Israel/Palästina

Israel/Palästina

Kriegstagebuch

von Mesarvot

8. Oktober 2023: Schreckliche Bilder aus dem Süden Israels

Schreckliche Bilder aus dem Süden Israels und von der Grenze zu Gaza. Bilder von Krieg, Mord, Zerstörung und einem kriminellen Angriff auf unschuldige Zivilist*innen. Unsere Gedanken sind bei den Opfern des Angriffs der Hamas, sowohl am Boden wie auch durch Raketen.

Heute ist es wichtiger denn je daran zu erinnern, dass dies nicht passieren musste. Es ist unmöglich, diesen Krieg von einer Regierung zu trennen, die in den letzten Monaten alles getan hat, um die Spannungen zu erhöhen und die Besatzung noch weiter zu verschärfen. Erst gestern kam es erneut zu Unruhen in Huwara (Westbank), diesmal angeführt vom Knesset-Abgeordneten Tsvi Sukkot. Steine wurden auf Gebäude geworfen, der palästinensische Jugendliche Lubayb Dameidi wurde ermordet. Alles fand in Begleitung der israelischen Armee statt, alles mit der Fantasie, die Kontrolle (governance) zu behalten. Wenn Ben Gvir, Smotrich, Sukkot und ihre Kollegen dieses Wort verwenden, denken sie an Pogrome im Westjordanland. Diese Kontrolle bedeutet jüdische Vorherrschaft. Es hat nichts mit Sicherheit – die Ben Gvirs gesamte Kampagne ausmachte – und menschlichem Leben zu tun. Aus Gründen der Kontrolle lässt die Regierung ihre Bürger*innen ungeschützt – insbesondere diejenigen, die in der Peripherie leben und deren Unterstützung sie versprochen hat – und tötet Palästinenser*innen in einer Operation nach der anderen, in einem eskortierten Pogrom nach dem anderen.

Wir alle verdienen etwas Besseres. Keiner von uns verdient bewaffnete Militante auf der Straße oder Raketen. Denken Sie daran, wenn die israelische Armee Gaza erneut bombardieren wird. Denken Sie daran, wenn Kahanist*innen* erneut Palästinenser*innen in gemischt jüdisch-palästinensischen Städten lynchen werden. Das Leben sollte nicht so aussehen. Ruhe in Frieden allen, die in diesem Blutbad gestorben sind und noch sterben werden.

9. Oktober 2023: Als ob Brutalität etwas verbessern würde

Seit unserem letzten Beitrag hat die israelische Armee (IDF) den Gazastreifen bombardiert. Dabei wurden wurden 313 Tote gezählt, darunter 20 Kinder, und mehr als 1.990 Verwundete. Wer weiß, um wie viel diese Zahlen noch steigen werden? Auf die Frage, ob die Bewohner der bombardierten Gebäude gewarnt werden sollten, gab der IDF-Sprecher keine klare Antwort: "Die IDF greift sehr breit gefächert an", "ich werde nicht näher auf die Art und Weise eingehen" (Quelle: Haaretz).

Wir sind angewidert, aber natürlich nicht überrascht, dass die IDF Unschuldige angreift. Als ob diese Art von Brutalität etwas verbessern würde, als ob sie eine Lösung bringen würde. Als ob sie in den zehn vorangegangenen Kampfrunden eine Lösung gebracht hätte. Aber wer sucht überhaupt nach einer Lösung? Nicht Netanjahu, der in seiner Erklärung von Zerstörung und "mächtiger Rache" sprach. Er empfiehlt den Bewohner*innen des Gazastreifens, "jetzt rauszugehen, denn wir werden überall mit voller Kraft handeln". Wie sollen sie der Verwüstung durch die Raketen entkommen, wenn Israel alle Ausgänge des Gazastreifens kontrolliert? Das ist unklar.

