Offener Brief an die Regierungen von Griechenland, Türkei und Zypern

KDV-Organisationen fordern in einem gemeinsamen Schreiben das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und Entmilitarisierung

(05.12.2023) Sehr geehrter Herr Präsident, Herr Premierminister und Mitglieder des Komitees,

wir schreiben Ihnen vor Ihrem Treffen des High Level Cooperation Councils in Athen zur Fortsetzung des Dialogs zwischen Griechenland und der Türkei. Wir glauben daran, dass die Gespräche als Grundlage für spezifische, ehrliche und solide friedensbildende Schritte dienen sollten, die lange überfällig sind und den Menschen in unseren und benachbarten Regionen handfeste Vorteile bringen werden, gerade in diesen von Krieg erschütterten Zeiten.

Als antimilitaristische Organisationen zur Kriegsdienstverweigerung aus Griechenland, Türkei und Zypern setzen wir uns für die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung ein, der ohne Diskriminierung wahrgenommen werden kann und friedensfördernd ist (zum Beispiel in Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen oder zum Schutze der Zivilgesellschaft).

Wie bereits vorher im Dialog bekräftigt wurde und allgemein bekannt ist, sind die Aufgaben, denen wir als Gesellschaft gegenüberstehen, breit gefächert: Armut, soziale Ungleichheit, inadäquate Migrationspolitik und Klimakrise.

Während wir davon überzeugt  sind, dass diese und ähnliche friedensorientierte Bemühungen verstärkt betrieben werden sollten,  können wir die Realität nicht außer Acht lassen, die Militarisierung. Der sich gegenseitig hochschaukelnde Rüstungswettkampf Griechenlands und der Türkei, umfangreiche Militärausgaben und das Bestehen auf ein aggressives Verhalten sind die Hauptfaktoren, die Kooperation und Frieden erschweren. In den letzten 5 Jahren haben Griechenland und die Türkei bis zu 7,5% ihres Staatshaushaltes für Militärausgaben aufgebracht. Beide Staaten planen diese 2024 zu erhöhen.

Der wohl eklatanteste Aspekt hierbei ist die Weiterführung der Militärdienstpflicht. Unserer Meinung nach hat diese Praxis zwei ernstzunehmende Folgen für unsere Gesellschaften. Einerseits beraubt sie unserer Jugend wichtige Zeit und wirtschaftliche Chancen. Andererseits flößt sie der Jugend ein Weltbild ein, das Feindschaft zwischen uns schürt und unsere Chance auf eine friedliche Koexistenz, eine ehrliche Zusammenarbeit und gemeinsames Wachstum untergräbt, die notwendig sind, um Umweltprobleme und sozioökonomische Fragen zu lösen.

Unsere Lösungsvorschläge sind simpel. Für die Türkei und die Regierungsbehörden im nördlichen Teil von Zypern sollte das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auf Grundlage der Standards der internationalen Menschenrechte und dessen Rechtsprechung und ein Stop der Rechtsverletzungen gegenüber Kriegsdienstverweigerern. Dasselbe fordern wir von Griechenland und Zypern. Die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung und die Sicherstellung dass ein fairer alternativer Zivildienst wahrgenommen werden kann.

Im Detail wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf die folgenden Probleme bezüglich Kriegsdienstverweigerung richten:

Griechenland: Obwohl das Gesetz einen alternativen Zivildienst ermöglicht, gibt es weiter Probleme. Wir fordern (a) einen angemessenen Zugang zu Informationen für Schüler und Wehrpflichtige über deren Möglichkeiten, einen Antrag auf Ableistung des alternativen Zivilddienstes zu stellen; (b) die Abschaffung der Anhörung, die in der Praxis zu willkürlichen Ablehnungen der Antragsteller führt (Kein Antragsteller mit ideologischen Gründen wurde 2021 anerkannt); (c) volle Umsetzung der Entscheidung des UN-Menschenrechtskomitees zu Petromelides v. Griechenland und der akzeptierten Empfehlungen des 3. Universal Periodic Review zur Beseitigung des Strafcharakters des Zivildienstes.

Türkei: Die Kriegsdienstverweigerung muss in der Türkei als verfassungsmäßiges Recht anerkannt werden, in Übereinstimmung mit internationalem Recht und den Menschenrechtsstandards. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in der Ülke Group of Cases sollten dringend umgesetzt werden. Die Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung sollte so entworfen werden, dass sie in Übereinstimmung steht mit den internationalen Menschenrechten der Vereinten Nationen, dem Europarat und der Europäischen Union. Es sollte ein Prozess zur Entwicklung und Implementierung eines alternativen Zivildienstes geben unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen und unabhängiger Akteure. Dieser Prozess sollte auf einer diskriminierungsfreien Basis gegenüber Kriegsdienstverweigerern geschehen und mit den internationalen Menschenrechtsstandards einhergehen.

