Vorwort zur Broschüre Eritrea im Fokus

von Rudi Friedrich

(09.03.2020) Der 2018 geschlossene Friedensvertrag zwischen Eritrea und Äthiopien war mit großen Hoffnungen verbunden. Wie Human Rights Watch in seinem Jahresbericht zu 2019 schreibt, wurde jedoch trotz der Annäherung der beiden Länder die umstrittene Grenze bislang nicht demarkiert. Äthiopien hat sich auch nicht aus Badme zurückgezogen, dem Ort, der Auslöser für den Krieg 1998 war.

Deutlich ist inzwischen auch, dass es in Eritrea selbst bisher keine positiven Veränderungen gab. Die Diktatur unter dem Präsidenten Isayas Afewerki besteht nach wie vor. Die 1997 verabschiedete Verfassung ist nie in Kraft getreten. Es gibt willkürliche Verhaftungen und Tötungen, Folter, politische Verfolgung, grausame Haftbedingungen, gravierende Einschränkungen der Meinungs-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Eritrea ist für die meisten ein Land der Perspektivlosigkeit.

Ende 2018 waren nach Angaben des UNHCR weltweit 507.000 eritreische Staatsangehörige als Flüchtlinge registriert (Global Trends Forced Displacement in 2018). Bei einer Einwohnerzahl von 3,5 Millionen kann somit von einem Massenexodus gesprochen werden. Die Hauptaufnahmeländer sind die Nachbarländer Eritreas: In Äthiopien wurden 174.000 aufgenommen, im Sudan 114.500.

Auch nach Europa blieb der Zuzug von Asylsuchenden aus Eritrea konstant hoch: Deutschland nahm insgesamt 55.300 eritreische Geflüchtete auf, die Schweiz 34.100, Schweden 27.700. In den letzten zehn Jahren haben mindestens 5.000 Eritreer*innen jährlich Asyl in Europa beantragt. In den Jahren 2015 und 2016 lag der Höchststand bei über 30.000. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 10.000. Mindestens 80% der Anträge waren nach Angaben von Eurostat, dem Statistikamt der Europäischen Union, erfolgreich. Sie erhielten in den europäischen Ländern einen Flüchtlings- oder aber einen subsidiären Schutzstatus.

Ein wesentlicher Grund, warum so viele vor allem junge Menschen Eritrea verlassen, ist der für alle verpflichtende, unbefristete National- und Militärdienst. Die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zur Menschenrechtssituation in Eritrea bezeichnete den Dienst als „Sklaverei“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Es herrschen Willkür und Folter unter der absoluten Befehlsgewalt der Vorgesetzten. Frauen sind während des Militärdienstes häufig sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen ausgesetzt. Es gibt kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Einige Verweigerer sind seit über 25 Jahren inhaftiert. Soldat*innen werden in der Regel nicht aus dem Militär entlassen, sondern stattdessen im Rahmen der unbefristeten Dienstpflicht in Wirtschaftsbetrieben des Militärs oder an anderer Stelle zwangsweise eingesetzt.

Nach einigen Jahren Zurückhaltung hat die Europäische Union trotzdem damit begonnen, Projekte in Eritrea finanziell zu fördern. Dies geschieht über den Treuhandfonds der Europäischen Union für Afrika. New York Times berichtete im Januar 2020, dass die EU 20 Millionen Euro aufgewendet habe, „mit der Hoffnung, die Flucht aus dem repressiven Land einzudämmen. (…) Mit dem Ziel, den Zustrom von Migrant*innen aus Afrika einzudämmen und eine Diktatur zu transformieren, gibt die Europäische Union Millionen für Projekte aus, für die Menschen Zwangsarbeit im Rahmen der Wehrpflicht leisten müssen.“

In Deutschland und in Europa haben wir in den letzten Jahren eine Änderung in der Rechtsprechung erleben müssen, mit der Geflüchteten aus Eritrea zunehmend ein voller flüchtlingsrechtlicher Status verwehrt wird. Sie werden auf den humanitären subsidiären Schutz verwiesen, in einigen Fällen gibt es inzwischen auch Ablehnungen. Das Bundesamt für Migration und die Gerichte nutzen dafür eine Argumentation, bei der von einer Gemeinwohlorientierung des Nationaldienstes gesprochen wird, der ja im nicht-militärischen Bereich dem Aufbau des Landes diene.

Dabei zeigen viele Berichte – und in dieser Broschüre finden sich einige davon –, dass es sich bei dem Nationaldienst in keiner Weise um eine freiwillige Tätigkeit handelt. Die Dienstleistenden unterstehen der Weisung und Aufsicht des Militärs. Von ihnen wird die Unterwerfung unter das Regime des Militärs gefordert.

Diese Politik der eritreischen Regierung wird durch die deutschen Behörden und Gerichte noch gefördert. Der subsidiäre Schutzstatus bedeutet nämlich, dass Geflüchtete genötigt werden, sich zum Zwecke einer Passbeschaffung oder für andere Dokumente an die Behörden Eritreas, ihres Verfolgungsstaates, zu wenden. Dort wird verlangt, eine Steuer zu zahlen und ein Reuebekenntnis zu unterzeichnen und sich damit jedweder Strafverfolgung zu unterwerfen. So wird durch die negativen Veränderungen bei der Anerkennungspraxis eritreischer Flüchtlinge in Deutschland der Einfluss der eritreischen Diktatur erheblich gestärkt.

Demgegenüber gilt es unseres Erachtens, bei der eritreischen Regierung unmissverständlich die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern und eritreischen Flüchtlingen den notwendigen Schutz zu gewähren. Die Herausgeber*innen führen dies in ihrem Beitrag ab Seite 6 weiter aus.

Grundlage für die Zusammenstellung der Beiträge in dieser Broschüre war ein Fachgespräch im Bundestag unter dem Titel „Kriegsdienstverweigerer auf der Flucht – Die Menschenrechtslage in Eritrea und Deutschland“, die von den Abgeordneten Kathrin Vogler und Michel Brand (Die Linke) organisiert wurde. Dort berichteten im Dezember 2019 Sachverständige über aktuelle Themen zur Menschenrechts- und Flüchtlingspolitik in Bezug auf das ostafrikanische Land. Die Beiträge werden ergänzt durch Interviews sowie aktuelle Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen.

Rudi Friedrich: Vorwort zur Broschüre Eritrea im Fokus, 10. März 2020. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und PRO ASYL (Hrsg.): Broschüre Eritrea im Fokus: Das Willkürregime wird verharmlost, der Flüchtlingsschutz ausgehebelt, März 2020

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