Die israelische Gesellschaft glaubt größtenteils noch an "Einschüchterung". Sie glaubt den Erklärungen der Regierung, wenn die IDF hart genug zuschlagen würde, würde dieses Mal Sicherheit erreicht werden. Da "wir" verletzt wurden, müssen wir also zurückschlagen, aber wenn "sie" verletzt werden, werden sie sich beruhigen (und wenn sie das nicht tun, sind sie das pure Böse). Das ist eine Lüge, die in Israel immer wieder erzählt wird, eine Lüge, die man nur in einer militaristisch geprägten Gesellschaft schlucken kann.

Militarismus und ein tiefes, krankes Verlangen nach Rache

Nicht nur Netanjahu, sondern auch etliche andere Stimmen rufen zu einem Massaker auf. In der heutigen Regierungssitzung sagte Minister Smotrich: "Wir sollten grausam sein und den Geiseln nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken" (und bezog sich damit auf Israelis, die von der Hamas als Geiseln nach Gaza gebracht wurden). Minister Katz rief dazu auf, "den Gazastreifen zu zerstören". Ministerin Mai Golan (für die Förderung der Frauenrechte!) forderte die Ermordung von etwa 2 Millionen Menschen: "Einige selbstgerechte, zerbrechliche Seelen erklären, dass die meisten Bewohner*innen des Gazastreifens unbeteiligte Zivilist*innen sind und wir ihnen deshalb nichts antun dürfen. Mehr nicht. Wir müssen sie bis ins Mark zerstören."

Dies sind die Stimmen der Entscheidungsträger der israelischen Regierung. Je mehr getötet wird, desto besser für sie. Wenn unschuldige israelische Zivilist*innen zu Schaden kommen, ist das fast ein Grund zum Feiern, denn es gibt ihnen einen Vorwand, um "Einschüchterung" zu demonstrieren - um ihre innere Kahana herauszulassen und den Massenmord an Palästinenser*innen zu fordern. Die israelische Öffentlichkeit muss aufwachen und sich diesem Blutdurst widersetzen, der noch nie Ruhe gebracht hat und auch nie bringen wird. In einer Zeit des Krieges und des Leids ist es schwer, im Herzen Solidarität mit denen zu finden, die uns als "Feind" präsentiert werden. Aber dies ist die wichtigste Zeit für Solidarität, Menschlichkeit und den Glauben daran, dass es einen anderen Weg gibt.

15.10.2023: Es gibt keine Lösung, die aus dem Wunsch nach Rache und Leid erwachsen kann.

Seit einer Woche dauert der Krieg an, die Bomben und Raketen kommen weiter und das Blut fließt weiter, überall im Land. In Gaza gibt es mehr als 2.200 Tote, darunter etwa 720 Kinder. In Israel mehr als 1.300 Tote. Im Westjordanland und in Ostjerusalem mehr als 44 Tote. All diese Zahlen werden noch steigen.

Da der Zugang zu Wasser und Strom im Gazastreifen immer noch blockiert ist und Israel den Streifen weiterhin bombardiert (auch durch den Einsatz von weißem Phosphor, ein weiteres Kriegsverbrechen), hat Israel gestern alle Bewohner*innen des Gazastreifens, die in der nördlichen Hälfte des Streifens leben, aufgefordert, sich innerhalb von 24 Stunden in die südliche Hälfte zu evakuieren, bevor eine Bodeninvasion erfolgt. Diese Maßnahme wurde von der UNO verurteilt. Dies bedeutet, dass 1,1 Millionen Menschen, die bereits in einer extremen Bevölkerungsdichte leben, ihre Häuser verlassen müssen, um als Flüchtlinge unter noch unmenschlicheren Bedingungen zu leben. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Israel bombardierte drei Konvois mit Menschen aus dem Gazastreifen, die versuchten, das Gebiet zu verlassen, wie es ihnen befohlen wurde. Für die IDF dürfen selbst diejenigen, die bereit sind, ihre Häuser zu verlassen und Flüchtlinge zu werden, nicht unversehrt bleiben. Jede*r ist ein Ziel. Und die israelischen Geiseln, die durch die massiven anhaltenden Schäden verletzt werden könnten? Kollateralschäden.