Für Kriegsdienstverweigerer, die sich als „Totalverweigerer“ bezeichnen,  müssen Maßnahmen in Übereinstimmung mit den internationalen Menschenrechten ergriffen und zur Verfügung gestellt werden. Ebenso sollen Maßnahmen ergriffen werden, um Kriegsdienstverweigerern auf Anfrage einen alternativen Dienst anbieten zu können.

Zypern: Wie in Griechenland müssen in Bezug auf das Gesetz für einen alternativen Zivildienst Informationen für Schüler und Wehrpflichtige zugänglich sein, damit sie die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Ableistung eines alternativen Zivildienstes zu stellen; die Kriterien zur Überprüfung der Antragsteller, die in der Praxis zu unterschiedslosen Ablehnungen führt, sollten abgeschafft werden.

Türkisch-Zypriotische Gemeinschaft: Gerichtsverfahren für einen neuen Fall eines türkisch-zypriotischen Kriegsdienstverweigerers im nördlichen Teil Zyperns haben begonnen. In der Vergangenheit endeten solche Gerichtsverfahren mit der Inhaftierung von Kriegsdienstverweigerern, da es keine gesetzliche Regelung für einen alternativen Zivildienst gibt. Außerdem sind drei Fälle türkischer Verweigerer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Diese Fälle richten sich gegen die Türkei, da in einer früheren Entscheidung des EGMR festgestellt wurde, dass die Behörden im nördlichen Teil Zyperns der Verwaltung der Türkei untergeordnet sind. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts der Behörden im nördlichen Teil Zyperns besagt, dass Kriegsdienstverweigerung laut der Verfassung ein Menschenrecht ist. Die Behörden haben jedoch das Gesetz nicht dahingehend geändert, um Bestimmungen für einen alternativen Zivildienst aufzunehmen.

Als Unterzeichner dieses Briefes erinnern wir Sie daran und appellieren an Sie: Sie müssen die Vorteile anerkennen, die ein echter Frieden und eine Reduzierung der Militärausgaben für unsere Region bringen wird. Die Schaffung von Frieden in der Region erfordert ein gemeinsames und koordiniertes Handeln aller Seiten.

In Zypern bereiten uns die Spannungen in der Pufferzone seit einiger Zeit Bedenken. Wir haben das Gefühl, dass dies auf einen bewaffneten Konflikt zusteuert. Daher rufen wir alle Seiten zur Deeskalation auf. Nach 50 Jahren glauben wir, dass die Entmilitarisierung in Zypern jetzt beginnen muss.

Wir bleiben dabei, dass die Einigung über die oben genannten Punkte in dieser Phase des Dialogs ein solider Schritt in Richtung der Verhandlung von vertrauensbildenden Maßnahmen wäre, unterstützt durch bestehende Mechanismen wie dem Ministerkomitee des Europarates und dem Universal Periodic Review, die die Zusammenarbeit der Staaten bei der Überwachung der Wahrung der Menschenrechte fördern. Wir glauben, dass dies ein erstrebenswerter Beitrag zum Frieden wäre.

Hochachtungsvoll,

Association of Greek Conscientious Objectors, Griechenland

Conscientious Objector Watch, Türkei

Initiative for Conscientious Objection in Cyprus

 


Association of Greek Conscientious Objectors: Der Verein arbeitet für die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht in Griechenland, die Einrichtung eines fairen alternativen Zivildienstes, die Abschaffung der Militärdienstpflicht, die Einstellung der Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern und die überparteiliche Förderung von Frieden und Antimilitarismus in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Weitere Informationen: https://antirrisies.gr

 

Conscientious Objector Watch: Conscientious Objection Watch überwacht und berichtet über die aktuelle Situation von Kriegsdienstverweigerern in der Türkei, die Menschenrechtsverletzungen, die sie erleben, und die Gerichtsverfahren, die sie durchleben. Die Initiative setzt sich für die Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei ein. Weitere Informationen: https://vicdaniret.org/category/english/, vicdaniretizleme@gmail.com

Initiative for Conscientious Objectors in Cyprus: Die Initiative arbeitet daran,  alle Personen zu unterstützen und deren Probleme zu lösen, die den Militarismus als Hindernis für Frieden, Demokratisierung und die Einrichtung einer wirklich zivilen Regierung auf der ganzen Insel Zypern sehen. Weitere Informationen: https://www.facebook.com/kibristavicdaniret

Association of Greek Conscientious Objectors, Conscientious Objector Watch, Turkey, und Initiative for Conscientious Objectors in Cyprus: Open letter from conscientious objection organizations from Greece, Turkey and Cyprus in support of regional peace, demilitarization, and the right to conscientious objection. 5. Dezember 2023. https://vicdaniret.org/letter-from-conscientious-objectors-in-greece-turkey-and-cyprus-to-erdogan-and-mitsotakis/

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