Georgien: Geh’ durch den Wald: Idite Lesom

(31.08.2023) Die in Georgien ansässige Nichtregierungsorganisation Idite Lesom (dt. "Geh’ durch den Wald") unterstützt junge Russ*innen, sich dem Militärdienst zu entziehen und das Land zu verlassen. Laut eigener Aussagen konnte die NGO bereits 13.626 Menschen unterstützen1. Der Name Idite Lesom ist ein Wortspiel, das sowohl auf den klandestinen Charakter der Arbeit verweist, als auch auf eine russische Redewendung, die in der Sowjetunion so viel bedeutete wie "Hau ab! Verschwinde!".

Idite Lesom wird öffentlich von Grigory Sverdlin und Darya Berg vertreten. Grigory Sverdlin verließ Russland im März 2022 wegen seiner Antikriegshaltung und gründete das Projekt "Get Lost". Darya Berg ist derzeit Leiterin der Abteilung für Hilfsmaß­nahmen und Evakuierung und leistet seit Ausbruch des Krieges Opferhilfe. Auch sie verließ Russland im März 2022 wegen ihrer öffentlichen Haltung gegen den Krieg.

Das Netzwerk um die Gruppe, die finanzielle, psychologische und juristische Beratung anbietet und praktische Ratschläge zur Militärdienstentziehung und Desertion bereitstellt, ist jedoch weitaus größer. Laut Idite Lesom besteht das Team aus "hunderten Freiwilligen", die außerhalb Russlands leben und die Anonymität wahren müssen. Die NGO ist auf der Social Media Platform Instagram2 vertreten, um Informationen zu verbreiten, Grenzübertritte zu organisieren und für Spenden zu werben. Über einen Chatbot in Telegram (@iditelesom_info_bot)3 – dem beliebtesten Messengerdienst in Russland und wichtiges Medium der Kommunikation für Kriegsgegner*innen, Regierungskritiker*innen und Oppositionelle im Inland als auch im Exil – kommuniziert Idite Lesom mit Betroffenen und unterstützt sie bei der Planung ihrer Flucht. Sie ruft sie zu gewaltfreiem zivilen Widerstand auf und erklärt das Ziel ihrer Arbeit darin, "so vielen Menschen wie möglich zu helfen, nicht in einen blutigen Krieg Russlands in der Ukraine verwickelt zu werden".

Wir haben uns online mit Idite Lesom getroffen, um einen Eindruck von der gegenwärtigen Situation in Russland zu erhalten. Sie berichtete uns von zunehmenden Repressionen denen Militärdienstent­zieher*in­nen seit der Verabschiedung eines neuen Gesetzespaket durch die Duma (das russische Parlament) im Juli 2023 ausgesetzt sind. Wer sich der Rekrutierung entzieht, dem droht nun nicht mehr "nur" eine Geldstrafe von 30.000 Rubel (etwa 280 €), sondern auch der Verlust des Arbeitsplatzes, Einschränkungen der Geschäfts­mö­glich­keiten und das Verbot, die Russische Föderation zu verlassen. Arbeitgebende werden dazu verpflichtet, Listen über die Militärdienstpflicht der Angestellten und Arbeiter*innen vorzulegen, bei Unterlassung droht ihnen ein Bußgeld in Höhe von 400.000 Rubel (etwa 3.900 €). Darüber hinaus wurde das Alter für eine Einberufung zum regulären Militärdienst auf 30 Jahre angehoben.

Ähnliche Repressionen für Militärdienstentzieher*innen gibt es auch in anderen Ländern wie der Türkei4. Da diese das gesellschaftliche Leben stark einschränken und in manchen Fällen gar das Überleben Betroffener gefährden, wurden diese in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vor vielen Jahren als "Ziviler Tod" bezeichnet.

Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und der Teilmobilmachung im September 2022 haben hunderttausende russische Staatsbürger*innen ihr Zuhause verlassen und sind aus der Russischen Föderation geflohen, um sich der Teilmobilmachung und dem Kriegsdienst zu entziehen. Viele von ihnen leben derzeit im benachbarten Georgien. Laut jam-news5 haben mehr als 1 Millionen Russ*innen zwischen März und November 2022 die Grenze nach Georgien überschritten; das georgische Innenministerium sprach bereits Anfang des Jahres von rund 112.000 russischen Staatsangehörigen, die sich in Georgien aufhalten6.

Fußnoten

1 https://iditelesom.org/en/

2 https://www.instagram.com/gobytheforest/

3 https://t.me/iditelesom_help

4 https://tinylink.net/1v4r4

5 https://jam-news.net/russians-in-georgia/

6 https://tinylink.net/h9t47

Marah Frech: Die Nichtregierungsorganisation "Idite Lesom". 31.8.2023. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2023

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