Der Gazastreifen ist nicht der einzige Ort, an dem während dieses Krieges eine Verlagerung stattfindet. Im Westjordanland und in Ostjerusalem haben Milizen der Siedler*innen an zahlreichen Orten Angriffe, Morde und Pogrome verübt. Neben der Vertreibung aus Wadi a-Siq gab es Überfälle auf Dörfer im südlichen Hebron, Molotow-Würfe auf Häuser in Ost-Jerusalem, eine weitere Vertreibung in Ein a-Rashash, einen Mord an vier Menschen in Qusra und am nächsten Tag einen Mord an zwei Teilnehmende der gestrigen Beerdigung der Opfer. Während viele Israelis um ihre Toten trauern und freiwillig denjenigen helfen, die aus dem Gazastreifen evakuiert wurden, ist für einige die Notlage und das Chaos ein perfekter Zeitpunkt für Terrorismus mit dem ausdrücklichen Ziel, die Palästinenser*innen in die Flucht zu schlagen. Das Projekt, das mit Netzah Yehuda und Sfar Hamidbar (Einheiten, die Siedler*innen und jüdische Fundamentalist*innen in die IDF aufnehmen) begann, wurde Wirklichkeit - es gibt keine randalierenden Siedler*innen und (gelegentlich) Einhalt gebietende Soldat*innen mehr. Die Pogrome werden von kahanistischen* Milizen verübt, die mit IDF-Waffen und Teiluniformen bewaffnet sind und vom Staat unterstützt werden, ihm aber nicht rechenschaftspflichtig sind.

Die extreme Rechte, die in Israel das Sagen hat, arbeitet nur auf eines hin - auf dasselbe Ziel, das sie vor dem Krieg hatte - eine zweite Nakba. Ethnische Säuberung. Eine totale Besetzung jedes einzelnen Fleckchens Erde in diesem Land und die Vertreibung aller palästinensischen Bewohner*innen. Jetzt benutzt sie den Krieg, den Hamas-Angriff und seine Opfer, um dieses Ziel zu erreichen. Der rechte Flügel benutzt den Schmerz, die Wut und die Trauer vieler Israelis und Zeug*innen des Blutvergießens, um Kriegsverbrechen und extreme Grausamkeiten zu rechtfertigen und zu begehen. Nicht in unserem Namen! Es gibt keinen Akt der Gewalt auf dieser Welt, der die Menschen, die wir verloren haben, wieder zum Leben erwecken kann. Es gibt keine Lösung, die aus dem Wunsch nach Rache und Leid erwachsen kann. Der einzige Weg zu einem sicheren Leben hier ist, die Gräueltaten des Staates Israel zu beenden und auf Frieden hinzuarbeiten. Nur Entgegenkommen wird uns aus dieser Hölle befreien.

* Kahanismus ist eine Richtung des religiösen Zionismus, die auf den Ansichten von Meir Kahane, dem Gründer der Jewish Defense League und der Kach-Partei, basiert. Sie mischt Ultranationalismus mit religiösem Fundamentalismus, Rassismus und der Rechtfertigung von Gewalt. Zentrale politische Ziele des Kahanismus sind die Vertreibung der meisten Palästinenser aus den israelisch besetzten Gebieten und der meisten arabischstämmigen israelischen Staatsbürger aus Israel sowie die Beseitigung der dortigen westlichen Demokratie zugunsten einer jüdischen Theokratie. (Quelle: Wikipedia)

Mesarvot ist ein Netzwerk von politischen VerweigerInnen, das in den letzten Jahren Briefe, Initiativen und Verweigerungsgruppen für gemeinsame Aktionen initiiert hat. Das Netzwerk unterstützt KriegsdienstverweigerInnen, die sich dazu entschieden haben, nicht in eine Besatzungsarmee zu gehen und sich der Genderfragen bewusst sind, die die Wehrpflicht mit sich bringt. Das Netzwerk arbeitet mit der Bewegung Yesh Gvul zusammen.

Mesarvot: Facebook Posts vom 8., 9. und 15.Oktober 2023. https://www.facebook.com/mesarvot/

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