2004 erklärt, muss „das Recht allen Personen vor und während des Militärdienstes zugänglich sein“ und „es sollten Maßnahmen getroffen werden, dass Kriegsdienstverweigerer nicht mehrmals verurteilt werden, wenn sie die Ableistung des Militärdienstes verweigern“.2
Der UN-Wirtschafts- und Sozialrat stellt zugleich fest, dass „denjenigen Kriegsdienstverweigerern Asyl gewährt werden sollte, die ihr Herkunftsland verlassen haben, weil sie eine Verfolgung befürchten aufgrund ihrer Weigerung, Militärdienst abzuleisten“. Leider müssen wir jedoch feststellen, dass kein Land diese Empfehlung umgesetzt hat.

Verweigernde SoldatInnen sind ausgeschlossen

Viele Länder sehen keine Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerer für Einberufene oder Berufssoldaten vor. Wenn ein Soldat oder eine Soldatin nach dem Beitritt zum Militär Kriegsdienstverweiger/in wird, oder wenn ein Soldat feststellt, dass ein Auftrag in Widerspruch zu seiner bzw. ihrer Überzeugung steht oder die Teilnahme an einem Krieg der eigenen Gewissensentscheidung widerspricht: In all diesen Fällen gibt es keine rechtliche Möglichkeit, die Armee zu verlassen. Die Betreffenden werden wegen Befehlsverweigerung schikaniert, mit dem Einsatz im Kriegsgebiet bedroht, mit Repressionen und Strafverfolgung belegt. Da eine Kriegsdienstverweigerung eine grundsätzliche Entscheidung darstellt, kann es eine mehrfache Strafverfolgung geben. Das steht in offensichtlichem Widerspruch zu den genannten Empfehlungen des UN-Wirtschafts- und Sozialrates.
Trotzdem gibt es in Zufluchtsländern keine Regelungen, dass diese SoldatInnen als Flüchtlinge anerkannt werden.

Wiederholte oder besonders harte Strafen

Wiederholte, besonders harte Strafverfolgung oder Folter kann als politische motivierte Verfolgung angesehen werden. Aus diesen Gründen heraus wurde in verschiedenen Ländern eritreischen Asylsuchenden Asyl gewährt. Sie hätten bei einer Rückkehr mit Folter, Haft an unbekanntem Ort oder unbefristeter Inhaftierung von mehr als zehn Jahren zu rechnen. Auch einige türkische Kriegsdienstverweigerer erhielten einen Schutz in Europa, weil sie wiederholter Strafverfolgung und „zivilem Tod“ unterliegen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Entscheidung als unmenschlich und entwürdigend qualifiziert.3 In allen anderen Fällen werden Kriegsdienstverweigerer, auch wenn sie mit Strafverfolgung rechnen müssen, von den Behörden der Zufluchtsländer in den Asylverfahren abgelehnt.

Situative Verweigerung

In vielen Fällen begründen Kriegsdienstverweigerer ihre Ablehnung, Militärdienst zu leisten, nicht auf grundsätzliche Erwägungen und Überzeugungen. Ihre Entscheidung bezieht sich vielmehr auf besondere Situationen oder Ereignisse. So verweigern viele israelische Wehrpflichtige den Dienst in den besetzten Gebieten. Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien weigerten sich viele Soldaten, gegen ihre eigenen Nachbarn zu kämpfen. Kurdische Verweigerer lehnen es ab, gegen ihr eigenes Volk in der Türkei eingesetzt zu werden. Einige der US-Verweigerer sind nicht bereit, in einem imperialistischen Krieg zu kämpfen. In all diesen Fällen beruht die Entscheidung auf besonderen Umständen, aber sie basiert nichtsdestotrotz auf tiefen und grundsätzlichen persönlichen Überzeugungen. In den Zufluchtsländern werden diese Überzeugungen jedoch nicht als Grund für eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer akzeptiert.

International verurteilte Kriege und Aktionen

In den letzten Jahren wurden zunehmend internationale Gerichte eingerichtet, die Verstöße von internationalem Recht verfolgen. Eine der Grundlagen der internationalen Gerichtsbarkeit ist, dass jede Person für ihre eigenen Aktionen oder Handlungen verantwortlich zu machen ist. Das bedeutet: Auch SoldatInnen sind für ihre Handlungen verantwortlich. Sie können sich nicht auf Straffreiheit berufen, indem sie sagen, dass sie nur Befehle befolgt haben.
Wenn sich eine Soldatin oder ein Soldat entsprechend dem internationalen Recht verhalten will und einen Befehl erhält, der dem widerspricht, kann es nur eine Konsequenz geben: die Pflicht zu verweigern. In aller Regel folgt allerdings darauf nur eine typische Antwort des Militärs: Disziplinarmaßnahmen oder strafrechtliche Verfolgung.
Das UNHCR stellte bereits 1979 in seinem Handbuch über das Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft unter Punkt 171 heraus: „Nicht immer wird die Überzeugung eines Menschen, der desertiert ist oder sich der Einberufung entzogen hat, wie echt diese auch sein mag, ein ausreichender Grund für seine Anerkennung als Flüchtling sein. Es genügt nicht, dass eine Person nicht mit der Auffassung ihrer Regierung in der politischen Rechtfertigung einer bestimmten militärischen Aktion übereinstimmt. Wenn jedoch die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird, dann könnte in Anbetracht der Bestimmungen der Definition die Strafe für Desertation oder für Nichtbefolgung der Einberufung als Verfolgung angesehen werden.“
Dieser Empfehlung folgten Behörden nur in wenigen Fällen. Aber sie hat inzwischen sowohl in der Europäischen Union, wie auch in Neuseeland, eine deutlich höhere Bedeutung.
Die Europäische Union verabschiedete 2004 eine Richtlinie (bindend innerhalb der EU), zur Frage der Asylgewährung. Dort heißt es: „Als Verfolgung im Sinne (der Genfer Flüchtlingskonvention) können unter anderem folgende Handlungen gelten: (...) die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen“, also ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke umfassen. Die Direktive hat seit 2006 Gesetzeskraft. Bedauerlicherweise wurde der Antrag eines US-Soldaten, der die Armee unerlaubt verlassen hat und sich auf diese Direktive beruft, vor wenigen Wochen durch das Bundesamt für Migration abgelehnt. In der ablehnenden Entscheidung behauptet das Bundesamt, dass er nachweisen müsse, dass er sich an völkerrechtswidrigen Handlungen hätte beteiligen müssen. Eine nur „wahrscheinliche Beteiligung“ wurde nicht als ausreichender Grund für eine Asylgewährung angesehen. Auf diese Weise vermieden die deutschen Behörden, die Direktive wirklich in Kraft zu setzen. Das Verfahren ist jetzt vor dem Amtsgericht in München anhängig.
In Neuseeland hat die Berufungsinstanz der Flüchtlingsbehörde im Falle eines kurdischen Kriegsdienstverweigerers aus der Türkei zu seinen Gunsten entschieden. In der Entscheidung verwies die Behörde auf „den Lehrsatz, dass niemand dazu gezwungen werden darf, Militärdienst abzuleisten, in dem es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass der Antragsteller Menschenrechtsverletzungen begeht“.4 Die Behörde kam zu dem Schluss, dass dieses Risiko besteht angesichts der „Geschichte des Konflikts, verbunden mit Verletzungen des Kriegsrechts auf breiter Ebene in der Vergangenheit und einem nach wie vor bestehenden Klima der Straflosigkeit gegenüber denjenigen, die diese Verbrechen begangen haben.“ „Die Wahrscheinlichkeit, dazu gezwungen zu werden, Menschenrechte zu verletzen“, so Karen Musalo vom UNHCR, „machte seine mögliche Inhaftierung wegen Dienstverweigerung zu einem Verfolgungsgrund nach der Genfer Konverntion“.5
Dies sind erste Schritte, die den Entwicklungen des internationalen Rechts nachfolgen: Wenn SoldatInnen, die sich an international verurteilten Kriegen oder völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligen, persönlich für die Handlungen verantwortlich sind, dann ist es nur folgerichtig, dass SoldatInnen, die sich völkerrechtswidrigen Befehlen verweigern und deswegen Verfolgung befürchten müssen, einen Flüchtlingsstatus erhalten. Aber wie wir im Falle Deutschlands sehen, versuchen die Behörden, bestehende Regelungen faktisch außer Kraft zu setzen.

Schlussfolgerungen

Die Frage der Kriegsdienstverweigerung ist nicht nur eine Frage des Menschenrechts. Insbesondere in einer Kriegssituation stellt die Entscheidung, nicht an militärischen Aktionen teilzunehmen, das Befehls- und Gehorsamsprinzip, wie auch die Kriegführung, grundsätzlich in Frage. Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, Männer wie Frauen, haben eine auf ihrem Gewissen beruhende Entscheidung gegen Krieg und Militärdienst getroffen. Das ist eine sehr realer und praktischer Beitrag zum Frieden. Aber sie unterliegen einem großen Risiko, mit Repressionen, Verhaftung und Verfolgung belegt zu werden.
Wie wir gesehen haben, gibt es bisher nur wenige Möglichkeiten für eine Asylgewährung für die Fälle, in denen es kein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung in einem Land gibt und Kriegsdienstverweigerer und Deserteure verfolgt werden. Behörden versuchen oft bereits bestehende Regelungen zu umgehen. Verschiedene Gruppen von Verweigerern fallen aus den bereits bestehenden internationalen Definitionen heraus. Aber alle sollten in ihrer Entscheidung gefördert und unterstützt werden – in ihren Ländern wie auch im Exil. Sie sollten sich sicher sein können, dass ihre Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung oder ihre Entscheidung, sich nicht an Kriegen oder Kriegsverbrechen zu beteiligen, unterstützt wird. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie Schutz erhalten.

Fußnoten

1 Min-Kyou Jeong und andere gegen Republik Korea (CCPR/C/101/D/1642-1741/2007) vom 5 April 2011
2 UN Economic and Social Council, Report of the Office of the High Commissioner for Human Rights, E/CN.4/2004/55 vom 16. Februar 2004
3 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Kammerurteil im Fall Ülke gegen Türkei. Strasburg, 24. Januar 2006
4 Refugee Appeal No. 75378/05 (2005)
5 Karen Musalo: Conscientious Objection as a Basis for Refugee Status: Protection for the Fundamental Right of Freedom of Thought, Conscience and Religion, Refugee Survey Quarterly, Vol. 26, Issue 2, UNHCR 2007

Rudi Friedrich: Kriegsdienstverweigerung, Desertion und Asyl. 15. Mai 2011. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2011.

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